Süddeutsche Zeitung

Der Facebook-Faktor:Was links und rechts verbindet - und trennt

Lesezeit: 8 Min.

Feindbilder, Gutmenschen und Jan Böhmermann: Das hat die SZ-Datenrecherche über linke und rechte Vorlieben, die wichtigsten Köpfe und die Macht der Satire herausgefunden.

Von Katharina Brunner und Sabrina Ebitsch

Links wird Martin Schulz gefeiert, rechts vor ihm als "dem Ding aus dem linken Sumpf" gewarnt. Rechts wird Stimmung gegen "Multikulti" gemacht, links ist man "pro Asyl". Das Wahlkampfgetöse wird vier Monate vor der Bundestagswahl, wenige Tage vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen lauter, zumal im Netz. Wie weit sind rechts und links auseinander, wie polarisiert ist der politische Diskurs? Womit sind die Wände der Echokammern den verschiedenen politischen Lagern tapeziert - sprich, welche Themen bestimmen die Agenda der politischen Lager in den sozialen Netzwerken und wer tut das?

In den vergangenen Monaten hat die SZ mehr als eine Million öffentliche Likes von 5000 Facebook-Nutzern analysiert, um die politische Landschaft in dem sozialen Netzwerk zu kartografieren (mehr über die Methodik erfahren Sie hier, mehr über das gesamte Projekt hier). Auf Basis der Daten wurden unter anderem Ranglisten der populärsten Seiten in jedem Parteimilieu erstellt. An ihnen lässt sich ablesen, welche Facebook-Seiten beispielsweise bei Nutzern aus dem AfD-Umfeld besonders beliebt sind - und damit welche Interessen, Präferenzen und Personen die Timelines prägen. In verschiedenen Analysen ergibt sich so, welche Überschneidungen und welche Trennlinien es entlang des politischen Spektrums von AfD bis Linkspartei gibt.

Es gibt keine Querfront: Den rechten und den linken Rand verbindet wenig

Kurz nach dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt lobte der nordrhein-westfälische AfD-Vorsitzende Markus Pretzell die Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht in einem Tweet als "kluge Frau". Wagenknecht hatte in einem Interview Kanzlerin Merkel eine Mitverantwortung für die Toten vom Breitscheidplatz zugeschrieben. Pretzell selbst hatte die Opfer kurz nach dem Anschlag "Merkels Tote" genannt. In einem Doppelinterview von Wagenknecht und AfD-Chefin Frauke Petry in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung wurde auch über den Satz gesprochen: "Wer sein Gastrecht missbraucht, hat es verwirkt." Er könnte von Petry stammen, ist aber von Wagenknecht. Immer wieder wird deshalb vor einer demokratiefeindlichen "Querfront" aus Linken und Rechten gewarnt, nach dem Motto: Die vermeintlich gegensätzlichen Extreme berühren sich.

Aber die Nähe, die sich hier womöglich herauslesen ließe, ist ebenso umstritten wie womöglich überbewertet. Denn Wagenknechts Anbiederungen nach rechts stoßen nicht nur in der Parteispitze, sondern auch an der Basis auf massive Kritik. Das spiegelt sich auch in den aus Facebook gewonnenen Daten wider. Denn eine politische Querfront lässt sich unter den Anhängern von AfD und Linkspartei nicht finden. Nur elf der 100 populärsten Seiten haben User aus beiden Milieus gemeinsam .

Damit steht der Grad der politischen Nähe von ganz links und ganz rechts auf Rang 19 von 21 möglichen Parteienkombinationen. Betrachtet man die Zahl der direkten Verbindungen, stehen sich AfD und Linke damit nicht wesentlich näher als etwa Grüne oder FDP den Rechtspopulisten; sie haben ähnlich viele Seiten gemein.

Darunter fallen zum einen reine Informations- oder Unterhaltungsangebote wie etwa das Politikressort von Focus Online, die Tageszeitung Die Welt oder eine Seite namens "Geniale Tricks", die ganz unpolitisch Life Hacks für den Alltag verspricht. Vereinzelt finden sich auch Seiten, die politische Sympathien erkennen lassen, wie etwa der Facebook-Auftritt von Sahra Wagenknecht oder jener der CSU. Sie fallen aber quantitativ nur bedingt ins Gewicht, zumal etwa Wagenknecht einen der beliebtesten Politiker-Accounts in den Daten der SZ hat und auch bei Usern aus dem Umfeld von CSU, Grünen und SPD Anhänger hat. Das zeigt sich auch in der Grafik unten, in der die Felder entsprechend der Popularität der links gelisteten Seiten in der jeweiligen Partei-Spalte dunkler oder heller eingefärbt sind:

Exklusiv, also ausschließlich bei AfD und Linken populär, sind nur wenige Seiten - in der Grafik die Zeilen, die nur in den Spalten ganz links oder rechts eingefärbt sind. Dazu zählen die Facebook-Seite des deutschen Ablegers von Russia Today, dem staatlichen russischen Auslandssender, oder ein Blog, das sich "Gegen den Strom" nennt und "Eindrücke abseits vom Mainstream" verspricht. Hier lässt sich womöglich ein gewisses Misstrauen gegenüber der gesellschaftlichen Mehrheitsmeinung ablesen, ein dominanter Faktor im politischen Gefüge auf Facebook ist dies aber nicht.

In der politischen Rechten hat der Begriff "Gutmensch" als Kampfbegriff Karriere gemacht. Mit ihm will sie Altruismus und Political Correctness vor allem gegenüber Nichtdeutschen verunglimpfen. Rechts geht es dagegen um die Abwehr des Fremden.

Zumindest in Facebook-Schaufenstern entlang des politischen Spektrums scheint eine gewisse Wahrheit in solchen Rechts-links-Klischees zu liegen. Wenn es um gesellschaftliches Engagement geht, rangieren beispielsweise bei den Grünen und der Linken Seiten wie "Netz gegen Nazi", "Laut gegen Nazis", "Greenpeace", "Pro Asyl", "Amnesty International Deutschland" weit oben. Auch die Seite der DKMS Deutschland, die Knochenmarkspenden unterstützt, gefällt. In der Tendenz sieht das bei SPD-Nutzern ähnlich aus, nur kommt hier noch eine ausgeprägte Europa-Orientierung dazu. Die Stoßrichtung ist klar: für Toleranz, Menschenrechte, Umweltschutz, gegen rechts - und auch explizit gegen die AfD (die gleichnamige Facebook-Gruppe hat ebenfalls viele Fans unter den Anhängern von SPD, Linkspartei und Grünen). In der Grafik unten lässt sich das an den Farbmustern ablesen: In vielen Zeilen, also für etliche Facebook-Seiten, gibt es eine Häufung entweder auf der linken - oder eben auf der rechten Seite.

Links dominiert Altruismus, rechts klare Feindbilder

Wie in den gegensätzlichen Farbclustern zu sehen, zeichnet sich bei der AfD auf Facebook ein Gegenentwurf zum eher altruistisch orientierten linken Portfolio ab. Der AfD-Kosmos definiert sich über Ablehnung und Negation. Das ist - bereits in der Namensgebung - besonders augenfällig bei den dort beliebten Gruppen wie "Multikulti? Nicht mit uns" oder "Bürger sagen Nein". Man spottet über die Illusion der "schönen heilen Welt vom fröhlich-friedlichen Zusammenleben", die sich nicht mehr aufrechterhalten lasse; man fordert "kein globales Niederlassungsrecht für Wirtschaftsmigranten!" oder "Besser leben ohne Multikulti"; man schürt Ängste vor "Terrorimport" und "asylbetrügenden Mördern, Vergewaltigern und Gewalt-Verbrechern".

AfD-nahe Facebook-Nutzer verweigern sich dem, was sie als fremd und anders empfinden, und haben klare Feindbilder wie den Islam und die (vermeintliche "Lügen"-) Presse. Zu diesen Feindbildern zählt auch die Kanzlerin als oberste Repräsentantin des "Mainstream" und Vertreterin einer liberalen Asylpolitik, deren Rücktritt in einer eigenen Gruppe gefordert wird. Studien über die Anhänger der Partei in der analogen Welt weisen in eine ähnliche Richtung: Dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zufolge ist die AfD in den vergangenen Jahren sukzessive weiter nach rechts gerückt - wie ihre Anhänger, die überwiegend Unzufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland und "große Sorgen um Zuwanderung" äußerten ( PDF).

Politisches Engagement müsse nicht automatisch konstruktiv sein, betonen daher auch die Autoren der Mitte-Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, die zum Ergebnis kommt, dass AfD-Anhänger in "nahezu allen Dimensionen rechtsextremer und menschenfeindlicher Einstellungen (...) mit Abstand den höchsten Zustimmungswert" erreichen. Über die Partei und ihr Klientel heißt es: "Mit Kampfbegriffen wie 'Asylchaos', 'EU-Krise', 'Merkel muss weg' sammelt die Partei wie ein parteipolitischer Staubsauger die Unzufriedenen ein und betreibt mit den Mitteln des fortwährenden Tabubruchs eine eskalierende Politik der Feindbilder." ( PDF).

Zugewandt, positiv eingestellt, "dafür" ist man im AfD-Lager auch auf Facebook nur - wie es der Parteiname vorgibt - wenn es um Deutschland geht, etwa in Gruppen wie "Ein Prozent für unser Land" oder "Wir für Deutschland" oder - sprachlich etwas widersprüchlich - "JA, ich lehne den Islam ab".

Bei der CSU gibt es ähnliche Tendenzen (Ablehnung der Lügenpresse, von Multikulti), wobei solche Gruppen im christsozialen Umfeld weniger dominieren. Die CSU-Sphäre ist insgesamt weniger politisch uniform. Wer auf Facebook die Seite der Partei frequentiert, lehnt in der Tendenz die Grünen ab und mag die Bundeswehr, genauso aber DKMS Deutschland. Ansonsten haben hier Unterhaltung und Hobbys größere Bedeutung - zum Beispiel Fußball (selbstverständlich der FC Bayern und die Nationalmannschaft) oder Einkaufen (Amazon).

In AfD-Kreisen werden Jutebeutel mit dem Konterfei des Thüringer Landeschefs Björn Höcke vertrieben. Für die, die sie kaufen, sind sie Fanartikel oder politische Statements. Für andere AfD-Anhänger, die auf Facebook kommentieren, dagegen nur "Devotionalien", die sie ablehnen ("Personenkult ist was für Untertanen nicht für freie Bürger").

In der kurzen Debatte um die Höcke-Taschen ist ein Widerspruch enthalten, der die AfD bestimmt: Sie wirft insbesondere der CDU und der Kanzlerin mit ihren immer noch hohen Beliebtheitswerten "Personenkult" vor. Dabei ist starke Personalisierung ein gängiges Instrument der AfD, um auf Facebook nach Likes zu jagen - die im September in Stimmen umgemünzt werden sollen.

Keine andere Partei zieht mit ihrem Führungspersonal oder anderen mehr oder weniger schillernden Figuren Fans an wie die AfD. Das zeigt sich nicht nur in ihren Posts, bei denen politische Forderungen gern von lächelnden Parteigrößen begleitet werden. Es zeigt sich auch in den Präferenzen der AfD-nahen Facebook-Nutzer: Unter den Top-15 der beliebtesten Seiten finden sich dort zehn Seiten von Personen.

Die AfD lehnt "Personenkult" ab, aber personalisiert die politische Auseinandersetzung

Die Hausgötter der AfD-Sympathisanten sind demnach (in dieser Reihenfolge): Parteichefin Frauke Petry, der österreichische Rechtspopulist Heinz-Christian Strache, mit Harald Vilimsky ein weiterer FPÖ-Politiker, die stellvertretende AfD-Bundesvorsitzende Beatrix von Storch, der Co-Parteivorsitzende Jörg Meuthen, US-Präsident Donald Trump, der Schweizer Rechtspopulist Ignaz Bearth, der Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke, die baden-württembergische und nun auch bundespolitische Spitzenkandidatin Alice Weidel und die Front-National-Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen. Die Grafik bildet die mehr oder weniger stark ausgeprägte Popularität einzelner Politiker im rechten und konservativen Lager ab - und dass sie links der CDU in den Parteimilieus eigentlich keine Rolle mehr spielen:

Bei den übrigen Parteien finden sich unter den beliebtesten 15 Seiten deutlich weniger Facebook-Auftritte von Politikern. Von CDU bis Linke sind es nur vier bis sieben - stattdessen gefallen den Nutzern in deren Milieus Medien, die eigene Bundestagsfraktion, befreundete Parteien oder auch einfach die Fußball-Nationalmannschaft. Ausnahme ist auch hier CSU, mit neun Personen-Seiten in der Hitliste. Einen nicht unerheblichen Teil der Galionsfiguren ihrer Facebook-Gemeinden haben CSU und AfD auch gemein: AfD-Chefin Frauke Petry, die FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache und Harald Vilimsky sowie US-Präsident Donald Trump etwa rangieren in der Anhängerschaft beider Parteien weit vorne. Bei den Christsozialen kommen schließlich noch CSU-Größen wie Parteichef Horst Seehofer, der bayerische Finanzminister Markus Söder oder der auf Facebook sehr aktive Generalsekretär Andreas Scheuer hinzu.

Satire hat in der politischen Topografie Facebooks einen ähnlich hohen Stellenwert wie überregionale Medien, die in erster Linie der Information dienen. Der Postillon oder die "heute-show" beispielsweise rangieren bei Linken, Grünen, SPD, FDP, CDU und CSU weit oben und spielen damit in einer Liga mit der Tagesschau, Spiegel Online, den ZDF-heute-Nachrichten und der Süddeutschen Zeitung. Jan Böhmermann, Dieter Nuhr und Extra 3 landen immerhin bei vier bis fünf Parteien in den Top 100 - vergleichbar mit der Wochenzeitung Die Zeit, Zeit online, Faz.net, Focus Online oder n-tv.

Das Umfeld der AfD ist eine weitgehend humorfreie Zone. Selbst beim Postillon und der "heute-show", bei denen sich die Anhänger aller anderen Parteien so einig sind, dass sie auf den Top-100-Listen von Linken bis CSU landen, finden sich deutlich weniger AfD-Nutzer. Ähnlich bei Extra 3 und Dieter Nuhr, die bei den meisten anderen Parteien ebenfalls einen hohen Stellenwert haben. Die Grafiken zeigen die Beliebtheit von Satirikern und Satire-Sendungen in den verschiedenen Parteienmilieus. Je ausgeprägter die Ausschläge entlag der Achsen, desto höher die Popularität unter den einer Partei nahestehenden Nutzer. Je mehr Parteiachsen das farbige Feld umfasst, desto verbreiteter sind sie über Parteigrenzen hinweg. Die Leerstelle bei der AfD verweist also auf das Desinteresse der AfD-Nutzer an vielen Satireangeboten:

Satiriker und Satiresendungen sind mit ihren Pointen und Witzen in sozialen Netzwerken populär. "Soziale Netzwerke dienen auch dazu, sich zu unterhalten und sich positiv zu präsentieren und das funktioniert mit unterhaltsamer Information besser als mit rein aktueller", sagt die Professorin Katharina Kleinen-von Königslöw, die an der Uni Hamburg zu digitalisierter Kommunikation forscht. "Politische Satire hat deswegen in den vergangenen Jahren über die sozialen Netzwerke deutlich mehr Raum und Aufmerksamkeit bekommen."

Dass satirische Angebote ein Übergewicht im Vergleich mit rein komödiantischen haben, hat seinen Grund auch in dem stark politisch interessierten Publikum. Menschen, die auf Parteiseiten unterwegs sind, haben augenscheinlich eine höhere Affinität zu Posts, die einen auf sozialkritischer oder politisch kommentierender Ebene lachen lassen. Die hohe Akzeptanz über Parteigrenzen hinweg spricht allerdings auch dafür, dass es - etwa beim Postillon oder der "heute-show" - auch Inhalte gibt, die eher spielerisch und nicht polarisierend sind, oder dass die Inhalte zumindest keine allzu ausgeprägte politische Schlagseite haben.

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