Süddeutsche Zeitung

Steuerskandal:Die Razzia, die es nie gab

Lesezeit: 4 min

Eine Kölner Staatsanwältin wollte im Cum-Ex-Steuerskandal den Hamburger Fiskus durchsuchen, wurde aber intern zurückgepfiffen. Der Vorgang ist politisch brisant.

Von Klaus Ott, Jörg Schmitt und Jan Willmroth, München/Frankfurt

Die Razzia in Sachen Cum-Ex war wohl schon bis ins Detail vorbereitet, auch ein Termin stand schon fest - und das politische Beben hatte in diesem Fall auch die Regierung in Berlin erreicht. Nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR wollte die Staatsanwaltschaft Köln im Spätsommer vergangenen Jahres ihre Ermittler zu Durchsuchungen nach Hamburg schicken. Ziel der Fahnder: das Finanzamt für Großunternehmen, die Finanzbehörde sowie Privatwohnungen. Der hanseatische Fiskus könnte die dort ansässige Privatbank M. M. Warburg in der Affäre um Aktiengeschäfte zulasten der Steuerkasse geschont haben, so der ungeheure Verdacht. Im Strafgesetzbuch wird dieses Vergehen gemeinhin als Begünstigung geführt.

Doch zu der Durchsuchungsaktion und den damit verbundenen politischen Wellen kam es bis heute nicht. Die Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker, die in dem riesigen Steuerskandal schon seit langem hart durchgreift, wurde intern zurückgepfiffen. Noch bevor die zuständige Richterin am Amtsgericht Brorhilkers Antrag auf einen Durchsuchungsbeschluss geprüft hatte, sagte die Staatsanwaltschaft die Sache wieder ab: Die Hauptabteilungsleitung sei "versehentlich nicht - wie zwischen allen Beteiligten im Vorfeld festgelegt" zuvor eingebunden gewesen, teilte ein Behördensprecher mit. Anders als Brorhilker kamen ihre Vorgesetzten daraufhin zu dem Schluss, es hätten nicht genügend Anhaltspunkte für Straftaten vorgelegen. Die Generalstaatsanwaltschaft Köln schloss sich dieser Sichtweise an.

Cum-Ex, das ist ein beispielloser Wirtschaftskrimi, dessen Ende noch lange nicht in Sicht ist. Zahlreiche Banken, Börsenhändler und Rechtsanwälte haben beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende den deutschen Fiskus um viele Milliarden Euro geschädigt. Die Institute und deren Kompagnons hatten Wege gefunden, sich zuvor nicht gezahlte Steuern auf Dividendenerlöse erstatten zu lassen. Warburg bestreitet, dass Beschäftigte der Bank jemals vorsätzlich Steuern hinterzogen hätten. Doch rund um Warburg ist Cum-Ex zu einer Polit-Affäre geworden, die bis zum früheren Hamburger Bürgermeister und heutigen Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz reicht.

Die traditionsreiche Privatbank soll mit Cum-Ex-Geschäften mehr als 160 Millionen Euro an Steuern hinterzogen haben; die Bank bestreitet das. Der Hamburger Fiskus wiederum wollte anfangs gegen Warburg vorgehen, hielt sich dann aber plötzlich zurück. Erst auf Weisung des damals von Wolfgang Schäuble (CDU) geführten Bundesfinanzministeriums schickte das Finanzamt der Privatbank Ende 2017 einen geänderten Steuerbescheid und verlangte wenigstens 43 Millionen Euro samt Zinsen zurück. Zuvor waren andere Forderungen über 47 Millionen Euro angeblich verjährt. Inzwischen hat Warburg seine ausstehende Steuerschuld beglichen, geht aber gerichtlich gegen die Bescheide vor.

Untersuchungsausschuss soll Vorgänge in den Finanzbehörden aufklären

Warum das Hamburger Finanzamt für Großunternehmen ursprünglich Warburg zur Kasse bitten wollte, dann einlenkte und schließlich erst auf Druck aus Berlin tätig wurde, soll jetzt ein Untersuchungsausschuss in der Hamburger Bürgerschaft klären. Mitten in all dem Hin und Her hatte Christian Olearius, einst langjähriger Bankchef und eine hanseatische Größe, beim damaligen Bürgermeister Scholz vorgesprochen. Die Hintergründe dazu hatte Olearius in seinen Tagebüchern festgehalten, die Kölner Ermittler im Zuge von Razzien bei Warburg und Olearius im Frühjahr 2018 beschlagnahmt hatten. Das wiederum wollten Ermittler zum Anlass nehmen, einmal genauer nachzuforschen, was da in Hamburg passiert war.

Wäre Oberstaatsanwältin Brorhilker nach den vielen erfolgreichen Razzien bei Banken und Investmentfirmen mit ihrem Vorgehen in Hamburg womöglich über das Ziel hinausgeschossen? Ihre Vorgesetzten waren im vergangenen Sommer der Meinung, es gebe keinen hinreichenden Anfangsverdacht und damit auch keine Grundlage für Razzien - für den heutigen SPD-Kanzlerkandidaten wurde der Fall Warburg dennoch unangenehm. Ob ihm das im bevorstehenden Bundestagswahlkampf schaden wird, ist offen. Scholz weist den Verdacht von politischen Gegnern, er habe zugunsten von Warburg in ein laufendes Steuerverfahren eingegriffen, weit von sich.

Der auf Betreiben von Linken und CDU eingesetzte Untersuchungsausschuss soll die Vorgänge nun aufklären. Mit der ausgebremsten Razzia der Kölner Ermittler ist die Geschichte jetzt um ein Kapitel reicher. Der Ausschuss soll bereits entsprechende Akten aus Köln angefordert haben. Die Unterlagen könnten Aufschluss darüber geben, wie begründet Brorhilkers damaliger Anfangsverdacht gegen den Hamburger Fiskus war. In Paragraf 257 Strafgesetzbuch steht: "Wer einem anderen, der eine rechtswidrige Tat begangen hat, in der Absicht Hilfe leistet, ihm die Vorteile der Tat zu sichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Denkbar ist auch, dass die Oberstaatsanwältin als Zeugin geladen wird.

Staatsanwaltschaft richtet eigene Hauptabteilung nur für Cum-Ex ein

In Zukunft kann Brorhilker freier agieren; ihr damaliger Vorgesetzter, der die Aktion nach dem Kommunikations-Fauxpas verhinderte, ist künftig nicht mehr ihr Chef: Brorhilker bekommt eine eigene Hauptabteilung, nur für Cum-Ex. Ob es aber überhaupt noch Ermittlungen gegen Hamburger Beamte geben wird, ist nach wie vor offen - der Fall liegt zur erneuten Prüfung bei der Generalstaatsanwaltschaft Köln, und auch das Justizministerium in Düsseldorf ist mit der Sache befasst.

Vielleicht wird eine Durchsuchung beim Fiskus in Hamburg ohnehin inzwischen überflüssig: Im Untersuchungsausschuss sollen alle einschlägigen Akten gesichtet werden, auch die der hanseatischen Finanzbehörde, dem Hamburger Finanzministerium. Finanzsenator war damals, als es um die umstrittenen Steuerbescheide von Warburg ging, der heutige Erste Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD). Auch Tschentscher sagt, er habe sich in das Warburg-Steuerverfahren nicht eingemischt. Tschentscher und Scholz sollen neben vielen anderen Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss aussagen. Was dort in öffentlicher Sitzung zur Sprache kommt, ist wegen des Steuergeheimnisses ungewiss. Tschentschers Senatskanzlei hat den Ausschuss wissen lassen, die Öffentlichkeit sei auszuschließen, wenn Akten Gegenstand von Zeugenbefragungen seien.

Damit werde Aufklärung verhindert, zürnt der Abgeordnete Norbert Hackbusch (Linke). In Bonn werde schließlich bei einem Prozess gegen einen früheren Generalbevollmächtigten von Warburg in öffentlicher Gerichtsverhandlung über die Akten der Finanzverwaltung gesprochen. "Und im Untersuchungsausschuss geht dies nur hinter verschlossen Türen", sagt Hackbusch. Der Prozess in Bonn läuft noch; der Ex-Warburg-Manager bestreitet den Vorwurf der Steuerhinterziehung.

Im Ausschuss wird für die Bank-Eminenz Olearius auch der Münchner Anwalt Peter Gauweiler dabei sein, der eine lange Karriere in der CSU hinter sich hat. Ausgerechnet CSU-Mann Gauweiler könnte so dazu beitragen, dass vieles unter Verschluss bleibt - und dass weitere lästige Fragen zur Causa Warburg unterbleiben, die SPD-Kanzlerkandidat Scholz im Bundestagswahlkampf womöglich mächtig unter Druck bringen könnten.

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