Süddeutsche Zeitung

Rente:Bundesfinanzrichter rütteln an Rentenbesteuerung

Lesezeit: 3 min

Die Frage ist kompliziert, hat aber ganz praktische Auswirkungen für Millionen Rentner: Werden sie zu Unrecht doppelt besteuert? Das muss der Bundesfinanzhof klären - und könnte Karlsruhe anrufen.

Von Hendrik Munsberg und Stephan Radomsky

Dass die Sache ernst ist, zeigen schon die Begleitumstände: Draußen vor dem Bundesfinanzhof (BFH) wacht eine Polizeistreife, ein privater Sicherheitsdienst kontrolliert die Besucher. Allein, dass Deutschlands höchstes Finanzgericht überhaupt öffentlich zur Verhandlung einlädt, ist ungewöhnlich. Und dann sitzen drinnen, im größten Verhandlungssaal, neben den Klägern und den beklagten Finanzämtern auch noch Topleute aus dem Bundesfinanzministerium: Der zuständige Staatssekretär Rolf Bösinger (SPD) und der Leiter der Steuerabteilung, Rolf Möhlenbrock, sind nach München gekommen.

Was an diesem Mittwoch verhandelt wird, klingt theoretisch, betrifft aber ganz direkt Millionen Rentner in Deutschland - heutige und künftige. Denn die Richter des zehnten BFH-Senats haben die Besteuerung der Renten zu prüfen, die seit 2005 gilt. Hauptstreitpunkt ist die Frage, ob sie "doppelt besteuert" werden. Dies hatte das Bundesverfassungsgericht 2002 verboten. "Es ist wichtig, dass jetzt gerichtlich geklärt wird, wann eine Doppelbesteuerung vorliegt", sagte der Präsident des Steuerzahlerbundes (BdSt), Reiner Holznagel, der SZ. Die Entscheidung sei "auch für künftige Rentnergenerationen relevant, die jetzt noch berufstätig sind und nur einen Teil der Rentenversicherungsbeiträge steuerlich absetzen können, aber die spätere Rente dann voll versteuern müssen." Deshalb gehe es "auch um Generationengerechtigkeit."

Konkret geht es um die Fälle des Zahnarztes Gert Zimmermann, 74, der vom BdSt in dem Verfahren finanziell unterstützt wird (Az. X R 20/19), und des Steuerberaters Horst Bangert, 78, aus Baden-Württemberg (Az. X R 33/19). Beide waren lange Freiberufler, die aber auch in die gesetzliche Rentenkasse einzahlten. Und beide machen geltend, dass sie und ihre Ehefrauen doppelt besteuert wurden. Der Staat habe dies aber verschleiert, indem er zu seinem Vorteil auch Steuervergünstigungen berücksichtigte, die nicht nur Rentnern zustehen, sondern allen Steuerzahlern, vor allem den Grundfreibetrag, also das von der Verfassung geschützte steuerfreie Existenzminimum, sowie die absetzbaren Krankenkassen- und Pflegebeiträge der Rentner. Das Finanzministerium in Person Möhlenbrocks dagegen argumentiert, es sei "richtig und geboten", den Grundfreibetrag einzubeziehen

"Wir müssen prüfen, ob die verfassungsrechtlichen Grenzen überschritten sind oder nicht", sagt die Vorsitzende Richterin Jutta Förster. Die "rote Ampel" sei für das Gericht dabei klar: "Es darf in keinem Einzelfall zu einer doppelten Besteuerung kommen." Und Kernpunkt dieser Frage sei, ob der Grundfreibetrag in die Berechnung einbezogen werden müsse - oder gerade nicht.

Seit 2005 fördert der Staat die Altersvorsorge während des Erwerbslebens mit über die Zeit steigenden Steuerersparnissen, im Gegenzug wird ein wachsender Anteil der Rente besteuert. Wie hoch dieser Prozentsatz ist, hängt vom Jahr des Rentenbeginns ab. Ab 2040 werden Renten voll besteuert, das trifft alle, die heute 48 sind oder jünger. Die Frage ist nun, ob unter den geltenden Regelungen während des Erwerbslebens mehr Rentenbeiträge aus versteuertem Einkommen bezahlt werden, als man später als steuerfreie Rente herausbekommt. Nach jüngsten Zahlen der Bundesregierung haben auch wegen des laufenden BFH-Verfahrens rund 142 000 Rentnerinnen und Rentner vorsorglich Einspruch gegen ihre Steuerbescheide eingelegt.

Bereits 2017 hatte der Vizevorsitzende des zehnten Senats, Egmont Kulosa, in einem Kommentar erklärt, er halte es für verfassungswidrig, wenn der Staat den Grundfreibetrag und die Beiträge von Rentnern zur Kranken- und Pflegekasse als steuerfreien Teil der Rente einstufe. Ähnlich hatte sich schon 2007, zwei Jahre nach Einführung der neuen Besteuerung, einer ihrer Architekten geäußert, der Rentenexperte und langjährige Wirtschaftsweise Bert Rürup. Er warnte, dass die bis 2040 geltende Übergangsregelung der Rentensteuerung "in erheblichem Umfang gegen das Verbot der Zweifachbesteuerung" verstoße. "Das Problem" stelle sich für Arbeitnehmer, die von 2021 bis 2058 in Rente gehen sowie für Selbständige der "Zugangsjahrgänge 2011 bis 2046".

"Zweifachbesteuerung gibt es nicht und soll es nicht geben"

"Das Ganze ist für mich schlimm", sagt Zimmermann in der Verhandlung. Es sei ihm nicht gelungen, im Alter seinen Lebensstandard zu halten. "Und ich werde durch die Doppelbesteuerung bestraft." Dagegen plädiert das Bundesfinanzministerium für eine "Bagatellgrenze": bis zu zehn Prozent Differenz zwischen Rentenbeiträgen aus versteuertem Einkommen und der steuerfrei zufließenden Rentensumme, zum Beispiel. Diese Frage sei "bisher höchstrichterlich nicht ausgeleuchtet", sagt Möhlenbrock. Solch eine Unschärfe sei vom Bundesverfassungsgericht nicht ausgeschlossen, argumentiert er, und als Folge der steuerlichen Typisierung und der notwendigen Prognose der Lebenserwartung bei Renteneintritt auch sinnvoll. "Wir wollen die faire Besteuerung der Rentner. Es soll keiner im Übermaß in Anspruch genommen werden."

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) bestreitet, dass es ein Problem gibt: "Wir gehen davon aus, dass es weiter bei dem Grundsatz bleibt: Zweifachbesteuerung gibt es nicht und soll es nicht geben", sagt er in der Regierungsbefragung am Mittwoch in Berlin. Alles spreche dafür, dass der damalige Gesetzgeber "sich viel Mühe gegeben hat, richtig zu rechnen".

Sollten die Richter in München das anders sehen, könnte Scholz - zumal im Wahlkampf - unter Druck geraten, die Besteuerung zu Gunsten der Rentner zu ändern. Der BFH könnte die Causa aber auch dem Bundesverfassungsgericht vorlegen, Karlsruhe müsste dann klären, ob die Art der Rentenbesteuerung dem Grundgesetz widerspricht. Nach den kritischen Nachfragen in Richtung Finanzministerium vor allem in der Frage des Grundfreibetrags könnte es genau dazu kommen. Am 31. Mai will der Senat in beiden Fällen seine Entscheidung verkünden.

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