Süddeutsche Zeitung

Alterric:Ein neuer Riese im Windgeschäft

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Der Energieversorger EWE und die Mutter des Anlagenbauers Enercon schaffen zusammen den größten Windpark-Betreiber Deutschlands. Es ist ein Markt mit großen Chancen - und einigen Problemen.

Von Benedikt Müller-Arnold, Düsseldorf

Deutschland und seine Windräder, das ist eine wechselvolle, schwierige Beziehung. Seit jeher bietet Wind eine der Möglichkeiten schlechthin, klimafreundlich Strom zu produzieren. Lange hatten die Betreiber großer Kraftwerke versucht, die Windkraft kleinzureden. Nichtsdestotrotz stand diese 2020 für gut 23 Prozent der Stromerzeugung in Deutschland.

Doch der Ausbau an Land ist an Grenzen und ins Stocken geraten. Voriges Jahr gingen hierzulande Windräder mit einer Kapazität von gut 1,4 Gigawatt neu in Betrieb, berichtet die Bundesnetzagentur. Das ist nur noch ein Bruchteil des jährlichen Zubaus, den Deutschland von 2014 bis 2017 geschafft hat. Vielerorts sorgen sich Anwohner: vor Geräuschen, um das Landschaftsbild, um den Vogelschutz. Genehmigungsverfahren ziehen sich hin, die Politik schreibt Mindestabstände von Windparks zu Siedlungen vor.

In diesem komplizierten Umfeld legen nun zwei Unternehmen aus Norddeutschland ihre Windparks zusammen und wollen - trotz allem - wachsen: zum einen EWE aus Oldenburg, einer der größten Energieversorger Deutschlands, mehrheitlich in kommunaler Hand. Zum anderen die Aloys-Wobben-Stiftung (AWS) aus Ostfriesland, Inhaberin des Anlagenbauers Enercon, eines Pioniers in Sachen Windturbinen made in Germany. Die beiden haben ein Gemeinschaftsunternehmen gegründet und nun der Öffentlichkeit vorgestellt.

"Wir reden vom ersten Tag an von einem großen Spieler", sagt EWE-Chef Stefan Dohler. Beide Partner haben zusammen Windparks mit einer Kapazität von 2,3 Gigawatt, der Großteil steht in Deutschland. Das entspricht zwar nur etwa vier Prozent aller hiesigen Windräder an Land, der Markt ist allerdings sehr kleinteilig. "Damit sind wir mit Abstand Marktführer in Deutschland", so Dohler. "Und dieser Bestand generiert gesunde Mittelzuflüsse." Umsatzprognosen wollen die Partner erst verraten, wenn ihr Gemeinschaftsunternehmen im Sommer seine erste Bilanz aufstellt.

Vor allem aber will die Firma bis 2030 vier Milliarden Euro in zusätzliche Anlagen investieren. Die installierte Leistung soll sich so mehr als verdoppeln. Insgesamt habe man eine Projekt-Pipeline mit einem Potenzial von gut 9,4 Gigawatt - vor allem in Deutschland und Frankreich. "Wir wollen also auch in Nachbarstaaten investieren", sagt Dohler. "Unser Fokus liegt auf Nordeuropa." Und eben: auf Anlagen an Land. "Offshore ist für uns die falsche Größenordnung", so der 54-Jährige. Das Gemeinschaftsunternehmen könne zwar weitere Geschäfte prüfen, etwa Freiflächen-Solaranlagen. "Das ist aber im Moment nicht auf der Tagesordnung."

Das Bündnis soll dem Anlagenbauer Enercon aus seiner Krise helfen

Für die Aloys-Wobben-Stiftung ist das Bündnis freilich auch ein Eingeständnis. Lange hat ihre Firma Enercon versucht, die ganze Wertschöpfungskette abzubilden: vom Design der Anlagen über den Bau der Rotorblätter bis zum Betrieb der Windparks, deren Wartung und der Stromerzeugung. Enercon unterhält ein verschachteltes Netzwerk aus Fabriken, vor allem in Nord- und Ostdeutschland. Doch spätestens mit dem Einbruch des Zubaus hierzulande geriet das Auricher Unternehmen in eine Krise. Zumal die Konkurrenz aus dem Ausland wächst. Enercon schrieb Verluste, viele Arbeitsplätze fielen weg.

Fortan soll sich die einstige Vorzeigefirma der Energiewende auf den Anlagenbau fokussieren. Bestehende Windparks bringt die Stiftung - benannt nach dem Firmengründer Aloys Wobben - indes in das Gemeinschaftsunternehmen ein. "Wir glauben, dass ein größeres Unternehmen entstehen muss, um im Markt sichtbar zu sein", sagt Stiftungsvorstand Heiko Janssen. Man wolle den Bestand nicht nur sichern, sondern auch neue Projekt entwickeln. "Das kann man nicht mehr alleine", so Janssen, "insbesondere, wenn sich die Marktverhältnisse so stark ändern, wie es in Deutschland passiert."

Für ihr Gemeinschaftsunternehmen haben die Partner den Namen Alterric entwerfen lassen: "Alt" soll für alternative Energien stehen, "terra" für die Erde, auf der die Mühlen prangen - und "ric", wie man es aus "electric" kennt. Der unabhängige Name soll verdeutlichen, dass Alterric weder unbedingt Technik von Enercon kaufen, noch den Windstrom zwangsläufig an EWE verkaufen muss. Beiden Partnern soll die Firma jeweils zur Hälfte gehören.

Alterric zählt anfangs etwa 200 Beschäftigte. "Wir wollen Kompetenzen zusammenbringen - aber nicht, indem wir Stellen abbauen", kündigt AWS-Chef Janssen an. "Wir brauchen die Beschäftigten, die wir haben." Auch sollen die Mitarbeiter an ihren bisherigen Wirkungsstätten weiterarbeiten, beispielsweise in Aurich und Oldenburg. "Unser Ziel ist, mit dem geplanten Ausbau weitere Arbeitsplätze zu schaffen."

Und was passiert mit dem Strom, den Alterric erzeugt? Die allermeisten Anlagen erhalten eine Vergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). "Das wird wohl auch eine ganze Weile so bleiben", sagt EWE-Chef Dohler. Zudem könne die Firma Energie an der Strombörse verkaufen - oder direkt an EWE oder andere Versorger. Im weiteren Verlauf werde Alterric prüfen, ob man Anlagen auch ganz im Auftrag einzelner Unternehmen bauen könne. Tatsächlich schließen weltweit mehr und mehr Industriekonzerne direkte Abnahmeverträge mit Ökostromerzeugern ab, damit sie klimaschonender produzieren können. Sie verpflichten sich dann über mehrere Jahre, Grünstrom zu bestimmten Preisen einzukaufen.

Der Bund prognostiziere den Bedarf an Windstrom zu niedrig, kritisiert der EWE-Chef

EWE-Chef Dohler verkauft das Bündnis nicht nur als unternehmerischen Schachzug, sondern auch als Signal an die Politik. "Wir glauben, dass Windkraft an Land ein wichtiger Baustein der Energiewende ist", sagt der gelernte Seemann und Diplom-Ingenieur. Alterric habe finanzielle Kraft und das Know-how vor Ort. "Doch wir sehen leider ziemliche Defizite in der aktuellen Bundesregierung, was die Gestaltung der Rahmenbedingungen betrifft."

Beispielsweise hält Dohler die Ausbauziele der Regierung für zu gering. "Der Bund prognostiziert den Strombedarf für 2030 viel zu niedrig", so der Manager, "wenn zum Beispiel Mobilität elektrisch werden soll, der Wasserstoffmarkt hochlaufen soll." Deshalb seien auch die öffentlichen Ausschreibungen für Windanlagen zu klein geraten. Mit dieser Kritik ist Dohler keineswegs allein: Auch die Deutsche Umwelthilfe etwa mahnt, dass Deutschland seine Klimaziele nur erreichen könne, wenn es die Wind- und Solarenergie kräftiger ausbaue als bislang geplant.

Wenn sich die Rahmenbedingungen für den Ausbau nicht verbesserten, sei das Ziel von Alterric zwar "ambitioniert", Jahr für Jahr Anlagen mit einer Kapazität von gut 0,2 Gigawatt zuzubauen. "Doch wenn die Politik die Themen angeht, könnten wir noch mehr auf den Tisch legen", sagt der EWE-Chef. "Wir haben das Potenzial, das Portemonnaie ist groß genug." Das neue Gemeinschaftsunternehmen will seine geplanten Investitionen freilich nicht nur mit eigenen Mitteln finanzieren, sondern auch über Kredite.

Doch was muss geschehen, damit Windräder künftig wieder auf mehr Akzeptanz stoßen? Dohler lobt etwa den Ansatz der EEG-Novelle, dass Kommunen eine Ausgleichszahlung erhalten sollen. "Das könnte helfen, dass Anrainer von Windparks sich nicht als Verlierer der Energiewende fühlen." Was noch fehle, sei ein Kompromiss zwischen den Generationen. "Bildlich gesprochen geht Fridays for Future freitags für den Klimaschutz auf die Straße, doch samstags demonstriert die Elterngeneration gegen neue Stromleitungen", so der Manager, "und sonntags die Großeltern gegen neue Windräder." Er wünsche sich, dass die Generationen mehr bereden, was nun wichtig und richtig sei. "Auch wir als Unternehmen müssen uns diesem Dialog stellen", sagt Dohler. Deutschland und seine Windräder: Es bleibt eine Herausforderung.

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