Energiewende:Hart am Wind

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Mit einer Neufassung des Ökostrom-Gesetzes will die Bundesregierung den Ausbau beschleunigen - und womöglich muss sie ihre Ziele sogar noch einmal anheben. Ein Überblick.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Die erneuerbaren Energien sind derzeit die wichtigste Stütze im Kampf gegen den Klimawandel - doch ihr Ausbau schwächelt. Gerade einmal 186 Windräder wurden im ersten Halbjahr neu errichtet - mit einem Bruchteil der Leistung, die für ein Erreichen der Ökostrom- und Klimaziele eigentlich nötig wäre. Einzig bei der Solarenergie lief es zuletzt besser. Nun soll eine Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes, kurz EEG, neuen Schwung in die Energiewende bringen. Und schon jetzt ist klar: Für höhere Klimaziele in der EU reicht selbst das noch nicht. Ein Überblick.

Wie soll die EEG-Reform den Ausbau beschleunigen?

Das Gesetz ist eine Mischung aus höheren Zielen, vereinfachten Genehmigungen und neuen Anreizen. Das Fernziel ist die so genannte Klimaneutralität bis 2050 - bis zur Mitte des Jahrhunderts sollen so keine neuen Emissionen mehr entstehen, die sich nicht anderweitig der Atmosphäre entziehen lassen. Auch der Strommix soll bis dahin komplett CO2-frei sein. Als Zwischenschritt benennt das Gesetz einen Ökostrom-Anteil von 65 Prozent bis 2030.

Was heißt das konkret?

Die meiste Ökostrom-Förderung wird mittlerweile über Ausschreibungen vergeben. Wer einen Wind- oder Solarpark errichten will, kann sich hier um eine garantierte Vergütung für den eingespeisten Strom bewerben. Diejenigen Anlagen, die am günstigsten erzeugen können, erhalten hier den Zuschlag. Diese Ausschreibungen orientieren sich jetzt an festen Ausbaupfaden: So soll die installierte Leistung der Windräder an Land von derzeit gut 54 Gigawatt schrittweise auf 71 Gigawatt steigen. Bei Solaranlagen soll sich die Gesamtleistung von heute 52 Gigawatt nahezu verdoppeln, auf 100 Gigawatt im Jahr 2030. Entsprechend mehr wird ausgeschrieben. Genehmigungen sollen schneller erteilt werden - auch durch Erleichterungen beim Umwelt- und Naturschutzrecht. Dafür ist das Umweltministerium zuständig.

Und was, wenn der Ausbau auf Widerstände stößt?

Vor allem neue Windparks trafen in den vergangenen Jahren auf Gegenwind. Bürgerinitiativen protestierten oder klagten dagegen, Gemeinden und Behörden agierten zurückhaltend. Hier soll nun eine stärkere Beteiligung von Kommunen helfen. Windpark-Betreiber können ihnen künftig "einseitige Zuwendungen ohne Gegenleistung" gewähren, und zwar bis zu 0,2 Cent je Kilowattstunde. Da kommt je Windrad schnell mal ein sechsstelliger Betrag raus - pro Jahr. "Dies kann die Akzeptanz für die Windenergie erhöhen", heißt es im Gesetzentwurf. Die Kosten können die Betreiber durchreichen, letztlich an die Gesamtheit der Stromkunden: Sie finanzieren über die EEG-Umlage den Ausbau der erneuerbaren.

Wird es für Stromkunden teurer?

Nein. Denn der Gesetzentwurf soll die Höhe dieser Umlage, derzeit 6,756 Cent, deckeln: Für nächstes Jahr sieht er 6,5 Cent vor, für 2022 sechs Cent. Das macht nächstes Jahr für einen durchschnittlichen Haushalt gut sieben Euro Entlastung aus. Andernfalls wäre es für die Stromkunden allerdings deutlich teurer geworden: Die Corona-Krise hat die Börsenpreise für Strom stark fallen lassen. Die Differenz zu den gesetzlich garantierten, weit höheren Vergütungen hätte sonst die Gemeinschaft der Stromkunden zahlen müssen. Perspektivisch dürfte die Umlage aber dennoch fallen: neue Windräder und Solarzellen erzeugen Strom weit billiger als früher.

Wo sollen neue Windräder und Solarparks entstehen?

Eine "Südquote" in den Ausschreibungen soll dabei helfen, das mehr Windparks auch in Süddeutschland gebaut werden - obwohl dort der Wind oft weniger stetig weht als im Norden. Dies soll auch helfen, die Stromnetze zu entlasten. Solarparks sollen künftig in einem breiteren Streifen als bisher entlang von Autobahnen entstehen können, und schließlich soll es mehr Anreize geben, auf Mietshäusern Solaranlagen zu erzeugen. Die Regeln für den so genannten "Mieterstrom", mit dem Eigentümer ihre Mieter versorgen können, sollen attraktiver werden. Ob das alles so funktioniert, will der Bund alle vier Jahre evaluieren. Ein jährliches "Monitoring" soll zudem klären, ob der Ausbau im Plan ist. Ein "Kooperationsausschuss" von Bund und Ländern soll im Zweifel nachsteuern.

Es soll bis 2030 viele neue Elektroautos und Wärmepumpen geben. Reicht der Strom dafür?

Das ist umstritten. Viele Experten erwarten deshalb einen steigenden Stromverbrauch. Damit wären auch mehr Ökostrom-Anlagen nötig, um einen Anteil von 65 Prozent zu erreichen. "Die anvisierten Ausbauziele sind viel zu niedrig", sagt etwa die Grünen-Energiepolitikerin Julia Verlinden. "Bei genauer Betrachtung schreiben sie nur die zu niedrigen Ausbauzahlen der letzten Jahre fort." Das Wirtschaftsministerium dagegen verweist auf eine Reihe von Gutachten, die einen leicht sinkenden Verbrauch prognostizieren - auch, weil die Effizienz steigt oder etwa der Eigenverbrauch von Kohlekraftwerken wegfällt. "Ich glaube, dass unsere Schätzung der Realität am nächsten kommt", sagt Energie-Staatssekretär Andreas Feicht.

Lassen sich so auch die neuen Klimaziele der EU erreichen?

Das 65-Prozent-Ziel sei gesetzt worden, als der EU noch keine höheren Klimaziele vorschwebten, sagt Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) - der sich selbst kürzlich erst zu mehr Klimaschutz bekannt hatte. Je nach Ausgang der Klima-Beratungen in der EU sei es nun möglich, dass Deutschland "dann gegebenenfalls mehr Strom als 65 Prozent benötigt."

Was passiert mit Anlagen, die nun an das Ende der Förderung geraten?

Tatsächlich stehen Tausende Windräder und Solarzellen vor dem Ende der Förderung. Denn als das Erneuerbare-Energien-Gesetz im Jahr 2000 in Kraft trat, sah es Förderungen für 20 Jahre vor. Damit verlieren zum Jahreswechsel allein rund 4000 Windräder ihre Förderung. Viele Betreiber wünschen sich eine Anschlussförderung und warnen vor dem ersatzlosen Abbau von Anlagen. Dies sieht der Entwurf für bestimmte Anlagen nur übergangsweise vor, zur Bewältigung der Corona-Folgen auf dem Strommarkt. Langfristig sollen sie zwar weiterhin ihren Strom vorrangig ins Netz einspeisen können, Gewinne sollen sie aber am Markt erwirtschaften, schlicht durch den Verkauf von Strom. Betreiber kleinerer Anlagen können sich dabei bis 2027 vom Netzbetreiber helfen lassen.

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