Süddeutsche Zeitung

Sportpolitik:Das Evangelium nach Thomas

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Zum Ende der IOC-Session versichern die Mitglieder, welch "großer Spaß" die Winterspiele waren. Kritik bleibt aus - und Juan Antonio Samaranch junior bringt sich in Stellung für die Nachfolge von Ringe-Chef Thomas Bach.

Von Johannes Knuth

Gut sah er aus, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Überraschend vital, nach drei Wochen in der Pekinger Olympiablase. Der Teint war braun, die grauweißen Haare fielen schwungvoll zur Seite wie eine Nordseewelle. Die Worte tupfte er etwas federnder hin als sonst, ohne die üblichen "Ähs" und "Öhs" - ehe man bemerkte, dass es ja gar nicht Thomas Bach war, der sich an das Plenum der IOC-Mitglieder am Samstag wandte, sondern Juan Antonio Samaranch junior. Inhaltlich knüpfte der Spanier, der bei diesen Spielen die Koordinierungskommission des IOC leitete, aber schon einen sehr präsidialen Teppich an Selbstlob, Plattitüden und bemühten Späßen. Bach, der echte IOC-Präsident, verfolgte das Schauspiel mit auffällig müden Augen.

Nur damit ja keine Zweifel aufkommen: Diese 24. Olympischen Winterspiele waren ein "großer Spaß", eine "wunderschöne Reise", die der junge Samaranch am Wochenende noch mal in schönsten Farben ausmalte, am zweiten Tag der 139. IOC-Session. Er betonte zunächst, dass sich die von ihm geleitete Kommission - das Gremium, das im Kern sicherstellt, dass die Spiele reibungslos laufen - in den vergangenen Wochen kaum hatte treffen müssen. Kein ganz doofer Zug, um sich das Lob selbst ans Revers zu pappen.

Auch sonst seien die Spiele "makellos" gewesen, befand Samaranch; vom Essen über die großartigen Mitarbeiter bis zum Publikum. Angeblich drei Milliarden Menschen seien mit den Spielen in Kontakt getreten, behauptete Samaranch. Diese Erkenntnis geleitete ihn offenbar zum Fazit, dass "der olympische Geist weit und helle strahlt". Ob dieser Lichtkegel auch bis zu den Uiguren im Nordwesten Chinas reicht, die offenbar zu Hunderttausenden in Lagern interniert sind, oder bis nach Tibet und Hongkong? Diesen Aspekt hatte der 62-Jährige leider irgendwie vergessen.

Für die nächsten vier Jahre ist Samaranch nun auch formell zurück in der Exekutive

Für Samaranch gab es später jedenfalls noch ein Zuckerl obendrauf. Er nahm den Posten des IOC-Vizepräsidenten wieder an sich, den er vor zwei Jahren turnusgemäß abgegeben hatte. "Sie können nicht glauben, wie glücklich ich bin, mit Ihnen weiterzuarbeiten", rief er ins Plenum, nachdem ihm 72 Ja-Voten zugeflogen waren, bei vier Gegenstimmen. "Danke aus vollem Herzen", fügte Samaranch an. Es ist wirklich alles in bester Ordnung für Juanito, den Sohn des einstigen, affärengestählten IOC-Patrons Juan Antonio Samaranch. Für die nächsten vier Jahre ist er nun auch formell zurück in der Exekutive, dem Kraftwerk der Ringe-Bewegung, 2025 endet die Amtszeit von IOC-Präsident Bach. Dass Juanito die Nachfolge anstrebt, hat er nie bestritten.

Auch über die sonstigen Schlaglöcher dieser Spiele bügelte Samaranch lässig hinweg. Er listete 264 positive Corona-Fälle auf bei knapp 14 000 Tests am Flughafen, in der strikt abgeschirmten Blase seien sogar nur 0,01 Prozent positiv gewesen. Die Blase war also tatsächlich nicht gerissen, durfte Samaranch proklamieren - die Frage war nur, zu welchem Preis. Jene Athleten, die vor und während der Spiele ihre Wettkämpfe fast oder ganz verpassten, hatten über enorme mentale Belastungen und unzumutbare Bedingungen in manchen Quarantäne-Unterkünften geklagt.

Die Corona-Positivtests von Athleten? Bedauerliche Einzelfälle, findet das IOC

Kit McConnell, der Sportdirektor des IOC, hatte schon im Verlauf der Spiele von "individuellen Herausforderungen" gesprochen - eine schöne Verdrehung. Die Einzelschicksale fußten ja auf einem strikten System: tägliche, hochsensible PCR-Tests, die noch dann ausschlugen, wenn Athleten längst genesen waren. Der Preis, den einige wenige dafür zahlten, war hoch, das räumte selbst Samaranch ein: "Wenn du einer der 0,01 Prozent Positiven bist, fühlt sich das wie 100 Prozent an." Wie hoch wäre der Preis wohl gewesen, hätten Funktionäre wie der deutsche Alpindirektor Wolfgang Maier vor den Spielen nicht die zunächst noch sensibler eingestellten Tests kritisiert?

Die IOC-Mitglieder folgten am Schlusswochenende jedenfalls brav dem Evangelium nach Thomas, versprachen, eine "bessere Welt durch Sport" zu bauen (Danka Bartekova) und ihre Qualitäten als einstige Olympiasieger künftig in den Dienst der olympischen Bewegung zu stellen (Neu-Mitglieder Martin Fourcade und Frida Hansdotter). Wortmeldungen, gar kritische Beiträge reichte niemand ein, mit Ausnahme des Japaners Yasuhiro Yamashita. Der pries den sozialen Wandel, den die olympische Asien-Tournee in den vergangenen Jahren in den Gastgeberländern Südkorea (2018), Japan (2021) und nun China vorangetrieben habe.

Man musste Yamashita dankbar sein für seinen Beitrag - erinnerte er doch daran, dass auch aus Tokio einst zwei Millionen US-Dollar an das Umfeld des früheren IOC-Mitglieds Lamine Diack geflossen waren - angeblich als Beraterhonorare. Die Pariser Sonderstaatsanwaltschaft PNF vermutet dahinter Stimmenkauf, sie ermittelt seit Jahren gegen die Verdächtigen: darunter den Japaner Tsunekazu Takeda. Der war jahrelang Organisationschef der Bewerbung, saß als Chef der IOC-Marketingkommission an wichtigen Geldquellen. Dass diese Ermittlungen im Fokus bleiben, dürfte schon dadurch garantiert sein, dass die Japaner längst wieder um Olympia werben: diesmal mit Sapporo für die Wintersause 2030.

Wobei für 2030 auch eine Bewerbung aus Barcelona und den Pyrenäen hinterlegt ist. Deren vielleicht wichtigster Wahlkämpfer sitzt seit Samstag wieder in der IOC-Exekutive.

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