Diack-Prozess in der Leichtathletik:Ein verheerendes Sittengemälde

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Diack-Prozess in der Leichtathletik: Man ist nie zu alt, um für seine Sünden zu zahlen: Lamine Diack, 87, droht eine Gefängnisstrafe.

Man ist nie zu alt, um für seine Sünden zu zahlen: Lamine Diack, 87, droht eine Gefängnisstrafe.

(Foto: AFP)

Was bleibt vom Prozess gegen den ehemaligen Leichtathletik-Boss Lamine Diack? Millionensummen, die "verdampfen", kompromittierende E-Mails - und viele offene Fragen im Olymp.

Von Thomas Kistner und Johannes Knuth

Die Anwälte versuchten einiges, um ihren Mandanten bei Laune zu halten. Aber es half nichts. Lamine Diack, ihr Klient und Hauptangeklagter in den vergangenen Tagen in Paris, machte auf die Prozessbeobachter einen, nun ja, meist arg entspannten Eindruck. Statt auf Fragen einzugehen, schweifte er ins Nebensächliche ab. Er verschluckte Wörter. Nuschelte. Redete dann wieder lang und wirr, und wenn er anderen zuhörte, nickte er ein. Einmal sackte sein Kopf auf die schneeweiße Tunika. Aber ein Satz ging ihm dann doch sehr klar über die Lippen: "Ich habe", sagte Diack, "in meinem Leben niemals Geld von irgendjemandem verlangt."

Ein seltener, kabarettreifer Moment. Das war ja das Fundament aller gewaltigen Vorwürfe, die sich zuletzt vor der 32. Kammer des Pariser Finanzgerichtshofs ballten: dass Diack und sein Sohn Papa Massata von so ziemlich jedem und aus allem Geld herausgepresst haben sollen. Aus Leichtathleten, vor allem russischen, die positiv getestet wurden und dank eines mutmaßlichen Ablasshandels weiter starten durften. Oder aus Funktionären, die sich dank des Einflusses der Diacks offenbar die Olympischen Spiele 2016 und 2020 sowie die Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2019 und 2021 sicherten. Oder auch aus Sponsoren, deren Geld nicht beim Weltverband landete, den Diack senior 16 Jahre lenkte, sondern im Dickicht der Gier versickerte. Oder wie es ein Anwalt des Verbandes jetzt in Paris formulierte: Millionensummen seien einfach "verdampft".

Das Strafmaß, das die Staatsanwälte zum Prozessende am Donnerstag für die beiden Hauptdarsteller beantragten, war entsprechend streng. Fünf Jahre Haft und 500 000 Euro Geldbuße für Diack junior, den der Senegal trotz diverser Gesuche nicht auliefert. Und vier Jahre Gefängnis und 500 000 Euro Strafe für Lamine Diack, seit einer Woche 87 Jahre alt. Der mutmaßliche Delinquent steuere zwar auf seinen Lebensabend zu, sagte Staatsanwalt François-Xavier Dulin, die Vergehen hätten aber einen weltweiten Flurschaden angerichtet. Diacks Anwälte attestierten ihrem Mandaten dagegen bloß mangelnde Sorgfalt. Sie formulierten aber auch ein Gnadengesuch: Sollte Diack ins Gefängnis müssen, werde er dort sterben, er habe gerade erst den Krebs besiegt. Man möge ihn doch bitte, nach fünf Jahren Hausarrest in Paris, in die Heimat entlassen. Das Urteil will die Richterin erst im September verkünden.

Diack hatte Afrikas Wählerblock im IOC fest im Griff

So rückte am Ende etwas Anderes ins Auge: Weniger die Schurkenstücke um vertuschte Tests, die Diack senior sogar zugab - sondern das Fehlen des noch explosiveren Stoffes: die Stimmkäufe rund um sportive Großevents nämlich, welche die Diacks auch orchestriert haben sollen. Diese sollen erst in einem späteren Prozess verhandelt werden. Was auch die Frage aufwirft, ob es sich überhaupt noch entlädt - das große olympische Korruptionsgewitter, das da seit Langem auf den Sport zurollt?

Jahrelang war die Pariser Finanzstaatsanwaltschaft Parquet National Financier (PNF) durch diesen olympischen Sumpf gepflügt, im Fokus standen vor allem die Vergaben der Sommerspiele an Rio (für 2016) und Tokio (2020). Der Vorwurf war jeweils derselbe: Lamine Diack hatte Afrikas Wählerblock im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) fest im Griff, ein Kandidat konnte diese Voten über Massatas Marketing-Agenturen kaufen. Wie bei einem olympischen Bonusprogramm. Entlarvend ist da vor allem ein Mailverkehr vom 7. September 2013, dem Tag der IOC-Kür, als sich Tokio gegen Madrid und Istanbul durchsetzte. Während der Session in Buenos Aires schrieb Papa Massata an Vater Lamine: "Nach Information deines afrikanischen Kollegen scheint Scheich Ahmad alles zu tun, um die Afrikaner dazu zu bringen, für Madrid zu stimmen!!!! Wir müssen das während der Pause klären." Lamine beruhigte den Filius: "Wir können nach der Sitzung darüber sprechen."

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