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Nationalelf: Michael Ballack:Bitter enttäuscht vom Bundestrainer

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Michael Ballack zeigt sich tief gekränkt über sein Ende in der Nationalelf und macht Bundestrainer Joachim Löw schwere Vorwürfe. Der DFB reagiert überrascht auf die heftigen Worte und gibt an, Ballack mehr angeboten zu haben, als nur die Partie gegen Brasilien - und auch, seinen Rücktritt selbst zu erklären.

Jürgen Schmieder

Vor zwei Wochen, da war Michael Ballack in der Arena in Miami, um sich das zweite Spiel der NBA-Finalserie zwischen den Miami Heat und den Dallas Mavericks anzusehen. Lachend stand Ballack auf der Tribüne, während der Pausen tanzte er wie andere Fans ein wenig ungelenk - schließlich beklatschte er das unglaubliche Comeback der Mavericks und die herausragende Leistung von Dirk Nowitzki.

Natürlich sind Nowitzki und Ballack nicht zu vergleichen, und doch hatte es an diesem Abend den Anschein, als würde da einer seinem sportlichen Bruder bei der Arbeit zusehen. Beide gehören seit Jahren zu den besten Akteuren in der jeweiligen Sportart, beide galten zu diesem Zeitpunkt aufgrund des fehlenden großen Titels irgendwie als Unvollendete. Beide waren prägend für ihre jeweilige Nationalmannschaft, konnten aber in Ermangelung ebenbürtiger Mitspieler nie eine Europa- oder Weltmeisterschaft gewinnen.

Nun sind die Unterschiede zwischen Ballack und Nowitzki innerhalb weniger Tage größer geworden. Nowitzki hat mit den Mavericks den Titel gewonnen und feierte am Sonntag in einem Club in Florida - wo Ballack derzeit seinen Urlaub verbingt - den größten Triumph seiner Karriere. Ballack dagegen bekam von Bundestrainer Joachim Löw per DFB-Pressemitteilung offenbart, dass seine Karriere in der Nationalelf vorbei ist.

Nach kurzer Bedenkzeit hat sich Michael Ballack nun geäußert. Zu den sportlichen Beweggründen schweigt er - wahrscheinlich, weil er in den vergangenen zwölf Monaten erkannt hat, dass diese Nationalelf, deren prägender Spieler er beinahe ein Jahrzehnt lang gewesen war, mittlerweile auch ohne ihn durchaus erfolgreich spielen kann.

Nein, es ging Ballack bei seiner Replik eher um Stil und Respekt, in einer Presseerklärung, die er über seinen Berater Michael Becker verbreiten ließ, macht er Löw schwere Vorwürfe: "Ich habe gestern im Urlaub durch eine Pressemitteilung des DFB erfahren, dass der Bundestrainer nicht mehr mit mir plant. Form und Inhalt der Nachricht überraschen und enttäuschen mich zugleich, weil sie die vom Bundestrainer mir gegenüber gemachten Aussagen in keinster Weise widerspiegeln. Form und Inhalt der Mitteilung sind leider bezeichnend dafür, wie sich der Bundestrainer mir gegenüber seit meiner schweren Verletzung im Sommer letzten Jahres verhalten hat."

Ballack scheint tief verbittert zu sein über die Art und Weise, wie Löw zuletzt mit ihm umgegangen ist: "Wenn jetzt so getan wird, als sei man mit mir und meiner Rolle als Kapitän der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft jederzeit offen und ehrlich umgegangen, ist das an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten." Ein verabredetes Gespräch, das Löw in den vergangenen Wochen immer wieder annonciert hatte, gab es offenbar nicht.

Anders lässt sich auch der Verzicht auf einen Einsatz bei der Partie gegen Brasilien nicht erklären: "Ein längst vereinbartes Freundschaftsspiel jetzt als Abschied zu deklarieren, ist aus meiner Sicht eine Farce. Ich weiß, dass ich meinen Fans dieses Spiel eigentlich schuldig bin, aber ich kann dieses 'Angebot' nicht annehmen."

Er ist gekränkt, dieser Michael Ballack. Zumindest in der Öffentlichkeit hat er sich seit seiner Verletzung vor der WM 2010 - ein fieser Tritt des Ghanaers Kevin-Prince Boateng hatte ihn um seine Teilnahme gebracht - stets loyal gegenüber Löw und den Nationalelf-Kollegen verhalten. Dass er öffentlich um seinen Status als Kapitän gekämpft hat, ist ihm nicht vorzuhalten, das hatte zuvor auch Ersatz-Kapitän Philipp Lahm getan.

Was hinter den Kulissen geschehen ist, das wissen wohl nur Ballack, Löw und die Nationalelf-Kollegen. Kaum ein Mitspieler ist ihm in den vergangenen Monaten wirklich zur Seite gesprungen, diese Nationalelf, die acht Jahre lang abhängig war von ihrem prägenden Spieler, hat sich emanzipiert - auf dem Spielfeld und wohl auch abseits davon.

Freilich hätte Löw die Trennung von Ballack besser moderieren können, schon bei einem weiteren Führungsspieler des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends hatte sich Löw schwer getan, einen versöhnlichen Abschluss zu finden. Auch Torsten Frings hatte sich bitter enttäuscht gezeigt über die Art, wie Löw ihn aus dem Kader für die WM 2010 gestrichen hatte. "Nach der WM hätte ich meine Nationalelf-Laufbahn ohnehin beendet. Aber anständig! Nicht so im Vorübergehen. Nicht so, wie es nun passiert ist", hatte Frings gesagt.

Allerdings will sich Löw in der Causa Ballack nun keine Scheinheiligkeit vorwerfen lassen. "Ich weiß genau, was in meinen Gesprächen mit Michael besprochen wurde. An meinen Aussagen wird sich nichts ändern", ließ er am Samstag über den DFB mitteilen. Wie nun bekannt wurde, wollte der DFB Ballack nicht nur zur Partie gegen Brasilien einladen, sondern zuvor auch zum Spiel gegen Uruguay.

"Wir haben ihm angeboten, sowohl gegen Uruguay als auch gegen Brasilien zu spielen, um somit am 10. August in Stuttgart die außergewöhnliche Zahl des 100. Länderspiels zu erreichen. Einen Einsatz gegen Uruguay wollte Michael aber nicht, weil ihm die Zahl nicht so wichtig war, dass er sie unter allen Umständen erreichen wollte - so jedenfalls hat er es mir vermittelt", sagte DFB-Generalsekretär Wolfang Niersbach.

Von dieser Idee habe Ballack seit dem 30. März gewusst. Ein angeblich vereinbartes Gespräch über die Modalitäten der Veröffentlichung kam nach DFB-Darstellung aufgrund des Verhaltens von Ballack nicht mehr zustande, weshalb Löw nun wohl die Geduld verloren hat, stets ausweichend antworten zu müssen, wenn es um Ballack ging.

Weiter sagte Niersbach: "Dafür habe ich überhaupt kein Verständnis, schon gar nicht für Begriffe wie 'Scheinheiligkeit' und 'Farce', die er in diesem Zusammenhang gewählt hat. Aus meiner Sicht sind alle Gespräche absolut korrekt und fair verlaufen."

Niersbach sagte, der DFB habe Ballack offeriert, selbst den Rücktritt zu erklären. "Mir gegenüber hat er dann ergänzt, dass er sich erst nach den drei Länderspielen äußern wolle. Das haben wir akzeptiert", sagte Niersbach. Nach den Spielen gegen Uruguay, Österreich und Aserbaidschan sei es aber zu keinem Kontakt zwischen ihm selbst oder Joachim Löw zu Michael Ballack gekommen.

Ballack sei trotz aller Bemühungen, selbst über Dritte, nicht mehr erreichbar gewesen. Das Handy blieb aus. "Ich habe ihm am Tag des Länderspiels in Baku auf seine Mobilnummern jeweils eine SMS geschickt und außerdem auf Mailbox die Bitte hinterlegt, dass er sich bei mir melden solle. Es gab darauf ebenso wie auf einen Anruf und eine SMS des Bundestrainers keine Reaktion von ihm", sagte Niersbach. Ballack hatte offenbar die Möglichkeit, sich bis zum 15. Juni selbst zu erklären.

Der Abschied von Michael Ballack aus der Nationalelf verlief also denkbar ungünstig - wen letztlich die größere Schuld trifft an dieser verzwickten Situation, wird sich wohl nicht mehr eindeutig bestimmen lassen. Ballack wird beim Trainingsauftakt seines Vereins Bayer Leverkusen am Sonntag Gelegenheit zu einer weiteren Replik haben.

Fest steht derzeit nur: Michael Ballack wird wohl nicht mehr für die Nationalelf auflaufen, das Spiel gegen Argentinien im März 2010 in München (0:1) wird sein letztes gewesen sein. Und Nowitzki? Der feiert seinen NBA-Titel immer noch - und wird vom Deutschen Basketball-Bund beinahe gebettelt, doch bitte bei der Europameisterschaft im September in Litauen mitzuspielen.

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