Süddeutsche Zeitung

Alexander Zverev:Nach dem Schock

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Nach dem bösen Umknicken im Halbfinale verkündet Zverev eine erste Diagnose. Es würde so aussehen, als seien mehrere Bänder im Fuß gerissen. Aus der Sportwelt erhält er viel Zuspruch.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Wenn bei diesen French Open ein Tennismatch zu Ende gegangen ist, landet in der Regel schnell eine Mitteilung der Veranstalter in einer Whatsapp-Gruppe des Turniers, auf die auch die Medienvertreter Zugriff haben. Sie klingt dann etwa so: "Casper RUUD - 23:15 - PC1" - der Norweger kam also um Viertel nach Elf in den Pressekonferenzraum 1, das ist der größte Raum in der Pariser Tennisanlage. Ruud, 23, hatte am Freitagabend den Kroaten Marin Cilic, 33, mit 3:6, 6:4, 6:2, 6:2 besiegt und steht nun als erster Vertreter seines skandinavischen Landes in einem Grand-Slam-Finale.

Zu Alexander Zverev hieß es, er komme aufgrund seiner Verletzung nicht. Aber man bemühe sich um einen Kommentar. Doch es kam erst mal: nichts. Kein Statement, keine weitere Nachricht. So wurde auch der Schockzustand spürbar.

Der nächste Tag brach an, und dann meldete sich Zverev doch. Um 0.39 Uhr, es war jetzt Samstag, stellte Roland Garros, wie die French Open in Frankreich genannt werden, ein kleines Video in die Sozialen Medien: "Hey Leute, tja, das war heute ein sehr schwieriger Moment für mich auf dem Platz", begann der 25-jährige deutsche Tennisprofi auf Englisch seinen Vortrag. Er trug ein blaues T-Shirt, die Haare zerzaust, der Blick glasig. "Es war offensichtlich ein phantastisches Match, bis passierte, was passierte." Dann sprach er aus, was zu befürchten war: "Es sieht aus, als hätte ich eine sehr schwere Verletzung, aber das medizinische Team und die Ärzte checken es noch. Ich halte euch alle auf dem Laufenden." Ein paar Stunden später löste er sein Versprechen ein und schrieb vom Rollfeld des Flughafens, es würde so aussehen, als habe er sich "mehrere seitliche Bänder im rechten Fuß gerissen".

Ganz offensichtlich bemühte sich Zverev, tapfer zu wirken, und das war er in diesem Moment auch. Der Olympiasieger von Tokio hatte am Freitagnachmittag seine Halbfinalpartie um 15 Uhr begonnen und sich wunderbar gegen den 13-maligen French-Open-Sieger Nadal behauptet. Das Match war intensiv und knapp, Zverev verlor nach einer Stunde und 33 Minuten zwar den ersten Satz, in dem er sogar vier Satzbälle hatte. Im zweiten Satz aber war alles offen, er hatte Chancen, erstmals in seiner Karriere das Finale in Paris zu erreichen. Der 25-Jährige sehnt nichts mehr herbei als seinen ersten Triumph bei einem der vier größten Turniere in Melbourne, Paris, Wimbledon, New York. Doch unmittelbar im letzten Ballwechsel vor dem zweiten Tie-Break rutschte er nach rechts weg, blieb mit dem rechten Fuß auf dem Sandbelag hängen - und sein Fuß knickte komplett um.

Stich brauchte dreieinhalb Monate, um wieder fit zu werden

Marin Čilić, der im Inneren des Stadions die Partie verfolgt hatte, sagte später: "Ich wollte mir das in der Wiederholung nicht mehr ansehen, es sah so furchtbar aus." Und so war es. Zverev schrie, wälzte sich, Nadal kam zu ihm rüber, versuchte zu helfen. In einem Rollstuhl wurde Zverev zunächst hinausgeschoben, auf Krücken kam er dann zurück und gab auf. Die Menge applaudierte laut und rief seinen Namen. Alle fühlten mit. Nadal wurde beim Stand von 7:6 (8), 6:6 zum Sieger erklärt und erreichte damit zum sagenhaften 30. Mal ein Grand-Slam-Finale.

"Ich möchte natürlich Rafa gratulieren, und ich hoffe, dass er mit seinem 14. Titel weiter Geschichte schreiben kann", fügte Zverev im Video an. Er schluckte und verabschiedete sich mit den Worten "Sehen uns, Leute!" Die Frage wird nur sein: wann und wo? Andere Profis im Tennis sind bereits ähnlich umgeknickt und mussten lange eine Auszeit nehmen.

"Ich habe damals dreieinhalb Monate Pause machen müssen, hatte Reha und Wiederaufbautraining", erzählte Michael Stich beim Fernsehsender Sky. 1995 war der frühere Profi beim Turnier in Wien im Match gegen den Australier Todd Woodbridge auch mit dem Fuß hängengeblieben und hatte sich ihn komplett verdreht. "Als ich wiederkam, habe ich direkt das erste Turnier gewonnen und mich erneut verletzt", sagte der Wimbledon-Sieger von 1991. Er hätte damals das beste aus seiner Pause gemacht: "Ich habe die Zeit genutzt, um an meinem Spiel zu arbeiten, meine Schwächen zu identifizieren und mich neu herauszufordern", berichtete er, "vielleicht kann Alexander Zverev das ähnlich machen." Stich hat allerdings eine unangenehme Vorahnung: "So wie das aussah, könnte Wimbledon für ihn ausfallen. Aber er ist jung, und ich hoffe, dass er stärker zurückkommt." Das berühmte Rasen-Turnier im südwestlichen Stadtteil Londons startet Ende Juni.

Auch Zverevs Bruder Mischa äußerte sich betroffen. "Das ist sowas von unverdient. Da kann alles passieren, aber so etwas ist einfach nur unverdient", sagte der 34-Jährige als Experte beim Sender Eurosport. "Wenn du so verletzt bist wie Sascha jetzt, wird dir für eine gewisse Zeit ein Stück deines Lebens genommen, weil du nicht laufen, nicht auf den Tennisplatz gehen kannst."

Auch Zverevs Lebenspartnerin Sophia Thomalla hat sich inzwischen zu Wort gemeldet. "Mein Herz zerschellte in tausend Teile, als ich den Unfall sah. Sport kann so unfassbar grausam sein", schrieb die 32-Jährige auf Instagram.

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