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Alexander Zverev scheitert in Paris:Um zehn Zentimeter geschrumpft

Lesezeit: 4 min

Alexander Zverev verschläft den Start in sein Halbfinale bei den French Open - und findet nicht zurück ins Match. Sein Bezwinger Casper Ruud trifft im Endspiel auf Novak Djokovic, der erheblich von einem Körperkrampf seines Gegners Carlos Alcaraz profitiert.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Alexander Zverev ist jemand, der gerne ein Nickerchen macht, er hat das auf humorvolle Art bei diesen French Open erklärt. Als er gefragt wurde, warum er sich als Löwe sehe, wie er an anderer Stelle mal befand, da antwortete er schlagfertig: "Löwen schlafen 18 Stunden pro Tag, haben vier Stunden pro Tag Sex und essen für zwei? Das hört sich nicht so schlecht an, um ehrlich zu sein." Vor seinem Halbfinale am Freitag durfte sich Deutschlands bester Tennisprofi wie schon bei drei vorangegangenen Abendmatches, die er bestritten hatte, auf ein langes Warten gefasst machen. Da war also wieder Zeit zum Dösen.

Doch es kam anders. Das erste Halbfinale der Männer lautete ab 15 Uhr Carlos Alcaraz gegen Novak Djokovic, es war zunächst davon auszugehen, dass dieses Duell lange dauern würde. Der Spanier und der Serbe verhakten sich tatsächlich intensiv ineinander, nach 2:26 Stunden Spielzeit befanden sie sich gerade am Anfang des dritten Satzes. Da passierte etwas Unerwartetes: Alcaraz, der 20-Jährige aus El Palmar, zuckte zusammen. Es entwickelte sich ein rund einstündiges Verletzungsdrama, ab diesem Moment konnte sich Alcaraz nicht mehr wehren, auch wenn er zu Ende spielte. Später wurde klar: Er hatte eine Art Ganzkörperkrampf. Djokovic ging um kurz vor halb sieben nach dem 6:3, 5:7, 6:1, 6:1 als Sieger vom Platz. Für Zverev und Casper Ruud, die den zweiten Finalisten ermitteln durften, ging es nun sehr viel schneller als gedacht raus auf den Platz im Court Philippe-Chatrier.

Und von Beginn an zeigte sich: Dies sollte nicht der Abend von Zverev werden, dem die letzte Konsequenz im Spiel fehlte. Auch streute er zu viele Fehler ein. Ihm sei, sagt er später, "in den Hintern getreten" worden, so fühlte er sich. 6:3, 6:4, 6:0 setzte sich Ruud durch, der damit wieder im Finale von Paris steht. 2022 hatte er dort gegen Rafael Nadal verloren. Für Zverev, der gegen Ruud Oberschenkelprobleme hatte, war dieses Turnier dennoch ein Erfolg. Er erkannte das trotz der Enttäuschung: "Ich freue mich, dass ich so schnell nach der Verletzung wieder da bin, wo ich war." Ein Jahr nach dem Bänderriss, den er auf dem Court Philippe-Chatrier erlitten hatte, kam er erneut ins Halbfinale. Nun will er pausieren, sich erholen, in Stuttgart, wo er beim Rasenturnier antreten sollte, plant er - Stand Freitagabend - nicht zu spielen: "Mein Körper ist mir wichtig." Auf seinen ersehnten ersten Grand-Slam-Sieg muss er also weiter warten. In Wimbledon hat er die nächste Chance, aber dort sei es "schwieriger" für ihn, sagte er. Rasen liegt ihm bekanntlich nicht so sehr als Belag.

Im ersten Satz ging es zunächst turbulent zu, Zverev verlor sein Aufschlagspiel, dann Ruud, dann wieder Zverev. Dann spielte Ruud, 24, aus Oslo, stoisch sein Spiel herunter. Seinen Grundlinienschlägen gibt er so viel Spin mit, wie es nur wenige auf der Tour schaffen. Er verteilte die Bälle in die Ecken, ließ Zverev mehr oder weniger auflaufen. Der zweite Satz verlief ähnlich, dabei agierte Zverev gar nicht mal so schlecht - nur wusste er viel zu selten die Ballwechsel mit dem richtigen Schlag für sich zu entscheiden. Seine Körpersprache war im dritten Satz dann äußerst negativ, der 1,98 Meter große Mann wirkte um zehn Zentimeter geschrumpft. Ruud zog sein Spiel durch und jubelte nach 2:11 Stunden.

Djokovic kann nun seinen 23. Grand-Slam-Titel gewinnen - und sich von Nadal absetzen

Das erste Halbfinale war mit großer Spannung erwartet worden, die französische Sporttageszeitung L'Équipe kündigte gar in riesigen Buchstaben auf der Titelseite einen "Generationenkonflikt" an. Und tatsächlich war das Duell zwischen dem Weltranglistenersten Alcaraz, 20, und dem Weltranglistendritten Djokovic, 36, zwei Sätze lang ausgeglichen und oft mitreißend. Aus Sicht des Spaniers stand es 3:6, 7:5, 1:0, 30:40, als er einen Return beim Aufschlag des Serben schlug - und bei seinem Vorhandfehler zusammenzuckte.

Er fasste sich an seinen Schlagarm, dann schüttelte er sein rechtes Bein. Er musste sich behandeln lassen, und da dies nicht während eines Seitenwechsels oder Satzendes geschah, wurde seinem Gegner ein Spiel zugesprochen - 2:1. Alcaraz spielte zwar faktisch die Partie zu Ende, aber er konnte sich nicht mehr normal bewegen und wehren. Nach 3:22 Stunden verwandelte Djokovic den ersten Matchball. Er kann am Sonntag der älteste Sieger der French Open werden. Nach dem 6:3, 5:7, 6:1, 6:1-Erfolg in seinem 45. Grand-Slam-Semifinale erreichte er zum bereits siebten Mal in Paris und zum 34. Mal insgesamt ein Finale bei einem der vier wichtigsten Tennisturniere. Djokovic visiert dabei seinen 23. Grand-Slam-Sieg an - im Erfolgsfall würde er sich von Co-Rekordhalter Rafael Nadal (22) au Spanien absetzen.

Alcaraz wurde mit aufmunterndem Applaus vom Court Philipe-Chatrier verabschiedet. Djokovic, der aufgrund einer etwas zu deutlichen Jubelgeste ein paar Buhrufe kassierte, sagte beim Interview auf dem Platz: "Als Erstes muss ich sagen, das war großes Pech für Carlos." Das Letzte, was man wolle, sei, eine Partie so zu beenden. "Ich fühle mit ihm." Es sei schwer für Alcaraz gewesen, mit der Situation umzugehen, "er wusste nicht, wie er weiterspielen sollte. Gratulation für seinen Kampfgeist." Da gab es freundlichen Applaus. Djokovic gab zu: "Es war ein anderes Match" - er meinte, ab dem Augenblick, als sich Alcaraz verletzte. Die Stimmung war gedämpft, als er ging, auch wenn einige seinen Namen riefen.

Alcaraz hatte noch versucht, sich von dem körperlichen Problem zu erholen. Bei 1:4 im dritten Satz wurde er behandelt, in der Seitenwechselpause. Ein Physiotherapeut massierte die Beine, rieb die Oberschenkel augenscheinlich mit einer Substanz ein. Nach dem verlorenen dritten Satz verließ er den Platz mit einem Betreuer, diesmal nahm er eine reguläre Behandlungspause, ohne Sanktion. Doch das Match war gelaufen.

"Der zweite Satz war wirklich intensiv. Mein Arm hat dann angefangen zu krampfen", sagte Alcaraz auf der Pressekonferenz. "Mit Beginn des dritten Satzes hat dann mein ganzer Körper angefangen zu krampfen." Er habe vor dem Match keine Beschwerden gehabt und sich gut gefühlt, gab er zu verstehen. "Ich denke, es war eine Kombination vieler Dinge. Der Hauptgrund war aber die Spannung." Es wird Alcaraz nicht trösten, aber wenigstens glückte ihm der spektakulärste Schlag des Turniers. Im Rückwärtslaufen hatte er einen nach hinten fliegenden Ball eingeholt und mit einer artistischen Drehung zurückgeschlagen - der Ball passierte Djokovic. Die Zuschauer rasteten aus, nicht ahnend, welchen Verlauf dieses Match noch nehmen würde.

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