Süddeutsche Zeitung

Halbfinale im DFB-Pokal:Das teuflische Metronom tickt und tickt

Lesezeit: 4 min

Feinfüßig, mit versiertem Kurzpassspiel und klar definierten Abständen, so fertigt Leverkusen auch Düsseldorf mit 4:0 ab - Xabi Alonso erreicht sein erstes Finale als Profi-Coach und trifft nun in Berlin auf einen bekennenden Laptop-Trainer-Verlacher.

Von Philipp Schneider, Leverkusen

Ach, Xabi Alonso müsste man sein! Alonso, der Unbesiegte. Steht dort im sanften Frühjahrswind an der Seitenlinie, gut sieht er aus, und über seinem Kopf leuchtet die Anzeigetafel wie ein Heiligenschein. Bayer Leverkusen: 4 - Fortuna Düsseldorf: 0. Kein Wunder, dass alle Klubs diesen Spanier haben wollen! Seinen ewigen Wollpulli trägt er mal wieder, der so fein gestrickt ist, wie seine Mannschaft heute wieder spielt. Dazu Jeans und weiße Sneaker.

Es läuft die 64. Minute, Alonso lässt den Blick über seine Reservebank streifen, er findet dort auch Victor Boniface, seinen Wirbelwind-Stürmer, der erstmals seit Dezember wieder im Aufgebot ist. Wechseln müsste er eigentlich nicht. Andererseits: Warum denn nicht noch ein kleines und garantiert folgenschweres Comeback zelebrieren? Untermalt von Leverkusener Jubelstürmen trabt der 23-jährige Nigerianer auf den Rasen.

Als sich Boniface vor Weihnachten verletzte, da dachten manche: Das war's wohl mit dem Traum von drei Pokalen in einer Saison für Bayer Vizekusen! Wie sollte es die Budget-Truppe von Xabi Alonso mit den schwerreichen Münchnern aufnehmen, wenn auch noch der wichtigste Spieler ausfällt?

Aber jetzt, dreieinhalb Monate später? Steht Alonso am Spielfeldrand, und die besten Klubs der Welt waren vergeblich hinter ihm her. Weil sie alle begriffen haben, dass eine Mannschaft von Alonso eine Trainermannschaft ist. Nicht nur Boniface, alle Spieler sind ersetzbar: 13 Punkte Vorsprung in der Liga hat Leverkusen, die Meisterschaft ist ihnen nicht einmal dann noch zu nehmen, wenn der Osterhase doch schon mal der Nikolaus war, die Europa League können sie ebenfalls gewinnen - und jetzt also: Steht der Klub auch noch im Finale des DFB-Pokals. Nach einem 4:0 (3:0) gegen den hoffnungslos überforderten Zweitligisten Fortuna Düsseldorf. Für Alonso bedeutet dieser Erfolg seine erste Finalteilnahme als Trainer. Und nicht nur Krake Paul wettet: Es war garantiert nicht seine letzte.

Nach Berlin zum Finale reisen die Leverkusener Ende Mai, noch einmal müssen sie gegen einen Zweitligisten bestehen, der dann vom sogenannten Betzenberg anreist und von Friedhelm Funkel gecoacht wird. Nur noch der leidenschaftliche Karnevalist und alte Trainerfuchs steht also zwischen Alonso und dem DFB-Pokal, den sich als letzte und bislang einzige Leverkusener Mannschaft jene legendäre Truppe um Ulf Kirsten, Andreas Thom, Christian Wörns und Franco Foda griff - 1993 war das. Welch herrliche Pointe wäre es, würde ausgerechnet der 70-jährige Funkel, ein bekennender Laptop-Trainer-Verlacher, dem Taktikgrübler Xabi Alonso seine erste Saison-Niederlage zufügen?

Die Leverkusener legten los in diesem Halbfinale, wie sie der neutrale Beobachter lieben gelernt hat zuletzt. Feinfüßig, mit versiertem Kurzpassspiel und klar definierten Abständen, die Alonso am Spielfeldrand mit einem unsichtbaren und riesenhaften Zirkel gezogen haben musste. Die Düsseldorfer sahen staunend dabei zu, wie der Ball links an ihnen vorbeirauschte, dann rechts an ihnen vorbeirollte. Ein nervtötendes Gefühl des Immergleichen überkam die Gäste, das alle Kinder kennen, die schon mal beim Blockflötenunterricht vor einem Metronom gestanden haben. Die Herausforderung besteht für eine von der gegnerischen Ballkontrolle hoffnungslos überforderte Mannschaft darin, nicht in Trance zu verfallen und geistesgegenwärtig zu bleiben, in jenen Momenten, in denen die Leverkusener überfallartig in den Strafraum passen. Das ist so gut wie unmöglich.

Nach vier Minuten klärte Emmanuel Iyoha noch in letzter Sekunde vor dem einschussbereit lauernden Jeremie Frimpong; drei Minuten später war dann aber niemand zur Stelle, als Frimpong, freigespielt diesmal von Granit Xhaka, den Ball unter die Latte hämmerte. Ein sehr früher Rückstand, der dem Zweitligisten, man muss es so sagen, bei Betrachtung seines ursprünglichen strategischen Konzepts übel aufgestoßen haben dürfte. Was sollten die Düsseldorfer tun? Mehr Ballbesitz wagen gegen die Meister des Ballbesitzes? Oder doch weiterhin auf Konter lauern?

Während die Gäste noch grübelten, wurde ihnen die Entscheidung über eine neue strategische Ausrichtung abgenommen, indem die Leverkusener sie mit ihrem Fußball einfach permanent weiter überforderten: Gerade erst hatten die Düsseldorfer bei einem ihrer seltenen Angriffsversuche jenseits der Mittellinie den Ball verloren, da leitete Florian Wirtz ein Überfallkommando an. Unversehens tat sich vor ihm so viel unbesiedeltes Land auf, dass er sich fragen musste, ob die Düsseldorfer die Grenze zwischen Mut und Leichtsinn für einen Augenblick überschritten hatten. Den Konter garnierte Wirtz mit einem umsichtigen Pass auf den besser positionierten Amine Adli. Dessen Flachschuss bahnte sich den Weg vorbei an Florian Kastenmeier: 2:0. Und die arme Fortuna musste ja noch ganze 70 Minuten durchhalten...

Anstatt den Fuß leicht vom Gaspedal zu lupfen, betrieben die Leverkusener ihr teuflisches Metronom auf enervierende Weise weiter. Hin und wieder streuten sie noch ein paar Kunststückchen ein - wie jene herrliche Direktabnahme von Alejandro Grimaldo in die Arme Kastenmeiers, die beim verwöhnten Tabellenführer-Publikum für ein Raunen sorgte, als sei ein sibirischer Tiger durch einen brennenden Ring gesprungen, ohne sich dabei den Schwanz zu entflammen.

Der fabelhafte Florian Wirtz ist gegen Düsseldorf überall

Die inspirierende Zirkusnummer ließ offenbar auch den bis dahin tadellosen Düsseldorfer Schlussmann nicht unbeeindruckt. Anstatt zu klären, passte Kastenmeier unsauber ins Zentrum und genau in die Füße von Robert Andrich. Der Nationalspieler setzte Adli ein, der wiederum Wirtz mitnahm: ein herrlicher Abschluss mit dem linken Fuß, ein Ballflug ins rechte Eck. Und ein Pausenpfiff, von dem sich die Düsseldorfer wünschten, er klänge nicht nur so ähnlich wie der Schlusspfiff.

Es ist wahrlich nicht einfach, sich beim Stande von 0:3 für eine zweite Halbzeit gegen eine Mannschaft zu begeistern, zu deren Spezialqualifikationen es gehört, notfalls eine Partie in der Nachspielzeit zu drehen. Diese Einsicht im Hinterkopf traten die sich anständig wehrenden Düsseldorfer ihre Heimreise doch noch wie Ehrenmänner an. Nach einem Handspiel von Matthias Zimmermann verwandelte der fabelhafte Wirtz noch einen Elfmeter - und eine halbe Stunde später war die Fortuna endlich erlöst. Tick, tack.

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