Süddeutsche Zeitung

4:1 gegen Hertha:Bayern nähert sich dem seligen Normalzustand

Lesezeit: 3 min

Nach turbulenten Wochen gelingt den Münchnern ein überzeugender wie souveräner Sieg - Dortmund bleibt auf Abstand. Eine überforderte Hertha schrammt knapp an der Blamage vorbei.

Von Claudio Catuogno, Berlin

Beim FC Bayern hatte sich vor dem Spiel in Berlin die Lage entspannt, was man auch daran ablesen konnte, dass der Luci und der Upa keinen Alarm meldeten, wovon sogleich der Benji und der Josh profitierten. Ja, so heißen die Spieler des Münchner Rekordmeisters jetzt. Da mochte sich der Ehrenvorsitzende Uli Hoeneß unter der Woche noch so "verwundert" gezeigt haben über die große "Reife", mit welcher der immer noch erst 34 Jahre alte Trainer Julian Nagelsmann an der Säbener Straße agiert. Aber wenn es um seine "Jungs" geht, dann kennt die Verniedlichung bei Nagelsmann keine Grenzen, und definitiv kann man ausschließen, dass das bayerische Gstanzl "Nenn mich nicht mehr Häselein in der Öffentlichkeit" Teil seiner Trainingsphilosophie ist.

"Wenn Luci und Upa nichts mehr signalisieren, wird Benji wieder nach rechts rücken" - so lautete jedenfalls eine von Nagelsmanns taktischen Ankündigungen am Freitag, und so kam es dann auch, jedenfalls so ähnlich: Lucas "Luci" Hernández kehrte im Sonntagsspiel bei Hertha BSC nach überstandener Corona-Infektion in die Abwehrreihe zurück, Benjamin "Benji" Pavard durfte wieder nach rechts hinaus rücken, und Joshua "Josh" Kimmich konnte seinen Lieblingsplatz im zentralen Mittelfeld einnehmen. Zwar blieb Dayot "Upa" Upamecano zunächst auf der Bank, aber Nagelsmann stellte auf eine Dreierkette um, mit Niklas Süle in der Zentrale, so ging die Rochade auf.

Auch Leroy Sané und Kingsley Coman spielten erstmals seit ihrer Corona-Infektion wieder von Beginn an. Die Bayern nähern sich also wieder ihrem seligen Normalzustand - und der Rest der Liga hat darunter zu leiden, in diesem Fall die sowieso schon sehr leidende Hauptstadt-Hertha.

Zwar wurden Treffer von Corentin Tolisso (2. Minute, Abseits) sowie Leroy Sané (89., Handspiel) vom Videogericht storniert - quasi als Rahmenhandlung des Abends. Doch am Ende stand für den Tabellenführer aus München ein lockerer 4:1-Erfolg zu Buche, der den Abstand auf Borussia Dortmund bei sechs Punkten einfriert. Und auch, wenn in der Bundesligastatistik nicht Tolli, Mülli, Sanni und Serdschi die Tore erzielten, sondern Tolisso, Thomas Müller, Sané sowie Serge Gnabry, war Nagelsmann zufrieden. Die erste Halbzeit nannte er sogar "die beste der Saison", so "konzentriert uns scharf im Gegenpressing" hätten seine Bayern agiert. Und die Jungs waren auch happy: "Wir haben Berlin von Anfang an eingeschnürt und überhaupt nichts anbrennen lassen. Das war ein absolut schöner Fußballtag", sagte Thomas Müller.

Die organisierte Fanszene "besucht" Hertha beim Training

Bei der Hertha hatte sich die Lage zuvor alles andere als entspannt, was man an dem Polizeieinsatz ablesen konnte, der am Freitag am Trainingsgelände notwendig war. Eine nichtöffentliche Einheit stand eigentlich auf dem Programm - laut Augenzeugen, die ihre Handyfilmchen bereitwillig mit den Berliner Medien teilten, kamen die knapp 100 Mitglieder der organisierten Fanszene aber auch gar nicht zum Zugucken vorbei. Auf dem Trainingsrasen stellten einige von ihnen die Profis zur Rede. Als die Sirenen näher kamen, nahmen sie Reißaus, oder, wie der Verein es ausdrückte: "Sie haben das Gelände geordnet wieder verlassen, nachdem sie der Mannschaft ihre Botschaft übermittelt haben."

Der konkrete Anlass für die furchteinflößende Aktion war wohl die Pokal-Niederlage unter der Woche gegen den Stadtrivalen Union gewesen, der tiefere Grund die blutleeren Auftritte der vergangenen Wochen. Die Liste der Rückschläge wäre aber auch ohne die Drohgebärden voller geworden: Stürmer Davie Selke musste sich nach einem Positivtest am Spieltag in Isolation begeben, die angeschlagenen Niklas Stark und Jordan Torunarigha standen nicht im Kader. Dafür feierte der erst 17-jährige Linus Gechter sein Startelf-Debüt in der Bundesliga. Wenngleich das Wort "feiern" hier allenfalls als Floskel durchgeht, der Abend war vor allem harte Arbeit.

Zwar gelangen den Berlinern durchaus ein paar wenige Angriffe, etwa in der 52. Minute, als Ishak Belfodil sich im Mittelfeld behauptete und der Ball dann über Maximilian Mittelstädt bis zum heranrutschenden Vladimir Darida gelangte. Aber Herthas Regisseur bugsierte ihn am Pfosten vorbei. Und wenn der Hertha mal ein paar überraschende Umschaltmomente glückten, dann fing meistens Manuel (Nagelsmann: "der Manu") Neuer die Pässe ab. Die Ankündigung des Trainers Tayfun Korkut, man wolle den Bayern "mit unserer Art und Weise weh tun", ist jedenfalls nicht aufgegangen. Um den Münchnern ernsthafte Schmerzen zuzufügen, dafür reicht derzeit aber nicht nur bei den Berlinern die Art und Weise nicht aus.

Nur Upamecano misslingt ein Rückpass

Konsequent giftiges Pressing, dazu dieses von Nagelsmann noch verfeinerte Angriffsspiel, bei dem der Ball stets zügig aber planvoll seinen Weg bis vor das gegnerische Tor findet - sehr viel mehr braucht es gegen Gegner wie die Hertha nicht.

Einmal hielt am Ende Tolisso den Kopf hin (25.), einmal Müller den Fuß nach einem Freistoß (45.), und als Hertha-Torwart Alexander Schwolow einmal ein Pass auf den armen Defensiv-Teenie Gechter misslang, sprintete Sané dazwischen - 3:0 (75.). Dann ein schöner Pass von Kimmich in den Lauf von Gnabry - 4:0 (79.). Am Ende mussten sich die Berliner arg zusammenreißen, um die Grenze zur Blamage nicht allzu weit zu überschreiten, was auch deshalb gelang, weil dem spät eingewechselten Bayern-Verteidiger "Upa" Upamecano gleich ein Rückpass grotesk misslang, woraufhin Jürgen Ekkelenkamp zum 1:4 verkürzte (80.). Jetzt müsse man schauen, sagte Tayfun Korkut, "dass wir die Woche schnell hinter uns bringen und uns auf die nächsten Spiele und Wochen konzentrieren".

Immerhin, den Berlinern blieb ihr Galgenhumor. "Wenigstens das Wetter ist gut", sagte der Stadionsprecher, "... ah, nee." Dabei war das Wetter gar nicht so schlecht.

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