Familienförderung

Ein Land für Kinder?

Praktisch überall in Europa versuchen die Regierungen, die Geburtenraten in die Höhe zu treiben, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Eines lässt sich dabei ziemlich leicht feststellen: Mehr Geld allein hilft gar nichts.

18. Juli 2023

Familienpolitik wird wieder zum Streitfall in Deutschland. Paare mit hohem Einkommen sollen kein Elterngeld mehr erhalten, so lautet der emotional diskutierte Plan der Familienministerin. Und über die Zukunft des Ehegatten-Splittings bahnt sich gerade ebenfalls neuer Krach in der Koalition an. Wie sieht es in anderen europäischen Ländern aus: Wie entwickeln sich die Geburtenraten, wie ist die staatliche Förderung für Familien, wie steht es um die Gleichberechtigung?

Polen

Spanien oder Italien mögen neidvoll auf die polnische Geburtenrate blicken – doch im direkten Vergleich mit seinen EU-Nachbarn bildet Polen mit 1,33 (in 2021) das Schlusslicht. Daran konnte bislang auch das Programm Familie 500+ nichts ändern. Seit die PiS-Regierung an der Macht ist, seit Anfang 2016, erhält jede Familie für jedes Kind unabhängig vom Einkommen monatlich 500 Złoty, und das bis zum 18. Geburtstag. Umgerechnet etwa 112 Euro.

Die PiS-Regierung vernachlässigt die Gesundheitsversorgung, schafft in den Schulen die Sexualkunde ab, schränkt den Zugang zu Verhütungsmitteln ein und erlaubt Abtreibungen nur nach Vergewaltigung, Inzest oder Gefahr für das Leben der Mutter. Doch das Programm 500+ ist als wichtige sozialpolitische Maßnahme recht unumstritten. Im Wahlkampf haben sich die PiS und ihr größter Gegner, Donald Tusks PO, gegenseitig mit noch besseren Leistungen überboten. Nun verspricht die PiS von 2024 an ein Erziehungsgeld von 800 Złoty. Finanzierung ungeklärt.

Dass es aber mit der Geburtenrate trotzdem nicht aufwärtsgeht, das liegt nach Meinung von Frauenrechtlerinnen auch am Abtreibungsverbot. Junge Frauen hätten Angst, schwanger zu werden. Denn schon mehrmals sind Schwangere in polnischen Krankenhäusern gestorben. In allen Fällen war zuvor der Fötus im Mutterleib abgestorben. Wenn nicht rasch eingegriffen wird, führt das zu tödlicher Sepsis. Doch auch wegen fehlender Betreuungsplätze haben es vor allem Frauen schwer, wieder in den Beruf zu finden. Erst nach dem dritten Geburtstag des Kindes gibt es einen Anspruch auf einen kostenfreien Betreuungsplatz. Ob der Vater oder die Mutter Erziehungsurlaub nimmt, ist dem Gesetzgeber egal, Betreuungsgeld bekommt derjenige, der sich kümmert. Um die Geburtenrate zu erhöhen, beteiligen sich mehrere Städte an den Kosten für In-vitro-Fertilisationen. Unter der PO-Regierung war das ein nationales Programm, das die PiS aber beendete.

Österreich

Was Sozialleistungen für Eltern angeht, ist Österreich im europäischen Vergleich durchaus großzügig: Es gibt ein einkommensabhängiges Elterngeld von 80 Prozent des Einkommens, maximal 2100 Euro im Monat – oder aber wahlweise verschiedene Modelle eines pauschalen Elterngeldes, etwa für Menschen, die vor der Geburt nicht erwerbstätig waren. Es gibt einen Familienzeitbonus und ein nach dem Alter gestaffeltes Kindergeld. Die Regierungspartei ÖVP hatte sich zuletzt – aufgrund des massiven Fachkräftemangels und der hohen Teilzeitquote von Frauen – sogar für einen Ausbau der Kinderbetreuung ausgesprochen.

Auf dem Papier sieht das alles gut aus, aber in der Praxis fehlt es vor allem am Wesentlichen: an der Wahlfreiheit. Es bleibt bei schönen Worten, denn nicht nur, aber vor allem da, wo die FPÖ mitregiert, wird stattdessen Retropolitik gemacht. In Salzburg haben die Rechtspopulisten eine „Herdprämie“ in die Koalitionsvereinbarung hineinschreiben lassen, in Niederösterreich fordert die FPÖ ein „Landeskindergeld“ für Eltern, die ihren Nachwuchs zu Hause betreuen, in Oberösterreich gibt es die „Herdprämie“ seit Jahren. Zugleich fehlt es in allen konservativ regierten Bundesländern massiv an Kindergartenplätzen. Fast zwei Monate im Jahr, weit länger als jeder Urlaubsanspruch, sind mehr als ein Zehntel der Kindergärten geschlossen. Salzburg bietet für gerade mal 24 Prozent der unter Dreijährigen Betreuungsplätze an.

Die Geburtenrate sinkt derweil (2021 lag sie bei 1,48). Die Antwort der FPÖ darauf, die in Umfragen als stärkste Partei gerade bei etwa 30 Prozent liegt: „Österreich ist kein Einwanderungsland. Wir verfolgen daher eine geburtenorientierte Familienpolitik.“ Diese soll durch die „Vorrangstellung der Ehe zwischen Mann und Frau als besondere Form des Schutzes des Kindeswohls“ gefördert werden. „Die Betreuung von Kindern in familiärer Geborgenheit wird von uns staatlichen Ersatzmaßnahmen vorgezogen.“

Großbritannien

Die Briten werden historisch gesehen meist von den konservativen Tories regiert, und die verfolgen den grundlegenden Ansatz, der Staat solle möglichst wenig eingreifen, ergo regulieren oder helfen. Für Eltern gibt es entsprechend wenig finanzielle Unterstützung. Für wen, wann und wie viel es doch gibt, das ist nicht ganz unkompliziert.

Maßgeblich ist immer die Ausgangslage der Mutter (egal, ob leiblich oder adoptiv). War die Mutter vor der Schwangerschaft fest angestellte Arbeitnehmerin und hat dabei ein bestimmtes Mindestgehalt verdient, stehen den Eltern bis zu 39 Wochen staatlich bezahlte Elternzeit zu, wobei es den Eltern obliegt, wie sie diese 39 Wochen aufteilen. Bezahlt werden dann 90 Prozent des Gehalts der Mutter, während der ersten sechs Wochen ohne Obergrenze. Diese Sechs-Wochen-Phase kann auch schon während der Schwangerschaft beginnen, etwa wenn die Mutter arbeitsunfähig ist. Für die restlichen 33 Wochen gibt es nur noch maximal rund 172 Pfund (200 Euro) pro Woche. War die Mutter vor der Schwangerschaft nicht fest angestellt berufstätig, kann der Vater maximal zwei Wochen bezahlte Elternzeit beantragen, bekommt dafür aber auch nur 172 Pfund pro Woche. Verdient der Haushalt insgesamt wenig, sind immerhin andere Sozialleistungen möglich, etwa ein Zuschuss zur Miete oder zu den Kosten für die Kinderbetreuung.

Die Kombination aus vergleichsweise geringfügiger finanzieller Unterstützung durch den Staat und allgemein steigenden Lebenshaltungskosten hat natürlich Folgen für die Art, wie britische Familien leben und arbeiten. Das Nationale Statistikbüro stellt dazu fest, seit 2020 sei es „üblich geworden, dass beide Eltern Vollzeit arbeiten“, anders als früher, als in der typischen britischen Familie ein Elternteil höchstens Teilzeit arbeitete. Familienpolitik ist zwar auch im Vereinigten Königreich ein Thema, das immer wieder eine Rolle spielt – zumindest für die aktuelle Regierung der Tories aber keine zentrale. Premierminister Rishi Sunak hat bis zur Wahl im kommenden Jahr fünf Ziele ausgegeben, in denen es um Flüchtlinge geht und die wirtschaftlich schlechte Lage im Land. Familien kommen dabei nicht vor.

Spanien

Die vergleichsweise niedrige Geburtenrate (1,19 in 2021) zu erhöhen, haben sich in Spanien vor allem rechte Parteien auf die Fahne geschrieben. Der noch amtierenden linken Regierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez ging es mit ihren familienpolitischen Maßnahmen eher darum, die Gleichstellung von Mann und Frau zu fördern. Die Regierung hat vor zweieinhalb Jahren die Regelung von Elternzeit und Elterngeld angepasst. Seitdem haben Väter in Spanien Anspruch auf eine ebenso lange Elternzeit wie Mütter, nämlich 16 Wochen. Und nicht nur das: Die ersten sechs Wochen Elternzeit unmittelbar nach der Geburt sind für die Väter sogar obligatorisch. Danach ist es ihnen freigestellt, ob sie die weitere Erziehungszeit am Stück oder als einzelne Wochen bis zum ersten Geburtstag des Kindes in Anspruch nehmen. Während der Amtszeit von Sánchez wurde die Elternzeit für Väter sukzessive verlängert. Von vier Wochen im Jahr 2018 auf acht, dann zwölf und schließlich 16 Wochen. Väter können ihre Wochen nicht auf die Mütter übertragen. So versucht man zu verhindern, was in Deutschland noch üblich ist: dass Mütter deutlich mehr Elternzeit nehmen als Väter.

Als der jüngste Schritt kam, feierten viele Feministinnen ihn als „historisch“. Immerhin wissen Arbeitgeber nun, dass jeder, egal, ob Mann oder Frau, nach der Geburt erst einmal zu Hause bleiben wird. Allerdings gibt es auch Kritik: Viele halten die 16 Wochen Erziehungszeit pro Partner für zu kurz. Zumal nicht für alle Kinder ein Platz in einer öffentlichen Kita zur Verfügung steht. Und diejenigen, die dann zu Hause bleiben, wenn das Geld für eine Nanny nicht reicht, sind am Ende eben oft doch wieder die Frauen.

Während der insgesamt maximal acht Monate Elternzeit erhalten Vater und Mutter in Spanien vollen Lohnausgleich. Ein Kindergeld wie in Deutschland gibt es hier allerdings nicht. Eine Ausnahme gilt für Kinder, die eine Behinderung haben. Alleinerziehende oder Eltern einer kinderreichen Familie (mit drei oder mehr Kindern) erhalten nach der Geburt eine Einmalzahlung von 1000 Euro.

Italien

In Spanien träumen die politisch ganz Rechten noch davon, die Macht zu übernehmen, in Italien führen sie bereits die Regierung an. Klar, dass ihnen die dramatisch niedrige Geburtenrate (1,25 im Jahr 2021) Sorgen bereitet: Die Zahl der Neugeborenen ist 2022 erstmals unter die Schwelle von 400 000 gefallen, die Einwohnerzahl Italiens sinkt seit Jahren kontinuierlich, auf zuletzt 58,85 Millionen Menschen, bis 2060 könnte die Zahl auf 37 Millionen schrumpfen. Die Fratelli d’Italia der Ministerpräsidentin Giorgia Meloni reden davon, dass es keine „ethnische Substituierung“ geben dürfe, also keinen „Bevölkerungsaustausch“ der Italiener gegen Einwanderer; die Verwendung des faschistischen Vokabulars führte zu einem Sturm der Empörung bei gemäßigten Kräften.

Bisher aber hat Meloni keine Strategie entwickelt, den Bevölkerungsschwund zu stoppen und damit der Wirtschaft mehr Arbeitskräfte und den Sozialsystemen mehr Zahler zu verschaffen. Die Betonung konservativer Familienwerte reicht offenkundig nicht aus, um den Trend zu drehen. Über mehr Betreuungseinrichtungen wird zwar geredet, und es sind sogar 4,6 Milliarden Euro vor allem aus EU-Töpfen vorhanden. Doch das Land schafft es nicht, flächendeckend den Bau von mehr Kitas hinzubekommen. Auch ein Freibetrag von 950 Euro je Kind und das unter der Vorgängerregierung von Mario Draghi deutlich erhöhte Kindergeld setzen keine Anreize. Insgesamt liegt Italien innerhalb der Gruppe der OECD-Industrieländer, was die finanzielle Unterstützung von Kindern angeht, blamabel im hinteren Drittel. Von gleichen Bedingungen für Väter und Mütter kann keine Rede sein, so können Mütter fünf Monate Elternurlaub nehmen bei 80 Prozent des Gehalts, Väter nur zehn Tage – bei 100 Prozent des Gehalts.

Frankreich

Frankreich wird in Deutschland oft als Vorbild genannt: Nimmt man als Maßstab eines der wichtigsten Ziele von Familienpolitik, viel Nachwuchs, stimmt die Einschätzung auch. In Frankreich werden deutlich mehr Kinder geboren, das Land steht seit Langem an der Spitze in der EU, der Staat hat seit dem Krieg gezielt darauf hingearbeitet. Die Geburtenrate ist zwar zuletzt gesunken, liegt mit etwa 1,8 Kindern aber noch weit über der deutschen, die um die 1,5 schwankt. Frauen bleiben nicht nur seltener kinderlos, sie haben auch häufiger große Familien mit drei oder mehr Kindern.

Die Gründe sind vielfältig. Im Vordergrund stünden wirtschaftliche Faktoren, hieß es 2020 in einer Vergleichsstudie des Europäischen Zentrums für Wirtschaftsforschung. Das bessere Betreuungsangebot vereinfache seit Jahrzehnten die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Viele französische Frauen fangen bald nach der Geburt an, wieder zu arbeiten. Zwischen zwei Geburten steigen sie in der Regel nicht aus dem Beruf aus. Die Kleinen werden bei Tageseltern oder in der Krippe untergebracht, wo allerdings Plätze fehlen. Mit drei Jahren kommen sie in die école maternelle, die Vorschule. Auch in Frankreich sinkt die Kinderrate mit besserer Ausbildung der Eltern, allerdings längst nicht so wie in Deutschland. Mehr Frauen arbeiten Vollzeit. Auf die Gleichberechtigung wirkt sich das alles positiv aus, bedeutet aber auch viel Stress für Frauen, die weiterhin die weitaus größte Last tragen.

Die Sozialleistungen für Familien liegen deutlich über EU-Durchschnitt. Neben einer Geburtsprämie gibt es ab dem zweiten Kind Kindergeld, bei drei oder mehr Kindern zusätzlich eine Pauschalbeihilfe. Mütter haben Anspruch auf mindestens 16 Wochen bezahlten Mutterschaftsurlaub, der ab dem dritten Kind verlängert wird. Sie können beim Arbeitgeber bis zu drei Jahre Erziehungszeit beantragen, erhalten dabei aber eine vergleichsweise geringe Unterstützung. Steuerlich profitieren französische Paare von einem Familiensplitting, das sich im Effekt kaum vom deutschen System unterscheidet; statt Kinderfreibeträgen gibt es aber zusätzliche Splittingfaktoren für Kinder. Die Förderung beim dritten Kind ist doppelt so hoch wie beim zweiten.

Digitales Storytelling: Carolin Werthmann, Digitales Design: Florian Gmach, Luisa Benita Danzer