Süddeutsche Zeitung

Wolf Biermann im Bundestag:"Drachentöter" von Lammerts Gnaden

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Demut ist ihm wesensfremd - deswegen ignoriert Wolf Biermann die Hinweise von Bundestagspräsident Lammert und redet im Parlament. Er geht auf die Linksfraktion los und beschimpft sie als "Drachenbrut". Zum "Drachentöten" hatte er zuletzt wenig Gelegenheit.

Von Willi Winkler

Biermann hat wieder einmal den Mund zu weit aufgemacht. Bundestagspräsident Norbert Lammert hatte den fast 78 Jahre alten Liedermacher zur Feierstunde in den Deutschen Bundestag eingeladen, und Biermann beschimpfte die Abgeordneten der Linken als "Drachenbrut", selbstverständlich nicht, ohne bei dieser günstigen Gelegenheit auf seinen eigenen Ruf als "Drachentöter" zu verweisen.

Damit verstieß er gegen das Reglement, denn im Bundestag reden - von gelegentlichen Ehrengästen wie dem vorigen Papst abgesehen - nur die gewählten Abgeordneten. Wolf Biermann sollte nur etwas klampfen und singen, nicht reden, doch das Reden wollte er sich nicht verbieten lassen. Biermann hat relativ wenig Ähnlichkeit mit einem Streichquartett, Demut ist ihm wesensfremd, Lammert hätte also wissen können, wen er gegen demokratisch gewählte Abgeordnete in Stellung brachte: einen unbezwingbaren Redner, der sich für die Stimme des Volkes hält.

Der vielversprechende 16-jährige Kommunist Wolf Biermann wurde 1953, kurz vor dem Arbeiteraufstand vom 17. Juni, in die DDR geholt, wo ihm eine glänzende Laufbahn offenstand. Sein Vater Dagobert Biermann hatte im Hamburger Hafen kriegswichtige Lieferungen sabotiert und war deshalb in Auschwitz ermordet worden, der Sohn sollte das neue, antifaschistische Deutschland aufbauen helfen, das es für ein Arbeiterkind wie ihn nur in der DDR geben konnte.

Biermann lernte am Berliner Ensemble, wurde von Hanns Eisler unter dessen Fittiche genommen, scheiterte mit seinen an François Villon geschulten Balladen aber bald am staatlich verordneten Banausentum der DDR. Sein parteiliches Liedgut wurde gern genommen, doch nach dem 11. Plenum des Zentralkomitees der SED 1965 erhielt er Auftrittsverbot und war auf seine Wohnung in der Ostberliner Chausseestraße 131 verwiesen. Dort wurde er von Freunden und Sympathisanten aus der ganzen Welt besucht, die dafür sorgten, dass er nicht vergessen wurde. Das Geld, das er aus dem Westberliner Fontane-Preis erhielt, stiftete er den politischen Verfolgten, die der Anwalt Horst Mahler vertrat; später verstieg er sich sogar zu einer Verteidigung der RAF gegen ihre linken Kritiker.

Sein Ruhm wuchs beständig. Peter Rühmkorf hat berichtet, wie er 1969 die ehrwürdigen Hallen einer amerikanischen Universität mit Biermanns Refrain "Oh Gott, laß du den Kommunismus siegen!" so erfolgreich beschallte, dass die "Anwesenden gleich ganz große Augen und ganz bleiche Nasen bekamen". Ebenfalls in Abwesenheit sorgte er für einen Skandal, als sich wegen seiner revolutionären Drachentöter-Revue "Der Dra-Dra" der Münchner Oberbürgermeister 1971 mit dem Tode bedroht sah und die Absetzung des Kammerspiel-Dramaturgen Heinar Kipphardt veranlasste.

1976 gewährte ihm das Politbüro eine Tournee in Westdeutschland und nutzte die Gelegenheit, das einstige Hätschelkind über Nacht auszubürgern; die folgende Solidarisierungswelle brachte den Anfang vom Ende der DDR. Deswegen kündigte Biermann den alten Drachen noch lange nicht alle Sympathie, erklärte vielmehr breitmäulig, von der DDR in den Westen wie "vom Regen in die Jauche" gelangt zu sein, betete 1989 in "Wetten, dass . . ?" auch brav für Michail Gorbatschows Reformkurs ("Mein lieber Gorbi/det macht mir Sorgi") und wurde erst nach dem Fall der Mauer der Kronzeuge dafür, dass am Sozialismus schon immer alles faul war und er deshalb naturnotwendig zusammenbrechen musste.

Berlin hat den Hamburger zum Ehrenbürger gemacht, vom Büchner- bis zum Deutschen Schallplattenpreis ist er mit allem ausgezeichnet worden, was nur zu vergeben war. Biermann macht weiter Verse in schwankender Qualität und trägt sie im bewährten Krächzen vor. Zum Drachentöten hatte er wenig Gelegenheit in letzter Zeit.

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Quelle:
SZ vom 08.11.2014
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