Süddeutsche Zeitung

Slowakei:Zerrissenes Land

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Corona, die Rechte von Homosexuellen, der Krieg in der Ukraine - es gibt viele Streitfragen in der Slowakei. An diesem Wochenende sind Regionalwahlen, sie könnten die Minderheitsregierung in Bratislava weiter unter Druck setzen.

Von Viktoria Großmann, Lešť/Sliač

Am Militärflughafen Sliač mitten in der Slowakei sind jetzt deutsche Truppen stationiert. Sie überwachen den Luftraum des Nato-Bündnispartners, seit dieser im Frühjahr sein Flugabwehrsystem S-300 an die Ukraine verschenkte. Dort hilft es nun, Odessa zu beschützen. Und die Deutschen beschützen eben die Slowakei. Ein paar Kilometer weiter, eingebettet in waldreiche, hügelige Landschaft, liegt der Stützpunkt Lešť, wo eine multinationale Kampfgruppe aufgebaut wurde.

Anders als in Polen oder den baltischen Ländern ist die Nato in der slowakischen Bevölkerung jedoch nicht unumstritten. Die Stimmung ist keineswegs so prowestlich wie etwa im früheren Bruderstaat Tschechien. Laut einer Studie des Instituts Globsec wünschten sich im Oktober gerade mal 47 Prozent der Befragten einen klaren Sieg der Ukraine im russischen Angriffskrieg, immer noch 19 Prozent wünschten Russland den Sieg und sehr vielen Befragten schien es schlicht egal zu sein, wie es im Nachbarland weitergeht.

An diesem Wochenende nun dürfen die Slowaken wählen, zwar nur Bürgermeister und Regionalvertreter, aber für die Parteien wird es ein Stimmungstest. Die Bevölkerung erscheint tief gespalten. Auch wenn General Ferdinand Muríň bei einem Besuch der Nato-Basis Lešť standhaft erklärt: "Wir sind eine normale, demokratische Gesellschaft, in der es unterschiedliche Ansichten gibt." Die Umfragen und nicht zuletzt die Politiker sprechen eine andere Sprache. Die Nato ist dabei längst nicht die einzige Streitfrage. Schon bei der Corona-Impfung rang die Regierung verzweifelt um die Zustimmung der Bevölkerung, während Oppositionsführer und Ex-Premier Robert Fico Corona-Leugner-Demos veranstaltete.

Derzeit treibt vor allem die städtische Bevölkerung der Mord an zwei jungen Männern vor einer queeren Bar im Zentrum von Bratislava um. Am Donnerstag, zwei Wochen nach der Tat, demonstrierten erneut Tausende in Bratislava und auch in Prag für die Rechte sexueller Minderheiten. Präsidentin Zuzana Čaputová sprach von einem "Anschlag auf die gesamte Gesellschaft" und machte Politiker mitverantwortlich, die mit Hassreden zu einer feindlichen Stimmung beitrügen.

Dennoch wurde ein Gesetz, das gleichgeschlechtlichen Paaren eine eingetragene Lebenspartnerschaft erlauben sollte, im Parlament kurz nach dem Anschlag mehrheitlich abgelehnt. "Die Politiker wollen ihre konservativen Wähler nicht verlieren", erklärt Milan Nič von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Und um diese Gruppe müsse eigentlich jede Partei bemüht sein, denn die Slowakei sei "sehr, sehr konservativ". Zwar nicht in den Städten, aber, sagt Nič und lacht, von denen gebe es nun einmal in seinem kleinen Heimatland nicht so viele.

Die Angriffe aus der Opposition werden immer aggressiver

Die klar prowestliche Regierung um Ministerpräsident Eduard Heger hat nach einem Koalitionsstreit ihre Mehrheit verloren, ringt nun verzweifelt um einen Beschluss für den Haushalt, um Entlastungen für die Bürger in der wirtschaftlichen Krisensituation. Und erkennbar auch um Anstand. Während die Angriffe aus der Opposition, vor allem von Ex-Ministerpräsident Robert Fico immer noch aggressiver werden.

Fico will vorgezogene Neuwahlen, doch es ist schwer, diese anzusetzen. Regulär wird erst im Frühjahr 2024 wieder gewählt. Klar ist, dass wohl keine der jetzt regierenden Parteien wieder an die Macht käme. Jedoch könnte es auch für Fico schlecht aussehen, der außer den Rechtsextremen kaum noch Partner finden würde. Viel eher, so zeigen die Umfragen, könnte es der vormalige Ministerpräsident Peter Pellegrini wieder ins Amt schaffen. Pellegrini hat sich sowohl von Ficos Partei wie auch von Fico selbst gelöst und spricht mit seiner sozialliberalen, neuen Partei Hlas (Stimme) eine möglichst breite Wählerschaft an.

Die Regional- und Kommunalwahlen erscheinen dabei wie ein Warmlaufen für den nächsten Parlamentswahlkampf. Hlas ist zwar lokal noch wenig verankert, hat aber in Plakate investiert, sie scheinen streckenweise fast die einzigen an den Landstraßen in der Zentralslowakei zu sein. In den Städten könnte die Partei Progresivne Slovensko, die Präsidentin Zuzana Čaputová ins Amt brachte, bei den Parlamentswahlen 2020 aber unterging, eine Renaissance erleben. Tatsächlich scheint Čaputová die einzige Konstante im Chaos der slowakischen Politik zu sein. "Sie ist der moralische Kompass des Landes", sagt Nič.

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