Süddeutsche Zeitung

Sigmar Gabriel auf dem SPD-Parteitag:Und er kriegt sie doch

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Miese Wahlergebnisse, lauer Applaus: Der Parteitag der SPD in Leipzig drohte in Lethargie zu versinken. Doch dann hält Parteichef Gabriel spontan eine Rede, mit der keiner mehr gerechnet hat. Er kämpft, erntet Beifall. Ist das die Rettung in letzter Sekunde?

Von Thorsten Denkler, Leipzig

Es dauert ein wenig, bis alle in der Leipziger Neuen Messe begreifen, was gerade passiert. SPD-Chef Sigmar Gabriel hat das Wort ergriffen, zum Programmpunkt Kommunalpolitik. Ein Thema, das eher nicht die Massen mobilisiert. Und doch stehen am Ende die Genossen - zum Applaus für ihren Parteichef.

Minutenlang ist der Beifall. Als hätte es plötzlich "Klick" gemacht in den Köpfen. Das war wohl auch nötig.

Der Parteitag der SPD war in eine Art Lethargie gefallen. Miese Wahlergebnisse für die SPD-Führung. Einige nicht ganz ehrliche Aufarbeitungsversuche der Wahlniederlage vom 22. September - auch durch den Parteivorsitzenden. Dazu das mulmige Gefühl, das die Aussicht auf eine Neuauflage der großen Koalition auslöst. Ratlos und unmotiviert dümpelte das Treffen vor sich hin.

Bis Gabriel an diesem Samstagmorgen ans Pult tritt.

Er redet zunächst über Kommunales, die Probleme der Häuschenbesitzer in sozialen Brennpunkten. Solche Sachen. Bald aber kommt er auf das zu sprechen, was vielen Genossen nach drei Tagen Messehalle noch schwerer im Magen liegt als am Tag der Anreise: den Koalitionsvertrag und den Mitgliederentscheid, der damit einhergehen wird.

Gabriel verlangt Unterstützung

Am Mittwochabend noch, auf dem Presseempfang der Partei in einem alten Stadtbad, war kaum ein Zweifel zu hören, dass das Ding sauber durchgehen wird. Klare Mehrheit, alles kein Problem, hieß es aus der engeren Parteiführung. Nach den Wahlschlappen aber und den durchgängig nicht mal mehr mit Höflichkeitsapplaus bedachten Reden der beiden darauf folgenden Tage, wurde auch den größten Optimisten klar: Gelaufen ist noch gar nichts. Die Delegierten zumindest schienen nicht überzeugt, dass die Parteiführung wirklich einen Vertrag aushandelt, dem ein aufrechter Basis-Soze mit gutem Gefühl zustimmen kann.

Gabriel nennt noch mal die Grundbedingungen für einen Koalitionsvertrag: Mindestlohn, Beschränkung von Rüstungsexporten. Und "übrigens: auch die doppelte Staatsbürgerschaft."

Plötzlich ist der Parteitag hellwach.

Der SPD-Chef macht es ganz deutlich, beugt sich weit vor ans Mikro, hebt seine Stimme: "Ich werde der SPD keinen Koalitionsvertag vorlegen, in dem die doppelte Staatsangehörigkeit nicht drin ist!" Dröhnender Applaus. Gabriel hat den Punkt getroffen. Die doppelte Staatsangehörigkeit bewegt die Delegierten. Er hat damit eine weitere rote Linie markiert.

Doch Gabriel geht es jetzt um mehr, als nur neue Pflöcke gegenüber der Union einzurammen. Er will die Delegierten überzeugen, dass sie ihm persönlich, dass sie den Verhandlern vertrauen können, nein: vertrauen müssen.

Gabriel verlangt aktive Unterstützung. Er und die gesamte Parteiführung würden alles tun, um möglichst viele Parteimitglieder zu erreichen. Aber er werde nicht überall sein können, um für einen Koalitionsvertrag zu werben. "Die Abteilung 'hier die da oben und wir da unten', die funktioniert hier nicht mehr. Wir sind alle die Führung der Partei." Gabriel fordert: "Ihr müsst da mithelfen!" Und: "Da müsst ihr kämpfen vor Ort! Da dürft ihr nicht zweifeln!"

Er macht klar, welche Konsequenzen ein Scheitern des Mitgliedervotums haben kann: "Wenn wir dann losmarschieren, dann geht es um die Zukunft der Sozialdemokratie in den nächsten 20, 30 Jahren."

Wie schon in seiner Rede am Donnerstag spricht er ein sich hartnäckig haltendes Vorurteil an. "Uns gibt es nicht für ein paar Ministerposten. Mich übrigens auch nicht!" Er empfinde es als "große Ehre, Vorsitzender der SPD zu sein". Gabriel verspricht: "Ich werde die SPD nicht in eine Koalition hinein führen, von der ich als Sozialdemokrat nicht überzeugt bin!" Diesmal scheinen ihm die Delegierten das abzunehmen.

Am Ende scherzt Gabriel. "Das wollte ich euch am Beispiel der Kommunen einmal gesagt haben." Die Kommunen hat in dem Moment jeder hier im Saal total vergessen gehabt. Die Delegierten brauchen ein wenig, dann aber schwillt der Applaus an. Irgendwann stehen die meisten. Das ist ihre Antwort an den Parteivorsitzenden: "Wir haben verstanden."

Nur einige wenige sitzen noch und halten die Arme vor der Brust verschränkt. Sie werden wohl auch nicht überzeugt werden können, wenn die SPD sich in den Koalitionsverhandlungen zu 100 Prozent durchsetzt. Gabriel kann nur hoffen, dass das am Ende die Minderheit sein wird.

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