SPD-Parteitag straft Spitze ab:Ins Kreuz getreten statt den Rücken gestärkt

Die SPD versucht gerade mit den Verlierern der Bundestagswahl Regierungsverantwortung zu übernehmen. Kein Wunder, dass die Delegierten des Parteitags ein mulmiges Gefühl haben. Parteichef Gabriel bleibt nur ein Ausweg.

Ein Kommentar von Thorsten Denkler, Leipzig

Es sind Ergebnisse, die ratlos machen: Sigmar Gabriel - 83,6 Prozent. Hannelore Kraft - 85,6 Prozent. Andrea Nahles und Olaf Scholz bleiben sogar deutlich unter 70 Prozent. Die Delegierten des SPD-Parteitags in Leipzig haben ihren Vorstand mit schlechten Wahlresultaten abgestraft. Kein Kandidat für die engere Parteispitze kommt über die 90-Prozent-Marke.

Dabei steckt die SPD mitten in den Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU. Da wäre es ganz gut gewesen, wenn die Partei ihren Verhandlern in Berlin den Rücken gestärkt hätte. Stattdessen hat sie ihnen ins Kreuz getreten.

Das schmerzt. Und macht die Verhandlungen mit der Union nicht einfacher.

Die Botschaft der Delegierten an die Spitze dürfte klar sein: Denkt ja nicht, die Sache mit dem Mitgliedervotum ist schon gelaufen. Die SPD-Mitglieder sollen ja nach Abschluss der Verhandlungen mit der Union über den Koalitionsvertrag abstimmen.

Mulmiges Gefühl unter den Delegierten

Nun sitzt allerdings hier in der Leipziger Neuen Messe auch nicht "die Basis". Hier sitzen vor allem Funktionäre: Ortsvereinschefs, Bürgermeister, Landesvorsitzende, Abgeordnete. Nicht wenige sagen, dass sie auch nicht genau wissen, wie ihre Mitglieder ticken. Die wenigsten von ihnen kommen zu den Ortsvereinssitzungen. Von den 470.000 Mitgliedern gilt der überwiegende Teil als Karteileiche. Das Parteibuch liegt im Wohnzimmerschrank. Der Beitrag wird regelmäßig überwiesen. Aber mitmachen? Bitte nicht.

Nun drückt sich die Ungewissheit darüber, was die Mitglieder wollen, auch in den Ergebnissen für die Parteispitze aus.

Die SPD versucht gerade mit den krachenden Verlierern der Bundestagswahlen 2009 und 2013 Regierungsverantwortung zu übernehmen. Kein Wunder, dass das ein mulmiges Gefühl hinterlässt.

Der neue Partei-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Spitzenkandidat der hessischen Landtagswahl, hat immerhin an der 90-Prozent-Marke gekratzt. Gut möglich, dass dahinter auch der Wunsch nach personeller Erneuerung steht. Ein Wunsch jedoch, der von der Realität jäh ausgebremst wird. Selbst wenn die Partei wollte: Solange sie in Verhandlungen steckt, solange sie danach womöglich regieren wird, so lange werden die Wahlverlierer in führenden Positionen bleiben. Eine klassische Zwickmühle ist das. Egal wie der Stein gesetzt wird, es kommen immer Gabriel, Nahles und Steinmeier dabei heraus.

Gabriel kann jetzt beweisen, ob er wirklich der vorausschauende und nachdenkliche Parteichef ist, als der er sich am Donnerstag noch ausgegeben hat. Dann würde er in den kommenden Jahren Personen aufbauen, die ihm nachfolgen können. Dann würde er dafür sorgen können, dass der nächste Spitzenkandidat für die Bundestagswahl nicht von Helmut Schmidt sondern vom Parteivolk ausgerufen wird. Am besten in einem Verfahren, das dafür sorgt, dass am Ende tatsächlich der Beste vorne steht. Und nicht der, der übrig bleibt.

In Leipzig gibt es nach dem 25-Prozent-Ergebnis der Bundestagswahl nichts zu feiern. Aber es scheint auch keine Hoffnung zu geben. Anders lassen sich die miesen Wahlergebnisse der Parteispitze kaum erklären. Die Aussicht auf eine mögliche Regierungsbeteiligung kann die Partei nicht trösten.

Einen Weg aus der Identitäts- und Glaubwürdigkeitskrise der Partei hat auch Parteichef Gabriel noch nicht aufzeigen können. Gut zu regieren ist wahrscheinlich die einzige Chance, die die SPD hat, um aus dem Tal herauszukommen. Wenn das nicht hilft, dann muss über den Zustand und die Aufgabe der Sozialdemokratie in diesem Land wohl völlig neu nachgedacht werden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: