Süddeutsche Zeitung

Deutschland-USA:Rückenstärkung für Kiew

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Bundeskanzler Scholz und US-Präsident Biden sprechen sich angesichts der russischen Eskalation des Kriegs gegen die Ukraine miteinander ab - und warnen Moskau.

Von Daniel Brössler, Berlin

Es war einer der Appelle, deren sicheres Schicksal es ist, zu verhallen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und US-Präsident Joe Biden hätten bekräftigt, dass Kremlchef Wladimir Putin "nach wie vor aufgefordert bleibe, die Kriegshandlungen einzustellen und seine Streitkräfte komplett aus dem gesamten Gebiet der Ukraine abzuziehen", hatte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Sonntagabend nach einem Telefonat des Kanzlers mit dem Präsidenten mitgeteilt. Nur Stunden später, am Montagmorgen, schlugen Raketen in Kiew ein. Überraschend kam das nicht. Mit Putins Rache nach der Explosion auf der Brücke zwischen annektierter Krim und russischem Festland war in westlichen Hauptstädten gerechnet worden.

Damit rückt eine Rolle des Kanzlers stärker in den Fokus, die mehr als drei Monate nach dem Gipfel von Elmau aus dem Blick geraten ist. Bis zum Ende des Jahres hat Deutschland noch die G-7-Präsidentschaft inne. Als Scholz am Montag direkt nach den Angriffen den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij anrief, tat er es auch im Namen der großen westlichen Demokratien.

Für diesen Dienstag hat Scholz eine Schaltkonferenz der G-7-Staats- und Regierungschefs einberufen und Selenskij dazu eingeladen. Er werde die Gelegenheit nutzen, um über die "terroristischen Angriffe Russlands" zu informieren, twitterte Selenskij. Scholz sagte schnelle Hilfe zu, um von Russland zerstörte Infrastruktur etwa bei der Strom- und Wärmeversorgung wiederherzustellen.

Selenskij soll zur G-7-Konferenz zugeschaltet werden

Bei der G-7-Schalte soll es um die Konsequenzen der sich seit der von Putin befohlenen Teilmobilmachung ständig weiter zuspitzenden Lage gehen. Das war auch Thema des Telefonats von Scholz mit Biden am Sonntag. Noch immer hallt die Warnung Bidens nach, die Welt stehe so nah vor einem nuklearen "Armageddon" wie seit der Kuba-Krise im Jahr 1962 nicht mehr. Es ist eine Sorge, die nach den drohenden Andeutungen Putins in anderen westlichen Hauptstädten geteilt wird.

Dennoch löste es Verwunderung aus, dass Biden sie so offen aussprach. Biden wie Scholz hätten die jüngsten nuklearen Drohgebärden Moskaus als unverantwortlich kritisiert und seien sich einig gewesen, "dass ein solcher Schritt außerordentlich gravierende Konsequenzen für Russland haben würde", sagte Hebestreit.

In Berlin herrscht die Hoffnung, dass wenigstens diese Botschaft in Moskau ankommt und Putin sich keinen Illusionen hingibt, dass der Einsatz einer kleineren taktischen Atomwaffe die westliche Waffenhilfe für die Ukraine beenden würde und Russland so doch noch zu einem Sieg gelangen könnte. Die USA und Deutschland würden die Unterstützung der Ukraine in ihrem Kampf gegen die russische Aggression und zur Wiederherstellung ihrer Souveränität und territorialen Integrität unvermindert fortsetzen und den Sanktionsdruck gegenüber Russland aufrechterhalten, betonten Biden und Scholz nach den Worten des Regierungssprechers.

Lambrecht kündigt schnelle Lieferung von Luftabwehrsystem an

Weder in Washington noch in Berlin scheint man derzeit irgendwelche Anzeichen dafür zu sehen, dass es in absehbarer Zeit eine Verhandlungslösung geben könnte. Der Ukraine ist es in den vergangenen Wochen gelungen, etliche besetzte Gebiete zu befreien, und sie will diese Erfolge ausbauen.

Putin wiederum hat mit den jüngsten Annexionen und dem gezielten Beschuss ziviler Ziele jeglicher Entspannung eine Absage erteilt. "Es ist niederträchtig & durch nichts zu rechtfertigen, dass Putin Großstädte und Zivilisten mit Raketen beschießt", twitterte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Man werde alles tun, um die ukrainische Luftverteidigung schnell zu verstärken.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) kündigte an, das erste von vier der Ukraine zugesagten Luftabwehrsystemen Iris-T SLM werde in den nächsten Tagen in der Ukraine eintreffen. "Der neuerliche Raketenbeschuss auf Kiew und die vielen andere Städte macht deutlich, wie wichtig die schnelle Lieferung von Luftverteidigungssystemen an die Ukraine ist", sagte sie. Wegen der Kritik seitens der Opposition und innerhalb der Ampel an Tempo und Ausmaß der Waffenhilfe für die Ukraine ist das allerdings auch innenpolitisch bedeutsam.

Scholz hat Kritik an seiner angeblich zu zögerlichen Haltung immer wieder zurückgewiesen und betont, es werde keine Alleingänge geben. Zentral ist für ihn ist dabei die Abstimmung mit Biden, an den er sich seit seinem Antrittsbesuch in Washington kurz vor Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar stark anlehnt. Scholz hatte sich damals beeindruckt gezeigt vom erfahrenen Außenpolitiker Biden. Dieser wiederum hatte in Elmau Scholz' Führungsrolle in Europa gewürdigt. Aus Scholz' Sicht ist Biden ein Verbündeter für eine vorsichtige Linie - zu der auch gehört, nicht alle Forderungen Selenskijs zu erfüllen.

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