Süddeutsche Zeitung

Schleswig-Holstein:Warum es für die Regierung in Kiel eng wird

Lesezeit: 3 min

In Schleswig-Holstein sah es lange Zeit so aus, als hätten die Konservativen keine Chance bei der Landtagswahl. Doch nun hat die regierende SPD Anlass zur Sorge. Ein Grund: CDU-Spitzenkandidat Daniel Günther.

Von Peter Burghardt und Thomas Hahn, Kiel

Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein hat natürlich Verstärkung dabei, als es in dieses nun doch dramatische Finale geht. Außer seinem Vorkämpfer Ralf Stegner stehen auch Familienministerin Manuela Schwesig und der SPD-Vorsitzende und Kanzlerkandidat Martin Schulz auf einer Bühne im windigen Zentrum Kiels; nachher geht es in selber Besetzung weiter nach Lübeck.

Die orange leuchtenden Aufkleber mit der Aufschrift "Sonntag Albig + SPD wählen!" wirken diesmal wie ein Notruf. In den Umfragen ist die zuvor lange führende SPD hinter die CDU gerutscht. Mal heißt es 32 Prozent für die CDU und 31 Prozent für die SPD, mal 32:30 oder 33:29. "Ich weiß gar nicht, bei wem die da anrufen", sagt Torsten Albig vor ungefähr 800 Zuhörern. Er meint, der rote Balken der SPD im Fernsehen werde an diesem 7. Mai länger sein als der schwarze Balken der CDU. Außerdem werde man "keinen braunen Balken sehen". Albig will "das Projekt Gerechtigkeit fortsetzen". Doch es sieht so aus, als würde es zumindest knapp für die Koalition aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband (SSW).

Wie konnte es auf einmal so spannend werden? Weshalb holten sein bis vor Kurzem unbekannter Herausforderer Daniel Günther und die CDU so auf? Welche Bündnisse wären möglich? Und wieso könnte hier im deutschen Norden die Erfolgsserie der Rechtspopulisten enden?

Hat Albig seinen Herausforderer unterschätzt?

Konkret werden die Antworten erst, wenn die Wahllokale geschlossen haben. Aber man kann Vermutungen anstellen. Nach Wechselstimmung sah es eigentlich nicht aus in diesem Bundesland mit seinen 2,2 Millionen Wahlberechtigten, die als recht zufrieden gelten. SPD, Grüne und SSW scheinen zu harmonieren. Sogar die Finanzen wurden saniert. Andererseits liefern sich CDU und SPD zwischen Nordsee und Ostsee traditionell enge Rennen, das liegt an tendenziell konservativen Landwirten und einem tendenziell linksliberalen Bürgertum der Städte.

Auch hatten Torsten Albig und seine Berater eventuell unterschätzt, dass man in wenigen Wochen noch viele Stimmen gewinnen und verlieren kann. "Lang, kalt und anstrengend" sei dieser Wahlkampf gewesen, sagt Albig, 53. Ansonsten versucht er, als souveräner Landesvater aufzutreten. "Bei mir wird der Haushalt immer der Humanität folgen", solche Sätze. Er gibt den Kümmerer für Energiewende, Bildung, Straßen, Internet, Kinder, Alte, Flüchtlinge und dreht den Slogan der CDU um: "Die schnacken, wir packen an!"

Im Publikum sind die Meinungen geteilt. "Idealistisch, aber nicht konkret", findet ein 17-jähriger Schüler, erstmals darf ab 16 gewählt werden. Wer sei schon gegen Gerechtigkeit und günstigere Kitas? Eine ältere Frau dagegen hält Albig und auch Schulz diesmal für durchaus konkret. Vor allem habe Albig als Regierungschef doch ein ganz anderes Format als dieser junge Günther von der CDU.

Daniel Günther ist 43 Jahre alt und Oppositionsführer im Landtag, wirkt jedoch äußerlich wie ein Delegierter der Jungen Union. Noch vor Kurzem gab jeder dritte konsultierte Wähler bekannt, er kenne Günther gar nicht; er tourt seit Wochen bis zur Erschöpfung durch Schleswig-Holstein. An einem Abend in Lübeck haben ihm seine Manager mal wieder ein Autohaus als Podium bereitet. Ein Video stellt ihn als joggenden, gläubigen, dynamischen Familienmenschen vor. Intelligent sei er und frisch, lobt ein Anhänger, Albig sei "eine Trantüte". Seine Frau allerdings fragt sich, wie Günther regieren wolle.

Welche Koalitionen möglich sind

Nach allerlei Querelen hatte ihn die CDU erst vor Monaten zu ihrem Bewerber gemacht. Günther verspricht innere Sicherheit, eine Rückkehr zum Schulmodell G 9 und will Autobahnen und Landstraßen fertigbauen. Sein erster Koalitionspartner wäre die FDP mit Wolfgang Kubicki. Der zweite wären die Grünen, obwohl deren Wortführer Robert Habeck sich als Vize von Albig wohlfühlt. Als noch unwahrscheinlicher als dieses Jamaika-Trio gilt eine Ampel aus SPD, Grünen und FDP, weil Kubicki von Rot-Grün eher nicht so viel wissen will. Aber vieles ist möglich, sogar eine große Koalition.

Königsmacher war bisher der SSW, Schleswig-Holsteins Sonderfall. Der Spitzenkandidat Lars Harms steht in der Dänischen Schule in Harrislee bei Flensburg, einer Hochburg der dänischen Minderheit mit 33,8 Prozent bei den Kommunalwahlen. Der Hof liegt friedlich im Dämmerlicht, vor dem Schuleingang stehen zwei Männer am Grill. Drinnen sitzen zwanzig Leute an Tischen und lauschen den Reden. Lars Harms und seine Mitstreiter kämpfen in aller Ruhe um die Macht.

Diese Stimmung passt zur ausgeglichenen Art, welche die einzige Minderheitenpartei in einer deutschen Regierung nach 2012 in die Koalition einbrachte. Seit 1955 ist der SSW bei Landtagswahlen von der Fünf-Prozent-Hürde befreit. Jahrzehnte mit Anfeindungen folgten. Aber längst ist die Partei im nördlichsten Bundesland ein Machtfaktor geworden. In der Regierung hat der SSW mit skandinavischer Konsenskultur dazu beigetragen, dass die Koalition ohne großen Streit arbeitete. Harms ist sehr zufrieden, wie der SSW am Linksruck in Schleswig-Holstein mitwirkte. Und jetzt hofft er, dass möglichst wenige Parteien in den Landtag kommen, weil das sonst die Opposition begünstigen würde: "Wer beispielsweise die Linke wählt, wählt eine CDU-Regierung", sagt er. "So einfach ist die Welt."

Martin Schulz lobt in seiner Rede in Kiel den SSW als Beitrag zu Offenheit und Toleranz. AfD und Linke dagegen dürften es nur knapp oder gar nicht in dieses Parlament schaffen, weil SPD und CDU links und rechts weitgehend abdecken. Deren Polarisierung bedeutet: Die Wähler haben sichtbare Alternativen. "Jetzt geht's um Mobilisierung", sagt Daniel Günther, ehe ihm am Freitag dann noch Angela Merkel hilft, die Bundeskanzlerin.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3492717
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 06.05.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.