Süddeutsche Zeitung

Sanktionen:Russland und die USA haben sich verkalkuliert

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Die beiden Atommächte geraten aneinander - zum Schaden aller. Doch es geht nicht allein um einen Machtkampf zwischen Putin und Trump. Die Interessen liegen woanders.

Kommentar von Frank Nienhuysen

Der Sommer ist auch in Russland die Zeit der Möbelpacker und Umzugsfirmen. Viele Arbeitsverträge laufen aus, weil ausländische Firmen ihre Mitarbeiter-Entsendungen an den Ferien der Kinder ausrichten. Doch jetzt steht eine außerplanmäßige Räumungsaktion bevor, die Wohnungsmakler, zwei Atomwaffenstaaten und manche Europäer gleichermaßen in Unruhe versetzt. Moskau schickt mit einem Schlag 755 Mitarbeiter amerikanischer Vertretungen fort, Stichtag ist der 1. September. An eine derart geballte Massenentlassung können sich nicht einmal Kenner des Kalten Krieges erinnern. Gerät also auch die Welt der Diplomatie aus den Fugen?

Destilliert man das Wesentliche aus der Order des russischen Präsidenten Wladimir Putin heraus, wirkt sie nicht mehr ganz so drastisch. Zum einen sind anders als bei den US-Sanktionen nicht direkt Wirtschafts- oder Sicherheitsinteressen berührt. Zum Zweiten ist nicht klar, wie viele amerikanische Diplomaten oder russische Ortskräfte betroffen sind, und ob am Ende nicht auch Familienmitglieder mit einem Dienstpass in die Rechnung einfließen.

Leiden müssen in jedem Fall viele reisewillige Russen, die demnächst Opfer eines absehbaren Visa-Staus werden. Das Problem an der amerikanisch-russischen Sanktionspolitik ist deshalb ein anderes: Niemand weiß, nach welchem Eskalationsmuster die beiden Länder miteinander verfahren. Unter dem Mäntelchen eines exakt choreografierten diplomatischen Schlagabtauschs spielt sich ein anderer Konflikt ab.

Die gängige Wie-du-mir-so-ich-dir-Formel über wechselseitige Sanktionen hat selten zuvor aus so vielen unbekannten Variablen bestanden wie diesmal. Die USA, die Europäische Union, dazu weitere Europäer ohne EU-Mitgliedsausweis, Australien und auch Japan - sie alle haben Russland für dessen völkerrechtswidrige Einverleibung der Krim bestraft.

Die Putin-Order klingt wie Kanonendonner

Bei den neuen US-Sanktionen mischen sich jedoch der berechtigte Ärger über russische Manipulationsversuche in Amerikas Wahlkampf und die destabilisierende Rolle Russlands in der Ukraine mit dem Machtkampf in Washington selber. Kaum zu sagen, ob der US-Kongress gerade mehr Russland bestrafen will oder den eigenen Präsidenten Donald Trump. Bedenkt man, dass der Präsident sich kaum noch wehren kann, ist die Antwort vermutlich: Trump.

Wie ungewöhnlich komplex diesmal die Abfolge an amerikanischen und russischen Strafmaßnahmen ist, wird auch daran deutlich, dass zumindest der SPD-geführte Teil der Bundesregierung nun auch die US-Sanktionen beantworten will. Auch Brüssel gibt sich besorgt. Berlin sieht eigene Energie-Interessen gefährdet, was wiederum in der EU höchst kontroverse Reaktionen provoziert. Es herrscht gleichzeitig Wahlkampf in Deutschland, Machtkampf in den USA - und in Russland wird im März der Präsident gewählt. In dem ganzen Sanktionsgetöse spielen interne Positionskämpfe also eine erhebliche und vermutlich größere Rolle als in vergangenen Jahren.

Es spricht jedoch auch einiges dagegen, dass sich der diplomatische Konflikt verschärfen wird. Die Putin-Order klingt wie Kanonendonner, tatsächlich aber gehört der Hinauswurf von Diplomaten im Vergleich zu Wirtschaftssanktionen zu den sanfteren Waffen. Auch deshalb ist das Echo in Washington zunächst verhalten. Welche Folgen etwa Einfuhrverbote haben, muss die russische Bevölkerung derzeit am eigenen Leib spüren.

Patriotismus allein kann die russische Bevölkerung nicht ernähren

Putin kann es sich kaum leisten, die Leidensfähigkeit seiner Landsleute noch weiter zu strapazieren. Viele von ihnen wollen ein besseres Verhältnis zu den USA, aber das ist derzeit schwer zu erreichen. Russlands Beeinflussungsversuche werden für Moskau nun zunehmend zur Last. Wenn Putin will, kann er schlechte Beziehungen zu Amerika daheim nun besser vermarkten als die Dauerfehde mit Europa.

Langfristig wird Patriotismus allein die russische Bevölkerung nicht ernähren können. Moskau plädiert stets für eine multipolare Welt, wirtschaftlich steht das Land unter den Großgewichten Amerika, Europa und China allerdings vergleichsweise schwach da. In der Ostsee übte Russland zwar gerade den militärpolitischen Schulterschluss mit der Volksrepublik, doch China bleibt aller Annäherung zum Trotz für Russland auch ein großer Rivale, in seinem zentralasiatischen Hinterhof etwa, wo Peking zunehmend an Einfluss gewinnt.

Strategisch also muss Moskau ein Interesse daran haben, die Bande vor allem mit Europa zu stärken - aber auch die mit den USA. Es ist nur eben etwas schwierig mit einem Präsidenten im Weißen Haus, den Moskau für sehr viel mächtiger gehalten hat, als sich nun herausstellt.

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Quelle:
SZ vom 01.08.2017
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