Süddeutsche Zeitung

Norbert Röttgen:Der entspannte Kandidat

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Seine Bewerbung um den CDU-Vorsitz galt lange als aussichtslos. Doch Norbert Röttgen hat im Rennen gegen Armin Laschet und Friedrich Merz aufgeholt - auch, weil seinen Konkurrenten Fehler unterlaufen.

Von Robert Roßmann, Berlin

Oft kann man das Große im Kleinen besonders gut erkennen. Und so ist es auch in diesem Fall. Wer wissen will, warum es für Norbert Röttgen im Ringen um den CDU-Vorsitz gar nicht so schlecht läuft, muss sich nur einen Tweet ansehen.

Vergangene Woche hatte ein Comedian getwittert: "Während wir hier alle hyperventilieren chillt sich Norbert Röttgen langsam aber sicher ins Kanzleramt!" Andere Politiker hätten diesen Tweet ignoriert. Aber Röttgen antwortete: "Chillen? Sagt man das noch?" Und setzte einen Smiley mit schwarzer Sonnenbrille dahinter.

Die, früher hätte man gesagt: coole Reaktion Röttgens kam an - mehr als 2500 Twitter-Nutzer klickten "Gefällt mir". Während seine Konkurrenten eher dünnhäutig (Armin Laschet) oder raubeinig (Friedrich Merz) wahrgenommen werden, tritt Röttgen vergleichsweise lässig auf. Das zeigt sich auch, wenn man ihn nach diesem Tweet fragt: Da gibt Röttgen nämlich freimütig zu, dass ihm sein junges Team dazu geraten habe - er selbst hätte gar nicht gewusst, dass "chillen" längst nicht mehr der Sprache letzter Schrei sei.

"Es ist nicht egal, wie wir uns selber präsentieren - im Gegenteil: Die Menschen schauen sich an, wer macht da mit und kann ich mich mit denen identifizieren?", hat Röttgen einmal gesagt. Er hatte das zwar auf seine Partei bezogen. Aber der Satz gilt auch für die drei Bewerber um den CDU-Vorsitz. Und es gibt in der Partei immer mehr, die sich mit Röttgen identifizieren können.

An diesem Montag entscheidet die CDU-Spitze, wann und wie der Parteitag stattfinden soll, auf dem der Nachfolger von Annegret Kramp-Karrenbauer gewählt wird. Um 15 Uhr will Generalsekretär Paul Ziemiak das Ergebnis mitteilen - aller Voraussicht nach wird es Mitte Januar einen digitalen Parteitag geben. Am Montagabend veranstaltet die CDU dann das erste von zwei Triellen der Kandidaten.

Im Februar, nach der Rückzugsankündigung Kramp-Karrenbauers, waren alle noch von einem Duell ausgegangen: Laschet gegen Merz. Röttgen galt nur als Zählkandidat. Doch inzwischen hat der ehemalige Umweltminister aufgeholt. Es gibt schon die Ersten, die sich vorstellen können, dass er es auf dem Parteitag in eine Stichwahl gegen Merz schafft. Und dass er diese, weil das Laschet-Lager dann fast vollständig zu ihm überlaufen würde, gewinnen könnte.

Mit Zahlen belegen lässt sich das allerdings nicht. Bei einer Mitgliederbefragung in der Jungen Union landete Röttgen zwar auf Platz zwei, hinter Merz und vor Laschet. Aber an dem Votum beteiligten sich nur 20 Prozent der JU-Mitglieder. Auch die Meinungsumfragen sind nicht besonders aussagekräftig, sie weisen ja lediglich das Stimmungsbild in der Gesamtbevölkerung oder unter CDU-Anhängern aus.

Den Parteivorsitzenden wählen aber nur die 1001 Delegierten. Doch die Umfragen haben natürlich Rückwirkungen auf die Delegierten. Wer will schon jemanden zum Vorsitzenden küren, von dem die Umfragen sagen, dass er die Menschen nicht begeistern kann?

Verlieren ist schlimm - aber kneifen, das ist politisch tödlich

Laschet ist deshalb in eine gefährliche Lage geraten. Im Februar galt er noch als Favorit, auch weil er Jens Spahn im Team hat. Doch seine Kandidatur ist - vor allem wegen der Art, wie er in der Corona-Krise aufgetreten ist - gewaltig ins Trudeln geraten.

Auch Merz hat schwere Fehler gemacht. Seine Ausfälle gegen das "Parteiestablishment", das mit Verfahrenstricks seine Wahl an die CDU-Spitze verhindern wolle, sind in der Partei nicht gut angekommen. Sie haben selbst bei denen, die Merz politisch nahestehen, Zweifel aufkommen lassen, ob man mit einem quartalseruptiven Politiker wie Merz Wahlen gewinnen kann. Und ob so jemand im Kanzleramt nicht ein zu großes Risiko ist.

All jene, die deshalb ihren Blick auf Spahn richten, dürften enttäuscht werden. Denn Spahn kann sich nicht mehr - ohne als illoyal verurteilt zu werden - aus dem Team Laschet verabschieden. Und selbst wenn sich ein paar CDU-Granden gen Aachen aufmachen würden, um Laschet zu einem Rückzug zu bewegen, dürfte das nicht von Erfolg gekrönt sein. Denn Laschet weiß: Verlieren ist schlimm - aber kurz vor einer Wahl kneifen, das ist politisch tödlich. Laschet könnte sich dann auch sofort Gedanken über das Ende seiner Karriere als Ministerpräsident machen.

Von dieser Gemengelage profitiert Röttgen - auch weil er geschickt all jenen eine Heimstatt gibt, die sich in ihrer Verzweiflung über die drei CDU-Bewerber und den Verzicht Spahns Markus Söder als Kanzlerkandidaten wünschen.

Merz und Laschet haben klargemacht, dass sie sich nach einer Wahl zum CDU-Chef selbst um die Nachfolge Angela Merkels bewerben wollen. Röttgen hat dagegen kundgetan, derjenige müsse Kanzlerkandidat werden, der bei den Wählern die größten Chancen habe. Nach derzeitigem Stand ist das Söder.

"Du hast keine Chance, aber nutze sie!" - so könnte man Röttgens Wahlkampf-Motto beschreiben. Und bisher ist ihm das ganz gut gelungen. Er hat anders als Laschet keine Staatskanzlei im Rücken. Und im Gegensatz zu Merz kann er es sich nicht leisten, extra für den Wahlkampf um die CDU-Spitze ein Büro anzumieten und Mitarbeiter einzustellen.

Röttgen ist es aber gelungen, ein großes Team junger Ehrenamtlicher um sich zu scharen. Erst hatte sich ein 19-Jähriger bei ihm gemeldet und gefragt, ob er helfen könne. Dann war es wie in einem Schneeballsystem. Jetzt gibt es im ganzen Bundesgebiet Unterstützer, die Röttgen helfen - zum Beispiel beim Auftritt in den Social-Media-Kanälen.

Auch in der Bundestagsfraktion wächst die Zahl der Unterstützer. Zu den wichtigsten zählt Röttgen Abgeordnete wie Johann Wadephul, Roderich Kiesewetter, Elisabeth Motschmann, Kai Whittaker, Oliver Wittke und Rüdiger Kruse.

Weil Präsenzveranstaltungen nicht möglich sind, wirbt Röttgen jetzt in Videokonferenzen für sich, im Schnitt sind es 15 pro Woche. Dass er dabei immer so gut ausgeleuchtet ist, liegt übrigens an dem Ansteck-Ringlicht, das ihm eine seiner wichtigsten ehrenamtlichen Helferinnen empfohlen hat: seine Tochter.

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