Süddeutsche Zeitung

Alternativer Nobelpreis:Handeln, wo Regierungen versagen

Lesezeit: 3 min

Von Terroristen vergewaltigte Mädchen, von Industrien zerstörte Lebensgrundlagen: Der Alternative Nobelpreis eines schwedisch-deutschen Menschenfreundes wird an Aktivisten gehen, die solche Vergehen bekämpfen.

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

Kämpfen lohnt sich, auch wenn die Gegner oft übermächtig zu sein scheinen: Das soll am Mittwochmorgen die Botschaft bei der Bekanntgabe des sogenannten Alternativen Nobelpreises sein. Zwei Aktivistinnen, ein Aktivist und eine Initiative werden mit dem Right Livelihood Award ausgezeichnet, wie der mit 100 000 Euro dotierte Preis offiziell heißt. Sie haben sich eingesetzt für die Rechte von Frauen, für indigene Völker und für den Klimaschutz - und dabei Terrorgruppen, mächtigen Ölkonzernen und autoritären Regierungen getrotzt.

Marthe Wandou kämpft in Kamerun für den Schutz von Mädchen und Frauen vor sexueller Gewalt. Freda Huson vom Volk der Wet'suwet'en in Kanada ist eine Pipeline-Gegnerin, Wladimir Sliwjak ein russischer Umweltschützer. Auch die Initiative LIFE in Indien streitet für die Umwelt und die Rechte von Bürgern. Alle vier eine der Ansatz, "lokale Gemeinschaften erfolgreich zu stärken und zu mobilisieren", begründet die Right Livelihood Foundation ihre Wahl. "Sie werden zu Akteurinnen des Wandels, wo Regierungen versagen", sagte Ole von Uexküll, Direktor der Stiftung.

Die Stiftung wurde von dem schwedisch-deutschen Philanthropen und Briefmarkensammler Jakob von Uexküll gegründet, dem Onkel des heutigen Stiftungsdirektors. Uexküll trat 1979 an die Nobelpreisstiftung mit der Idee heran, einen neuen Nobelpreis für Umwelt einzuführen. Zur Finanzierung bot er den Verkauf seiner wertvollen Briefmarkensammlung an. Weil die Nobelstiftung ablehnte, rief er seinen eigenen Preis ins Leben. Seine Stiftung will den Preisträgern und Preisträgerinnen "Megafon und Schutzschild" sein. Die Verleihung in Stockholm soll anders als im vergangenen Jahr wieder life mit Gästen und Preisträgern stattfinden.

Verleumdung und Nachstellung: Die Gegner sind mächtig

Der Kampf gegen den Klimawandel prägte schon öfter die Verleihung, diesmal stehen die Preisträger aus Russland, Kanada und Indien dafür. Vier Wochen vor der nächsten UN-Klimakonferenz in Glasgow wolle man damit auch ein Zeichen setzen, sagte Ole von Uexküll. Gerade große CO₂-Produzenten wie China, Russland und Indien müssten den Abbau fossiler Brennstoffe wie Kohle so schnell wie möglich aufgeben. "Unsere Preisträger zeigen, wie man den Weg dorthin geht."

Der Umweltschützer Wladimir Sliwjak ist einer der erfahrensten Aktivisten in Russland, schon 1989 gründete er seine Organisation Ecodefense in Kaliningrad. Sliwjak bekämpfte den Bau von Atomkraftwerken und den Import von Atommüll, der unter anderem aus Deutschland kommt. 2013 nahm seine Organisation auch den Kampf gegen die Kohle auf und begann, lokale Gemeinschaften gegen Landzerstörung und Luftverschmutzung durch die Kohlebranche zu organisieren.

Ecodefense wurde zur Zielscheibe von Verleumdungskampagnen der Öl- und Nuklearindustrie und von juristischen Nachstellungen der Behörden. Dennoch war Sliwjak immer wieder erfolgreich, zuletzt im Herbst 2020, als ein Ecodefense-Bericht über Verschmutzung und Gesundheitsschäden durch Kohle in Russland große Aufmerksamkeit erregte.

Die ehemalige Bankangestellte Freda Huson engagiert sich in Kanada. Die Angehörige des indigenen Volks der Wet'suwet'en geht seit 2010 gegen Öl- und Gasgesellschaften in ihrer Heimat an. Schnell wurde sie zu einer Führerin des Widerstands gegen Pipeline-Vorhaben auf dem Land indigener Völker, etwa des Projekts Coastal Gas Link, das Schiefergas aus Fracking-Förderung vom Hinterland an die Pazifikküste transportieren soll. Die 57-Jährige legt einen starken Fokus auf die Identität indigener Gemeinschaften und koloniale Verbrechen, die in Kanada seit einigen Jahren verstärkt ans Licht kommen und diskutiert werden.

Marthe Wandou kämpft auch gegen Boko Haram

In Indien unterstützt die Organisation LIFE (Legal Initiative for Forest and Environment) seit 2005 Gemeinden im ganzen Land dabei, die Zerstörung ihrer Wälder und Böden durch Bergbau- und Industriekonzerne zu stoppen. Die Gründer Ritwick Dutta und Rahul Choudhary haben sich während des Jurastudiums kennengelernt. Ihre Organisation klärt betroffene Gemeinschaften über ihre Rechte und die Gesetzeslage auf und zieht mit ihnen gemeinsam vor Gericht. Ihre Mission sieht sie in der Förderung einer "ökologischen Demokratie".

Marthe Wandou ist die erste Preisträgerin aus Kamerun. Die Organisation der 57-jährigen Juristin heißt ALDEPA (Action Locale pour un Développement Participatif et Autogéré; auf Deutsch in etwa: Lokaler Verein für partizipative und selbstverwaltete Entwicklung) und versucht seit 1998, die Lage von Mädchen und Frauen in der Tschadsee-Region im Norden des Landes zu verbessern. Wandou war eines der ersten Mädchen ihres Heimatdorfs, das eine Universität besuchen durfte. Heute kämpft sie für eine gute Schulbildung und gegen die Verheiratung junger Mädchen.

ALDEPA unterstützt Familien zudem bei Fällen von Entführung oder sexueller Gewalt. Dabei versucht die Organisation, ganze Dörfer und Gemeinden einzubinden. Seit die islamistische Terrorgruppe Boko Haram 2013 damit begann, in der Region Tausende Menschen, darunter viele Schulmädchen, zu entführen, ist Wandous Arbeit noch schwerer geworden. Ihre Organisation hilft mittlerweile auch bei der Therapie und Rehabilitierung dieser Mädchen und Frauen, die schwere sexualisierte Gewalt erfuhren.

Alle vier Preisträger zeigen, "was Graswurzelbewegungen bewirken können", betont Ole von Uexküll. Selbst dann, wenn sie eine Terrormiliz oder industrielle Imperien gegen sich haben. Der Alternative Nobelpreis, der am 1. Dezember verliehen wird, sei eine Ermutigung: "Wenn andere das sehen, werden sie vielleicht auch aktiv."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5424954
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.