Süddeutsche Zeitung

Ampel-Koalition:Wie sich in Rheinland-Pfalz die Macht verschiebt

Lesezeit: 3 min

Nach der Wahl in Mainz waren die Rollen schnell verteilt. Die alte Ampel aus SPD, FDP und Grünen bleibt, nicht jedoch das alte Machtgefälle. Die Gewinner und Verlierer sortieren sich neu.

Von Gianna Niewel, Frankfurt

Wenn der Mainzer Landtag neu zusammenkommt, treffen sich die Abgeordneten normalerweise im Deutschhaus, einem Gebäude aus dem 18. Jahrhundert, von Deutschen und Franzosen umkämpft, im Zweiten Weltkrieg bis auf die Außenmauern zerstört und danach wieder aufgebaut. Dort sitzen sie in einem Halbrund, wählen die Ministerpräsidentin, über allem hängt das Wappen des Landes, viel Rot und viel Gold.

In diesem Jahr ist wenig wie sonst, noch immer wird das Deutschhaus saniert, noch immer ist Pandemie, deshalb findet die konstituierende Sitzung in einer Kongresshalle am Rheinufer statt. Die Regierung aber bleibt gleich, eine Ampelkoalition aus SPD, Grünen, FDP. Ausgerechnet.

Ampelbündnisse gelten als schwierig, weil Grüne und Liberale in vielen Fragen weit auseinanderliegen. Wie viele Windräder brauchen wir, wie viele Parkplätze? Rheinland-Pfalz ist das einzige Bundesland, in dem eine Ampel nicht nur eine gesamte Wahlperiode gehalten hat - in Brandenburg und Bremen zerbrach sie vorzeitig - sondern auch noch in die nächste gehen will. Wieso das klappt?

Die Rollen der Gewinner und Verlierer nach der Wahl in Mainz waren schnell verteilt. Die SPD kam mit der beliebten Ministerpräsidentin Malu Dreyer auf 35,7 Prozent und lag damit deutlich über dem Bundestrend. Die Grünen erreichten 9,3 Prozent, nicht so viel wie in den Umfragen, aber vier Prozentpunkte über dem Ergebnis von 2016, und das in einem Land mit kaum Großstädten und entsprechend kleinem klassischen Grünen-Milieu. Das einzige Direktmandat holten sie in der Mainzer Altstadt. Die FDP kam nur auf 5,5 Prozent, obwohl Rheinland-Pfalz mit dem FDP-Ehrenvorsitzenden Rainer Brüderle und vielen mittelständischen Unternehmen der Partei eigentlich zuneigt.

Jede Partei hat ihren Schwerpunkt in der Regierung

Am Wahlabend hatte Ministerpräsidentin Malu Dreyer betont, dass eine rechnerisch ebenfalls mögliche große Koalition für sie lediglich Ultima Ratio sei. Entsprechend schnell begannen die Verhandlungen mit Grünen und FDP, mit alten Koalitionspartnern und neuen Machtverhältnissen.

Da ist der FDP-Politiker, der sagt: "Wenn wir die Zuständigkeit für Verkehr verloren hätten, wäre es schwierig gewesen, die Ampel an der Basis durchzubringen." Da ist die Grünen-Politikerin: "Wir haben den Klimaschutz hart in der Sache verhandelt, aber ruhig im Ton." Und da ist die Abgeordnete der SPD, die sagt, bei Verhandlungen komme es auf alle Personen am Tisch an, vor allem aber auf Malu Dreyer. Sie halte zusammen.

Die alte Regierung hat zusammengehalten, aber den neuen Koalitionsvertrag haben immer noch drei eigenständige Parteien verhandelt. Da zeigt sich auch: In den nächsten fünf Jahren hat jede Partei einen Schwerpunkt, um den allen voran sie sich kümmert. Die SPD will das Land zum führenden Biotechnologiestandort machen, Biontech ist schon da, nun soll die Grundlagenforschung gestärkt werden. Die Grünen sind zuständig für Klimaschutz, Rheinland-Pfalz soll bis spätestens 2040 klimaneutral sein. Die FDP ist zuständig für die "Innenstädte der Zukunft". Die Arbeit an den Schwerpunkten mag zwar ressortübergreifend sein - gleichzeitig kann sich jede Partei aber auch profilieren.

Dass die Grünen stärker geworden sind und die FDP schwächer, zeigt der Zuschnitt der Ministerien. Die Grünen behalten neben dem Familienministerium das Umweltministerium, das aber um die Bereiche Klimaschutz und öffentlicher Nahverkehr erweitert wird. Die FDP behält das Justizministerium und auch das Wirtschaftsministerium, muss aber bei letzterem Kompetenzen abgeben. Es sind leise Verschiebungen von Macht.

Die FDP gab nach

Dass das so leise vonstatten ging, lag zuletzt nicht nur an SPD und Grünen. Die Liberalen hatten sich im Wahlkampf gegen so ziemlich alles ausgesprochen, was den anderen beiden wichtig war, etwa Windräder an bestimmten Stellen im Pfälzerwald und Solarpflicht auf allen Neubauten. Dann war das Ergebnis nicht wie erhofft, und sie suchten Gründe. Trat nicht der Landesvorsitzende Volker Wissing oft in Berlin vor die Kameras, wo er Generalsekretär ist, statt im Wahlkampf zu helfen? War es klug, in der Hauptstadt zu kritisieren, was er im Land mitträgt?

Am Ende entschied die Partei pragmatisch: Es ist besser, Kompromisse zu schließen, als nicht zu regieren. Oder, wie eine Abgeordnete sagt: "Die Bürger erwarten gerade jetzt von der Politik, dass wir uns devot verhalten."

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