Süddeutsche Zeitung

Polen:Wer die Medien kontrolliert

Lesezeit: 3 min

Die Regierungspartei PiS bringt auf die Schnelle ein Gesetz gegen Polens führenden unabhängigen Fernsehsender TVN24 auf den Weg. Tritt es in Kraft, müssen die US-amerikanischen Eigentümer ihre Kontrollmehrheit verkaufen.

Von Florian Hassel, Warschau

Polens Parlamentspräsidentin hatte schon eine erholsame Weihnachtszeit gewünscht, als die Regierungspartei PiS beschloss, noch schnell ein kontroverses Gesetz durch den Sejm zu peitschen. So bekamen Abgeordnete eine SMS-Nachricht, sich am Freitag vergangener Woche umgehend zu einer Sitzung des Kulturausschusses einzufinden. Die dauerte nicht einmal eine Stunde: Dann hatte die Regierungsmehrheit beschlossen, Änderungen der Opposition zu einem Mediengesetz abzulehnen. Keine weitere Stunde später war das Gesetz beschlossen, das die US-amerikanischen Eigentümer von Polens führendem unabhängigen Fernsehsender TVN24 zwingen soll, binnen weniger Monate ihre Kontrollmehrheit an einen - mutmaßlich PiS-nahen - neuen Eigentümer zu verkaufen.

Bereits am 11. August beschloss der Sejm, in Polen dürften nur noch Sender arbeiten, deren Eigentümer mehrheitlich aus Polen oder aus dem europäischen Wirtschaftsraum (EU plus Norwegen, Island und Liechtenstein) kommen. Eigentlich fällt auch TVN24 unter diesen Schutz: Formell gehört der Sender der in den Niederlanden registrierten Polish Television Holding, einer Tochter des US-Mutterkonzerns Discovery. Doch die Regierung bestimmte, Eigentümer, die zwar im Europäischen Wirtschaftsraum sitzen, doch selbst einem anderen Eigentümer außerhalb gehören, seien ausgenommen.

Im Senat, dem von der Opposition kontrollierten Oberhaus des Parlaments, stellten der juristische Dienst und weitere Rechtsexperten fest, das Anti-TVN-Gesetz widerspreche in etlichen Punkten Polens Verfassung, den EU-Verträgen und einem polnisch-amerikanischen Handelsabkommen von 1990. Am 9. September lehnten die Senatoren das Gesetz mit 53 von 100 Stimmen ab - ein Veto des Senats kann freilich im Sejm mit einfacher Mehrheit überstimmt werden. Doch zunächst blieb es ruhig um das Gesetz - bis zum Freitagmittag.

Der TVN-Eigentümer nennt das Gesetz einen "beispiellosen Angriff auf die freien Medien"

Wie schon am 11. August wurde das Anti-TVN-Gesetz auch diesmal nach schweren Regelverletzungen angenommen: Mitglieder des Kulturausschusses müssen spätestens drei Tage im Voraus über eine Sitzung benachrichtigt werden, das Plenum wiederum ebenfalls im Voraus. Doch nach weniger als zwei Stunden war das Anti-TVN-Gesetz Realität. Der US-Geschäftsträger in Warschau kommentierte, in den Vereinigten Staaten sei man "extrem enttäuscht".

TVN-Eigentümer Discovery nannte das Gesetz einen "beispiellosen Angriff auf die freien Medien" und auf "Polens größten und wichtigsten Verbündeten: Denn auf den Vereinigten Staaten ruht Polens Sicherheit und ein Großteil seiner Wirtschaft". Der Konzern kündigte an, "alle rechtlichen Schritte" zu unternehmen, um TVN24 weiterzuführen. Dem Gesetz zufolge müsste Discovery seine Kontrollmehrheit binnen sechs Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes an ein polnisches Unternehmen verkaufen.

Ob es tatsächlich in Kraft tritt, entscheidet Polens Präsident Andrzej Duda. Dieser kommt ebenfalls aus den Reihen der PiS und hat seit 2015 etliche rechtswidrige Gesetze abgesegnet. Zuletzt aber knirschte es zwischen ihm und PiS-Chef Jarosław Kaczyński. Im August verkündete Duda nach der ersten Annahme des Anti-TVN-Gesetzes, es sei verfassungswidrig, er werde sein Veto einlegen. Am vergangenen Freitag aber klang Duda nicht mehr so eindeutig: "Dieses Gesetz wird von uns natürlich analysiert und eine entsprechende Entscheidung getroffen." Für diese hat Duda 21 Tage Zeit: Der Präsident kann das Gesetz unterschreiben, sein Veto einlegen oder es zur Begutachtung an das politisch kontrollierte Verfassungsgericht schicken.

Der Plan dahinter? Möglicherweise soll das Gesetz von einer Reihe saftiger Skandale ablenken

Noch bevor am Sonntagabend Polen vor dem Präsidentenpalast in Warschau und in rund 80 weiteren Städten gegen das Anti-TVN-Gesetz demonstrieren wollten, rätselten Analysten, warum Kaczyński das Gesetz ausgerechnet jetzt durchdrückte. Die häufigste Antwort lautete: Um zumindest die PiS-Stammwählerschaft, die TVN24 ohnehin nicht mag, von einer Reihe saftiger Skandale abzulenken. In der vergangenen Woche kam unter anderem heraus, dass Leibwächter der ersten PiS-Regierungschefin Beata Szydło über einen spektakulären Unfall gelogen und die Schuld einem einfachen Polen in die Schuhe geschoben hatten; gehackte E-Mails des Kanzleichefs des Ministerpräsidenten enthüllten die Gier eines Ex-Verteidigungsministers; und der Chef des Staatsfernsehens TVP schickte seinen Fahrer offenbar gern zum Einkaufen für seine Frau. Schon zuvor war die PiS in Umfragen vom Allzeithoch von 46 Prozent im Herbst 2019 auf nur noch 28 Prozent abgestürzt.

Kaczyński legt sich mit dem Anti-TVN-Gesetz offen mit der US-Regierung an. TVN24-Eigentümer Discovery schließt sich gerade mit AT&T Warner zusammen, einem der mächtigsten US-Konzerne. Schon im August verurteilte US-Außenminister Antony Blinken das Vorgehen gegen TVN24 scharf. Der neue US-Botschafter in Warschau, Mark Brzezinski, bekräftigte am 1. Dezember im US-Senat, Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit würden in Polen zu seinen wichtigsten Aufgaben gehören. EU-Kommissarin Věra Jourová deutete an, dass auch die EU-Kommission gegen Polen vorgehen dürfte.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5491424
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.