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Nordkorea:Internet-Raubzüge im Wert von bis zu einer Milliarde Dollar

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Wie finanziert das Regime von Machthaber Kim Jong-un sein Atomwaffenprogramm? Die Vereinten Nationen geben eine mögliche Antwort: mittels Hackerangriffen.

Von Thomas Hahn, Seoul

An diesem Mittwoch begeht das Regime in Nordkorea den Tag der Gründung seiner heutigen Volksarmee vor 75 Jahren. Zum Jubiläum ist für den Abend am Kim-Il-sung-Platz in Pjöngjang eine Militärparade mit Feuerwerk und großem Aufmarsch zu erwarten.

Die Regierungen in den USA und Südkorea sind schon gespannt, was die Parteidiktatur diesmal an atomwaffenfähigen Raketen aufbietet. Wobei Ned Price, Sprecher des US-Außenministeriums, am Montag in Washington darauf hinwies, dass man die Show nicht zu ernst nehmen werde. Die Parade habe "sicher eher einen Nachrichten- und Propagandawert als einen materiellen Wert".

Das Land nutzt immer ausgefeiltere Cybertechniken

Trotzdem könnte die Aufführung der Waffenherrlichkeit auch wieder die Frage aufwerfen, wie sich Nordkorea sein Militäraufgebot überhaupt leisten kann. Arm ist das Land schon lange, aber seit Beginn der Pandemie ist die Lage eher schlechter als besser geworden. Aus Angst vor dem Coronavirus schottet sich Nordkorea seit Anfang 2020 fast komplett ab. Der Handel funktioniert nicht mehr wie früher, die Sanktionen der Vereinten Nationen (UN) sind eine Last.

In erster Linie lebt Nordkorea gerade von Hilfen Chinas. Trotzdem rüstet das Regime von Machthaber Kim Jong-un auf. Im vergangenen Jahr hat es mehr als 70 Testraketen verschiedener Reichweiten abgefeuert - Rekord. Wo kommen die Mittel für das ganze Material her?

Cyberkriminalität scheint ein Teil der Antwort zu sein. Jedenfalls haben nordkoreanische Hacker im vergangenen Jahr so viel Geld im Internet gestohlen wie noch nie. Das geht aus einem vertraulichen Bericht von unabhängigen Sanktionswächtern an einen Ausschuss des UN-Sicherheitsrats hervor. Die Nachrichtenagentur Reuters durfte den Report am Montag einsehen und zitierte daraus.

Demnach nutzte Nordkorea "immer ausgefeiltere Cybertechniken, um sich Zugang zu digitalen Netzwerken zu verschaffen, die an der Cyberfinanzierung beteiligt sind, und um Informationen zu stehlen, die auch für die eigenen Waffenprogramme wertvoll sein könnten". Die Quellen dieser Erkenntnis sind UN-Mitgliedsstaaten und Cybersecurity-Firmen.

Der Diebstahl soll 2022 "rekordverdächtig" gewesen sein

Wie viel Geld Nordkorea genau im Internet erbeutet hat, ist schwer zu sagen. Die Sanktionswächter schätzen die Summe auf 630 Millionen US-Dollar, eine Cybersecurity-Firma geht von mehr als einer Milliarde US-Dollar aus. "Die Schwankungen des Wertes von Kryptowährungen in den letzten Monaten haben diese Schätzungen wahrscheinlich beeinflusst", heißt es in dem Bericht, "aber beide zeigen, dass 2022 ein rekordverdächtiges Jahr für den Diebstahl von virtuellen Vermögenswerten durch die DVRK war." DVRK steht für "Demokratische Volksrepublik Korea", den offiziellen Namen Nordkoreas.

Nordkorea hat immer bestritten, sich Geld durch Hacker zu beschaffen. Aber dass das Regime sein Atomwaffenprogramm mit ehrlichem Wirtschaftsgebaren finanziert, ist nicht sehr wahrscheinlich. Vermutlich hat es dafür in den vergangenen drei Jahren sogar die eigenen Anti-Corona-Regeln gebrochen.

Einige Rohstoffe für den Raketenbau kann Nordkorea selbst herstellen. Stahl zum Beispiel. Arbeiter gibt es genug. Aber für Bauteile und Präzisionsmaschinen, die aus dem Ausland kommen müssen, gehen die dichten Grenzen wohl doch auf. "Nordkorea hat sich über die Jahrzehnte ein Handelsnetz durch Bestechung und Unterschlagung aufgebaut", sagt der Brite Peter Ward, Experte für Nordkoreas Wirtschaft an der privaten Kookmin-Universität in Seoul, "sie haben Wege gefunden, Misstrauen und die Beschränkungen aus Europa und Nordamerika zu umgehen".

Die Kosten für diesen Schwarzhandel deckt Kim Jong-uns Regime mit Erspartem, Beiträgen des Parteivolks - und mit der Selbstbedienung aus dem Internet. In Nordkoreas Atomraketen steckt also auch Geld aus virtuellen Raubzügen? Peter Ward antwortet: "Das erscheint sehr wahrscheinlich."

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