Süddeutsche Zeitung

Nato-Beitritt von Finnland und Schweden:Erdoğans Blockade

Lesezeit: 2 min

Die Finnen wollen, die Schweden auch. Aber die Türkei blockiert den Nato-Beitritt der Skandinavier. Präsident Erdoğan hat auch innenpolitische Gründe.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Die Türkei blockiert weiter die Aufnahme Schwedens und Finnlands in die Nato. Staatspräsident Recep Tayyipp Erdoğan sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Telefon, die beiden skandinavischen Staaten hätten die türkischen Forderungen nach einer klaren Distanzierung von angeblich PKK-nahen Kurdenorganisationen in Syrien bisher nicht erfüllt. Stockholm und Helsinki müssten ihren "Paradigmenwechsel" im "Kampf gegen den Terrorismus" zuerst schriftlich garantieren. Zur Frage, wann das Problem gelöst wird, sagte Nato-Chef Stoltenberg, er könne dies bisher noch nicht sagen.

Denn Ankaras Forderungen gehen noch weiter. Auch eine problemlose Zusammenarbeit in der Verteidigungsindustrie müsse schriftlich zugesichert werden, erklärte das Kommunikationsministerium nach dem Telefonat. Dies zielt auf die Sanktionen für rüstungsrelevante Produkte, die die beiden Staaten gegen die Türkei verhängt haben. Anlass für die Strafmaßnahmen war der Einmarsch türkischer Truppen in Nordsyrien.

Votum muss einstimmig sein

Stockholm und Helsinki hatten unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ihre Jahrzehnte alte Neutralitätspolitik aufgegeben und den Beitritt zum Verteidigungsbündnis beantragt. Die Zustimmung zu jeder Neumitgliedschaft ist an ein einstimmiges Votum der Nato-Staaten gebunden. Die Türkei als eines der ältesten Mitglieder kann die Aufnahme Schwedens und Finnlands daher blockieren.

Nicht nur Nato-Generalsekretär Stoltenberg versucht zu vermitteln. So will auch der britische Verteidigungsminister Ben Wallace bei einem anstehenden Türkei-Besuch auf Ankara einwirken. Nachdem sich die beiden skandinavischen Staaten erklärt hatten, hatte Ankara sofort Widerspruch eingelegt. Der Grund: Sowohl Schweden als auch Finnland unterhielten Beziehungen zu Organisationen der syrischen Kurden. Organisationen wie die syrische YPG seien aber nichts anderes als Ableger der in der Türkei, in der EU und in den USA als Terrorgruppe gebrandmarkten kurdischen Guerilla-Organisation PKK. Staatschef Erdoğan hat die beiden Länder als "Gasthäuser für Terroristen" bezeichnet.

Erdoğan will sich profilieren

Die PKK-Nähe bestimmter syrischer Kurdenorganisationen wird von Experten nicht bestritten. Die politischen und militärischen Ziele etwa der YPG, die im syrischen Bürgerkrieg kämpft, sind aber zumindest teilweise andere als die der seit fast vier Jahrzehnten gegen den türkischen Staat kämpfenden PKK. Diese ist eine in der Türkei entstandene Untergrundgruppe. Sowohl die Nato selbst als auch Stockholm und Helsinki hatten inzwischen mehrfach Verständnis für die Vorbehalte geäußert. Doch Ankara reicht dies nicht. Außenminister Mevlüt Cavuşoğlu sagte, die vorgelegten Dokumente erfüllten die Erwartungen nicht.

Erdoğan, der bis Juni 2024 wählen lassen muss, hält nicht nur aus außenpolitischen Erwägungen Kurs: Er will sich auch innenpolitisch profilieren. So attackierte er den Unternehmerverband Tüsiad, weil der einen Kompromiss in der Nato-Frage eingefordert hatte. Dabei sagte Erdoğan, er werde seine Haltung nicht aufgeben, bis Stockholm und Helsinki "konkrete Zugeständnisse liefern". Dort bewegten sich Mitglieder von "Terrororganisationen frei in den Straßen".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5603866
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.