Süddeutsche Zeitung

Brasiliens Präsident in Europa:Lula übt den Spagat

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Der brasilianische Staatschef versucht während seines Besuchs in Portugal schier Unmögliches: an seinen russlandfreundlichen Äußerungen festzuhalten und den Angriff auf die Ukraine dennoch zu verurteilen.

Von Karin Janker, Madrid

Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva versucht in diesen Tagen, sich weit, sehr weit zu strecken. Fast unmöglich erscheint der Spagat, den Lula auf der ersten Europareise seit seiner Wiederwahl probiert: Da sind auf der einen Seite seine wiederholten Anschuldigungen, wonach die USA und Europa den Krieg in der Ukraine beförderten, und auf der anderen Seite seine mantraartig wiederholten Beteuerungen, auch er verurteile die russische Invasion in der Ukraine. Es ist eine Kluft, die selbst für den erfahrenen Geopolitiker Lula zu weit sein könnte.

Am Samstag ist Lula zu einem mehrtägigen Staatsbesuch in Portugal eingetroffen. 13 bilaterale Vereinbarungen sollten unterzeichnet werden zwischen den beiden Ländern, der früheren Kolonie und ihrem einstigen Mutterland, deren Kräfteverhältnis sich längst umgekehrt hat. Von einem "Neustart der Beziehungen" war in einer Erklärung des brasilianischen Präsidentenamtes die Rede.

Doch die Welt blickte vor allem darauf, was der brasilianische Präsident zur Ukraine zu sagen habe. Würde er sich entschuldigen und zuletzt gemachte Äußerungen zurücknehmen oder zumindest geraderücken? Immerhin ist Lula geschickt darin, sich an die Interessen seiner jeweiligen Gastgeber anzupassen - natürlich um der eigenen Interessen willen. Er tat das zuletzt etwa in China, wo er die militärische Unterstützung der Ukraine durch die Nato und andere Länder kritisierte.

"Die USA müssen aufhören, den Krieg zu fördern und anfangen, über Frieden zu reden. Die EU muss anfangen, über den Frieden zu reden", sagte Lula auf seiner China-Reise. Die Antwort aus den USA kam prompt: "Brasilien hat die russische und chinesische Propaganda nachgeplappert", sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, in Washington.

"Wir denken alle, dass Russland einen Fehler gemacht hat."

Seinen Versuchen, sich selbst als Vermittler zwischen Russland und der Ukraine ins Gespräch zu bringen, schadet Lula mit solchen Äußerungen. Von ukrainischer Seite dürfte er kaum noch als neutral wahrgenommen werden. Doch auch das Verhältnis zu den Partnern in der EU ist Lula ein Anliegen, und eben darum ging es ihm jetzt in Portugal.

Der portugiesische Präsident Marcelo Rebelo de Sousa hatte bereits im Vorfeld des Besuchs aus Brasilien die Differenzen beider Länder im Hinblick auf die Ukraine unterstrichen: Diese habe das Recht, sich zu verteidigen und ihr von Russland besetztes Territorium zu befreien, betonte er. Nur auf dieser Grundlage sei ein dauerhafter Frieden möglich. Dieser Meinung ist auch der sozialistische Regierungschef António Costa. Offen kritisieren wollte man Lula für seine Ansichten trotzdem nicht. Portugal ging auf Distanz zu Lula, ohne dass ein Schatten auf die Beziehungen zwischen beiden Ländern fiel. Brasilien habe eben eine andere Perspektive.

Lula selbst sagte bei einer Pressekonferenz am Samstag in Lissabon: "Wir denken alle, dass Russland einen Fehler gemacht hat." Russland habe die staatliche Integrität der Ukraine verletzt. Die Konsequenz müssten nun allerdings Friedensgespräche sein. Einen Abzug russischer Truppen aus der Ukraine forderte Lula nicht. "Russland will nicht aufhören, und die Ukraine will nicht aufhören", sagte Lula. Brasilien wolle einen "dritten Weg zur Lösung des Konflikts finden" und Russland und die Ukraine an einen Tisch bringen. Wenn man keinen Frieden schaffe, trage man zum Krieg bei, sagte er in Richtung USA und EU.

Sein Statement klang wie eine abgemilderte, gewissermaßen europäisierte Version seiner jüngsten Aussagen in China und auch beim Besuch des russischen Außenministers Sergej Lawrow in Brasilien vor wenigen Wochen. Noch vor einem Jahr hatte Lula dem US-amerikanischen Time Magazine gesagt, nicht Putin sei schuld am Krieg, vielmehr trügen die USA und die EU die Verantwortung für den Einmarsch. Damals war Lula noch Wahlkämpfer gewesen und wollte sich mit der traditionellen USA-Kritik wohl die Stimmen seiner linken Anhängerschaft sichern.

Am Mittwoch wird Lula in Spanien erwartet, ebenfalls von einem Wahlkämpfer: Ministerpräsident Pedro Sánchez könnte versuchen, den brasilianischen Spagat-Versuch ins Straucheln zu bringen, um seine eigene Position in der Ukraine-Frage zu festigen und ein Signal in Richtung der europäischen Partner zu senden. Schließlich bleiben nur gut zwei Monate, bis Spanien die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt und Sánchez' Reputation zu Hause lebt immer auch vom Ansehen, das er in der EU genießt.

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