Süddeutsche Zeitung

Leitzins-Erhöhung:Schlechte Nachrichten für Schuldner

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Je höher die Verbindlichkeiten, desto mehr werden steigende Zinsen zum Problem. Das könnte vor allem Italien und Frankreich treffen, aber auch Länder, die sich auf einem Konsolidierungskurs bewegen.

Von Andrea Bachstein und Michael Kläsgen

Frankreich gehört nach Ansicht des Ökonomen Philippe Trainar "eindeutig" zu der Gruppe der schwächsten Länder in der Eurozone. Trainar begründet das mit verschiedenen Kriterien, die alle mit den öffentlichen Finanzen zu tun haben. So liege die Staatsverschuldung bei 113 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und damit höher als in den meisten der anderen 19 Ländern der Eurozone. 1992, lange vor den vielen Wirtschaftskrisen der vergangenen Jahre, hatten sich die Euroländer einmal verständigt, dass der Schuldenstand eines Mitgliedstaates 60 Prozent des BIP nicht überschreiten soll. Das halten viele Länder nicht mehr ein, auch in Deutschland ist er etwas höher.

Frankreich, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone, hat sich aber inzwischen ziemlich weit von ursprünglichen Zielen entfernt. Auch bei der Neuverschuldung. Statt bei den angestrebten drei Prozent des BIP summiert sich das Defizit derzeit auf 6,5 Prozent. Aus Sicht von Trainar kommt erschwerend hinzu, dass Frankreich von allen Staaten "mit den geringsten Spielraum" habe, dies zu ändern. Denn die Steuerlast für Bürger und Unternehmen sei die höchste im Euroraum. Steuererhöhungen seien somit eigentlich keine Option und Ausgabenkürzungen politisch kaum durchsetzbar. Hinzu kommt, dass es teurer für Staaten wie Frankreich wird, die Schulden zu tilgen, wenn die Zinsen steigen.

Je höher der Schuldenberg, desto schwieriger wird es, ihn abzutragen. Es kommt nun laut Agnès Verdier-Molinié darauf an, dass die Regierung einen glaubwürdigen Plan vorlegt, wie sie die öffentlichen Finanzen sanieren will. Nach Einschätzung der Chefin des Pariser Thinktanks Ifrap hängt davon letztlich die Stabilität der Eurozone ab. Doch im Moment gibt es keinen Plan.

So ähnlich sieht es in Italien aus, doch da ist nun auch noch die Politik unberechenbar geworden durch das Ende der Regierung Mario Draghis, die Märkte haben sogleich mit Zinsaufschlägen für italienische Staatsanleihen reagiert. Das kostet das Land viele Milliarden zusätzlich bei einem auf 2,5 Billionen Euro summierten Defizit. Die chronische Staatsverschuldung liegt inzwischen bei 150 Prozent des BIP. Dass letzteres wächst und so die Schulden schrumpfen, darauf hatte Draghi gesetzt, und es sah auch bis zur Ukraine-Krise ganz gut aus. Doch Energiekosten und Inflation bremsen Italiens Unternehmen, die schon die Pandemie besonders gebeutelt hatte. In einem zuletzt verabschiedeten Gesetzespaket sind viele Maßnahmen und Hilfen enthalten, die für Firmen und Bürger die Preisanstiege und die in der Pandemie erlittenen Einbußen abfedern, Reformen und Zukunftsinvestitionen enthalten. Weil nun erst mal politisches Chaos droht, ist aber unsicher, ob und wie schnell die segensreichen Gesetze umgesetzt werden können und die Hilfen fließen. Auf solche Unsicherheiten reagieren die Märkte bissig, wie italienische Aktienkurse zeigen. Immerhin, wenn auch die nächste Regierung profitieren will vom EU-Wiederaufbauprogramm, muss sie bis 2026 den Weg der dafür geforderten Reformen einhalten.

In den Augen von Analysten und aus dem Blick der Finanzmärkte hat sich für Griechenland, Spanien und Portugal die Lage offenbar einigermaßen beruhigt im Vergleich zu 2020, erst recht seit der Eurokrise. Die Länder haben gespart und reformiert. Die Staatsdefizite sind weiter hoch, aber die Prognose ist, dass sie sinken. Wie in allen Ländern belasten Inflation und andere Ungewissheiten durch Russlands Krieg gegen die Ukraine die Wirtschaftsaussichten, und wie überall ist die Erwartung, dass negative Einwirkungen durch den Next-Generation-Fonds der EU gemildert werden.

Für Spanien erwartet die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), dass das Wachstum des BIP sich verlangsamt, 4,1 Prozent in diesem Jahr und noch 2,2 Prozent im kommenden sind vorhergesagt. Spanien hilft, dass der Tourismus sich dem Niveau vor der Pandemie nähert, was sich auch auf dem Arbeitsmarkt zeigt. Die Staatsverschuldung liegt bei etwa 1,5 Billionen Euro, etwas höher als im Vorjahr, und sie macht etwa 117 Prozent des BIP aus.

Das Nachbarland Portugal hat sich mit seiner Haushaltspolitik schon viel Lob erarbeitet, weil es seine Schulden reduziert hat, auch schneller als geplant. Die Staatsverschuldung liegt zwar immer noch bei 127 Prozent des BIP, ist aber seit dem Höhepunkt 2020 sinkend und wird nach OECD- Prognosen weiter sinken. Um 5,4 Prozent sollte das BIP der gut zehn Millionen Portugiesen dieses Jahr wachsen. Die Urlauber kommen wieder, Investitionen sind angesprungen, die Regierung in Lissabon hat sich mit ihrer Haushalts- und Wirtschaftspolitik einen ganz guten Ruf in Brüssel und bei den Anlegern erworben.

Im Osten des Mittelmeers bei den Griechen stehen die Staatsausgaben noch unter Aufsicht wegen der vielen Kredite. Aber sie haben in Athen auch schon fleißig zurückgezahlt, an den Internationalen Währungsfonds (IWF) etwa sogar vorzeitig 1,85 Milliarden Euro, das spart Zinsen. Dennoch, die Nothilfen müssen noch jahrzehntelang abgestottert werden. Das Defizit liegt bei gewaltigen 185 Prozent des BIP, das schlechteste Verhältnis in der Eurozone - aber mit sinkender Tendenz. Für 2022 wird eine Staatsverschuldung Griechenlands von etwa 370,6 Milliarden Euro angenommen. Auch den Griechen hilft, dass Reformen und Sparmaßnahmen wirken, die Touristen nach der Pandemie gerne wiederkehren. Vergangenes Jahr wuchs das BIP um stattliche 8,3 Prozent nach dem Pandemieeinbruch. Die Investitionen sind gestiegen, es gibt mehr Beschäftigung, bei 12,5 Prozent liegt die Arbeitslosenrate. Auf 4,5 Prozent Wachstum hoffte die Regierung in Athen dieses Jahr, auf 3,2 Prozent revidierte das gerade die griechische Zentralbank. Inflation und Ukraine-Krise stellen vieles infrage, ein Drittel seines Energiebedarfs bezog Griechenland von den Russen. Die Energiekosten liegen über dem EU-Durchschnitt. Auf jeden Fall, so heißt es, sei das Land nach Reformen und Sparmaßnahmen sowie durch EU-Mittel etwas stabiler aufgestellt als bei der Eurokrise, ebenso seine Banken, und griechische Staatsanleihen waren zuletzt gefragt.

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