Süddeutsche Zeitung

Israels Premierminister in Berlin:Ein Treffen unter sehr speziellen Vorzeichen

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Israels Premier Jair Lapid besucht Kanzler Olaf Scholz. Der hat sich neulich mit dem Palästinenserpräsidenten einen Fauxpas geleistet. In Berlin geht es aber auch um Iran, Waffen - und die Erinnerung an den Holocaust.

Von Peter Münch, Tel Aviv/Berlin

Er hat sich einiges vorgenommen für diese Reise, man sieht es schon, als Jair Lapid in Tel Aviv ins Flugzeug steigt. Kurz vor dem Abflug nach Berlin hatte Israels Premierminister noch die wöchentliche Kabinettssitzung mit einer überraschenden und aus israelischer Sicht erfreulichen Nachricht eröffnet: Zumindest in der näheren Zukunft wird es wohl kein neues internationales Atomabkommen mit dem Erzfeind Iran geben. Nun steigt er die Gangway empor, und an seiner Seite findet sich eine doch sehr ungewöhnliche Delegation. Fünf hochbetagte Holocaust-Überlebende begleiten ihn zu seinen politischen Gesprächen mit der deutschen Führung.

Den Bogen für diesen Besuch hat Lapid, der in Israel im Wahlkampf steht, also weit gespannt: Mit den deutschen Partnern soll die aktuelle politische Lage erörtert und möglichst eine neue Marschrichtungen im Umgang mit dem Teheraner Regime erörtert werden. Doch dabei soll das nicht zu kurz kommen, was ihm politisch, aber auch persönlich sehr am Herzen liegt: das Erinnern an den Massenmord an sechs Millionen Juden. Gerade jetzt, gerade hier.

Lapid, 58, ist Sohn eines Holocaust-Überlebenden, sein Großvater starb im KZ Mauthausen. Als er im Juni das Amt des Premierministers übernahm, führte ihn der erste Weg in die Gedenkstätte Yad Vashem. Das "Nie wieder" ist der Kern seines politischen Credos, und dass er nun nach Berlin eine Gruppe von Überlebenden mitbringt, darf durchaus auch als Antwort auf den jüngsten Auftritt des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas in der deutschen Hauptstadt verstanden werden.

Nach Abbas' Holocaustvergleich telefonierten die beiden. Alles geklärt, versichern sie

Im Kanzleramt war Abbas Mitte August mit einem verheerenden Vergleich entgleist: "50 Holocausts" an den Palästinensern hatte er der israelischen Besatzungsmacht vorgeworfen - und der deutsche Kanzler Olaf Scholz hatte still danebengestanden und sich erst hinterher heftig empört. Bei einem Telefongespräch zwischen Scholz und Lapid in den Tagen danach ist das geklärt und zugleich dann dieser Besuch vereinbart worden. Und als Lapid nun aus dem Flugzeug steigt auf deutschen Boden, als er zusammen mit jenen, die dem Vernichtungswahn der Nazis entkommen sind, über den roten Teppich durch das Spalier der Ehrengarde geht, da erklärt er: "Das ist Ihr Sieg, meiner als Sohn eines Holocaust-Überlebenden, und unserer als Volk und Nation." Und der fügt an: "Wir werden niemals vergessen."

Am Montagmittag, nach vorangegangenen Treffen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Außenministerin Annalena Baerbock, steht Lapid dann bei der gemeinsamen Pressekonferenz da, wo Abbas knapp vier Wochen zuvor gestanden hatte: neben Scholz. Allerdings nicht drinnen im Kanzleramt, sondern draußen im Garten. Die luftige Atmosphäre jedoch bewahrt den Kanzler nicht davor, noch einmal Stellung nehmen zu müssen zu diesem Auftritt mit dem Palästinenserpräsidenten, der auch auf seiner Seite ein Fehltritt war. Er macht es kurz und verurteilt Abbas' Äußerungen in aller Schärfe. Und Lapid tut Scholz den Gefallen, sich bei ihm für die "sehr klare Reaktion" zu bedanken.

Abbas, so viel ist klar, soll nicht die Ehre haben, zwischen den beiden zu stehen, in deren Händen nun die sehr besonderen deutsch-israelischen Beziehungen liegen. Unterschiedlicher allerdings könnten die beiden kaum sein: der spröde Scholz als Meister der Defensive, dazu Lapid, der bei jeder Gelegenheit in die Charmeoffensive geht. Israels Regierungschef betreibt Politik gern sehr persönlich. Mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron pflegt er eine ostentative Freundschaft. Mit der neuen britischen Premierministerin Liz Truss ist er verbandelt seit den gemeinsamen Außenministerzeiten. Nun will er die Beziehung zu Scholz vertiefen als dem Dritten im Bunde jener "E3-Staaten", die auf europäischer Seite mit Iran verhandeln - und die just vor Lapids Eintreffen in Berlin in einer gemeinsamen Erklärung "Zweifel an Irans Absichten" in den Atomverhandlungen geäußert hatten.

Diese Zweifel, die einen baldigen Abschluss eines Abkommens höchst unwahrscheinlich machen, werden in Israel als eigener Erfolg gesehen. Schließlich hatte Lapids Regierung die Partner im Westen nicht nur stets vor einem Teheraner Doppelspiel gewarnt, sondern sie auch mit reichlich Geheimdienstinformationen dazu versorgt. Nun hofft man darauf, dass eine Neuauflage des 2015 geschlossenen und vom damaligen US-Präsidenten Donald Trump 2018 aufgekündigten Nuklearabkommens nicht nur aufgeschoben, sondern de facto vom Tisch ist.

Dann geht es zum Haus der Wannseekonferenz - mit Überlebenden des Holocaust

Lapid wirbt in Berlin bereits für die Zeit danach, für einen womöglich besseren Deal, der den Iranern weit stärkere Fesseln anlegt. Von den USA wünscht er sich, dass sie die Teheraner Herrscher mit einer glaubwürdigen militärischen Option vom Weg zur Atombombe abbringen. Von den Europäern erwartet er deutlich mehr Druck auf das Regime. Scholz allerdings macht deutlich, dass er ein Abkommen mit Iran weiterhin für "den richtigen Weg" halte. "Wir bleiben geduldig, aber wir bleiben auch klar", sagt er. Als kleinster gemeinsamer Nenner bleibt schließlich das Bekenntnis beider, dass Iran keine Atomwaffen besitzen dürfe.

Das Thema Iran dominiert Lapids Besuch in Berlin. Andere wichtige bilaterale Themen geraten da eher in den Schatten. Dabei gibt es auch noch Fortschritte zu vermelden auf dem Weg zu einem lange schon geplanten deutsch-israelischen Jugendwerk. Zudem soll der im Frühjahr vereinbarte "strategische Dialog" zwischen beiden Staaten ausgebaut werden. Auch Gaslieferungen aus Israel nach Europa gilt es zu besprechen, die ab dem nächsten Jahr zumindest zehn Prozent der russischen Lieferausfälle ausgleichen könnten.

Obendrein dürfte hinter verschlossenen Türen noch über ein paar Waffengeschäfte verhandelt worden sein, zum Beispiel über das Raketenabwehrsystem Arrows 3. Genaueres dazu will noch keiner der beiden sagen. Scholz allerdings spricht von einem "sehr leistungsfähigen System". Lapid bestätigt, dass man im Gespräch sei, "jeden Tag und auch heute".

Zum Abschluss fahren Scholz und Lapid am Nachmittag noch gemeinsam hinaus zum Haus der Wannseekonferenz. Da, wo die Nazis 1942 den millionenfachen Massenmord an den Juden planten, treffen sie nun gemeinsam mit den Überlebenden des Holocaust zusammen, die mit Lapid nach Berlin gekommen sind, mit Shoshana Trister und Pnina Katzir, mit Abraham Roth, Yisrael Milah und Zvi Gill.

"Ich denke, das wird ein kompliziertes Treffen für Sie", hat Lapid am Mittag zum Kanzler gesagt und später seinen "moralischen Mut" gelobt. Doch Scholz zeigt sich "froh, dass wir heute die Gelegenheit haben, zu diskutieren". Dies sei auch eine Mahnung, im Kampf gegen Antisemitismus nicht nachzulassen. Draußen vor dem Fenster fahren in unschuldigem Idyll die Schiffchen vorbei, drinnen berichten fünf alte Menschen, teils unter Tränen, von dem durchlebten Grauen. Vom Tod der Angehörigen, von Schlägen oder abgeschnittenen Ohren, von der Kälte, dem Hunger und der Angst. Sie haben überlebt und legen nun Zeugnis ab, vor dem deutschen Kanzler und dem israelischen Premier.

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