Süddeutsche Zeitung

Kritik an Atomgutachten:"Schlampig argumentierende Auftragsarbeit"

Lesezeit: 3 min

Können Atomkraftwerke länger laufen? Ja, sagt Markus Söder und beruft sich auf ein TÜV-Papier zu Isar 2, das keine Sicherheitsbedenken sieht. Nun wird die Expertise durch ein weiteres Gutachten allerdings scharf attackiert.

Von Markus Balser und Andreas Glas, Berlin

Dass der TÜV bei den Deutschen ein äußerst seriöses Image genießt, dürfte bei diesem Auftrag keine kleine Rolle gespielt haben. "Die mit dem Siegel", lautet in einem Imagefilm die ironische Selbstbeschreibung der wichtigsten deutschen Prüfinstanz. Es gehe um "Sicherheit" und "Vertrauen" und das "große Ganze", beschreibt der TÜV die eigene Arbeit. Selbst bei der dicksten Mauer schaue man hinter die Kulissen. "Für Sie da", verspricht der Überwachungsverein.

Da waren die Prüfer in diesem Jahr auch für das bayerische Umweltministerium. Für die Behörde schrieb die Tochter TÜV Süd Industrie Service GmbH eine Einschätzung zur Frage, inwieweit eine Laufzeitverlängerung für den Reaktor Isar 2 überhaupt machbar ist. Das Ergebnis fiel deutlich aus. "Aus sicherheitstechnischer Sicht" bestünden "keine Bedenken" dagegen, das Kraftwerk über den 31. Dezember hinaus am Netz zu lassen, dem eigentlich gesetzlich beschlossenen Ausstiegsdatum.

Die Anlage werde ja fortlaufend überwacht, es gebe keine Hinweise darauf, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte. Und dass die große "periodische Sicherheitsüberprüfung", die ungefähr alle zehn Jahre ansteht, eigentlich überfällig ist, sei auch kein Problem - das könne man während des laufenden Betriebs machen, schreiben die TÜV-Experten. Das gilt als wichtige Aussage, denn monatelanger Stillstand würde das Ziel der Befürworter konterkarieren, über Dezember hinaus stabil Strom zu liefern.

Söders Argumentation wackelt

Bayerns Landesregierung ließ die Expertise zuletzt selten unerwähnt, wenn es um längere Atomlaufzeiten ging. Für Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ist sie ein wichtiger Pfeiler seiner Argumentation geworden. Zumal sie auch eine Wiederinbetriebnahme eines Blocks des bereits abgeschalteten AKW Gundremmingen für technisch möglich hält.

Doch nun bekommt die TÜV-gestützte Argumentationskette Risse: Die Die Kanzlei des Hamburger Anwalts und früheren Greenpeace-Vorstands Michael Günther hält dem TÜV vor, eine "schlampig argumentierende Auftragsarbeit" abgeliefert zu haben, die "nicht als seriöse Bewertung anerkannt werden kann". Sie sei vielmehr "für den Einsatz als Waffe in der aktuellen Diskussion um eine Laufzeitverlängerung in der politischen Arena bestimmt" gewesen. Die Stellungnahme wurde im Auftrag von Greenpeace Deutschland erstellt und liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Es bestehe der Verdacht, "dass hier ein Gefälligkeitsgutachten erstellt worden ist", schreiben die Anwälte.

Auch in Berliner Regierungskreisen gibt es hinter vorgehaltener Hand Kritik am Papier der TÜV-Tochter. Die nur siebenseitige Stellungnahme könne unmöglich als Begründung für die technische Machbarkeit einer Laufzeitverlängerung herhalten, heißt es. "Unabhängig vom Zustand und ohne Überprüfung der AKW steht für den TÜV das Ergebnis bereits fest", kritisiert Heinz Smital, Atomphysiker und Greenpeace-Atomexperte.

Und wie bewertet Söder nun das Gutachten, das indirekt auch seine politischen Forderungen anzweifelt? Auf Nachfrage der SZ gibt er sich komplett unbeeindruckt. "Ein von Greenpeace bezahlter Anwalt aus Hamburg will es besser wissen als der TÜV? Das muss man nicht weiter kommentieren", sagt der bayerische Ministerpräsident. Plötzlich klingt er wie seine eigenen Kritiker, die ja ebenfalls Befangenheit wittern. Schon direkt nachdem es bekannt geworden war, hatte Bayerns SPD-Chef Florian von Brunn das TÜV-Papier "politisch eingefärbt" genannt. Spätestens jetzt, durch das neue Rechtsgutachten, sehe er sich bestätigt, sagte von Brunn am Freitag. Dagegen wies das bayerische Umweltministerium die Kritik an den Prüfern zurück. "Der TÜV Süd ist einer der renommiertesten und mit Fragen der Kernkraft am besten vertrauten Experten", sagte ein Sprecher.

Zweifel aus der Energiebranche

Selbst in der Energiebranche hält man einen längeren Betrieb der eigenen Kraftwerke nicht für ausgemacht und verweist auf den Umgang mit Sicherheitsfragen. Zwar lasse sich das Kraftwerk ein paar Wochen im jetzigen Zustand über den Jahreswechsel hinaus weiterbetreiben, sagte der Vorstandschef des Energiekonzerns EnBW, Frank Mastiaux, in Bezug auf das eigene Kraftwerk in Neckarwestheim.

Aber es müsse Klarheit darüber bestehen, wie man eigentlich mit den internationalen Normen für Prüfverfahren umgehe, die alle zehn Jahre eine Revision vorsähen, sagte Mastiaux. Denn die Untersuchung, die eigentlich 2019 angestanden hätte, hatte wegen der geplanten Stilllegung nicht stattgefunden. Kraftwerke im Stillstand aber würden im Kampf um Energiesicherheit nicht helfen. Mit den bislang geladenen Brennstäben könne man im Fall Neckarwestheim ohnehin nur noch ein paar Wochen länger weitermachen, warnt der EnBW-Chef. "Aber das ist es dann auch".

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