Süddeutsche Zeitung

Koalitionsausschuss:"Zufriedengeben kann man sich mit dem noch nicht"

Lesezeit: 4 min

SPD und FDP loben die eigenen Ergebnisse. Die Grünen zeigen gemischte Gefühle - und sind sich überraschend einig mit der Union. Reaktionen im Überblick.

Von Julia Hippert

30 Stunden haben SPD, FDP und Grüne verhandelt, über Klimaschutz, den Ausbau des Schienennetzes und die Beschleunigung von Planungsprozessen. 16 Seiten Text sind dabei herausgekommen. Am Tag danach ist nun die Zeit, das Ergebnis öffentlich zu deuten - und zwar im Falle der beteiligten Verhandlerinnen und Verhandler möglichst so, dass die eigene Rolle günstig erscheint und sich das Ergebnis nach einem Sieg anhört. Ein Überblick über die - durchaus gemischten - Reaktionen aus dem Lager der Ampel und die Kritik der Opposition:

"Ich bin nicht nur enttäuscht, ich bin in Teilen fassungslos", sagt etwa der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Andreas Jung im ARD-"Morgenmagazin". Es sei weder etwas zum Haushalt noch zur Kindergrundsicherung beschlossen worden. Auch in der Heizungsfrage, die zwischen den Koalitionspartnern zum Streitthema wurde, gebe es nur Allgemeinplätze. "Wäre das ein Beschluss einer CDU-Regierung, die Grünen würden auf allen Marktplätzen demonstrieren", sagte Jung.

Selbst die Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang zeigt sich nicht hundertprozentig überzeugt. Im ARD-"Morgenmagazin" sagte sie: "Zufriedengeben kann man sich mit dem, was auf dem Tisch liegt, noch nicht." Aber man müsse sich fragen, wie das Ergebnis ausgesehen hätte, wenn die Grünen nicht in der Regierung wären. Die Regierung sei weiterhin handlungsfähig, aber sie wolle ganz ehrlich sein. "Reicht das, was da beim Klimaschutz drinsteht? Nein!", sagte Lang.

Ihr Co-Vorsitzender Omid Nouripour bringt bei Twitter ebenfalls eine ambivalente Haltung zum Ausdruck. Einerseits verteidigt er das Ergebnis gegen Kritik, andererseits lässt er durchblicken, unter welchen Schmerzen es zustande gekommen ist.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nennt das Maßnahmenpaket für die Bahn und den Schwerlastverkehr "sehr wuchtig". Allerdings räumte er in der ZDF-Sendung "Markus Lanz" ein, dass die Planungsbeschleunigung für Autobahnprojekte seiner Partei nicht leicht gefallen sei. "Das war kein Wunsch der Grünen", sagte Habeck. Wichtig sei aber, dass Probleme gelöst worden seien.

Linke und AfD können der Einigung der Ampel erwartungsgemäß nichts Gutes abgewinnen. "Eine Erhöhung der Lkw-Maut macht kein Gesamtkunstwerk, sondern ist ein Debakel für die Ampelregierung und einen Kanzler mit fortgesetzter Führungsschwäche", sagte Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch dem Nachrichtenportal T-Online. Wie Bartsch kritisierten auch die Fraktionschefs der AfD, Alice Weidel und Tino Chrupalla, dass das geplante Verbot des Einbaus neuer Öl- und Gasheizungen noch nicht vom Tisch sei. Sie nannten die Ergebnisse der Koalitionsgespräche insgesamt "dürftig".

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt äußerte sich bei den Sendern RTL und n-tv: "Das ist kein Wumms, das ist schon gar kein Doppelwumms. Das ist, glaube ich, nicht mal ein Wümmschen." Man habe sich offensichtlich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verständigt. Die Grünen seien die Verlierer der Debatte.

Kritik kommt auch von Sozial- und Umweltverbänden

Vertreter von Umweltorganisationen wie Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger kritisieren, mit der Aufweichung der Klimaziele für die einzelnen Sektoren wie etwa Verkehr oder dem Bauwesen falle die Ampelregierung hinter das Niveau der Vorgängerregierung zurück. Der geschäftsführende Vorstand von Greenpeace, Martin Kaiser, sagte, wenn nun 144 zusätzliche "klimaschädliche Autobahnprojekte" beschleunigt vorangetrieben würden, entkerne man damit alle Klimaschutzversprechen.

Lob kommt hingegen von der Nichtregierungsorganisation Allianz pro Schiene, weil mehr Geld für die Bahn in Aussicht gestellt wird. "Endlich wird der Zwang abgeschafft, die Lkw-Mauteinnahmen in Bundesfernstraßen investieren zu müssen. Jetzt darf in umweltfreundliche Alternativen investiert werden, das ist ein Riesenfortschritt", sagte Geschäftsführer Dirk Flege. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund lobt, dass auch künftig in den Straßenbau investiert wird. "Deutschland wird noch sehr lange auf die Automobilität angewiesen sein. Es wird Jahrzehnte dauern, das Schienennetz - auch das europäische - so auszubauen, dass das Volumen der Schienentransporte sehr deutlich steigen kann", sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der Rheinischen Post.

Der Sozialverband VdK und der Kinderschutzbund monieren, dass die Ampelkoalition sich nicht auf eine Finanzierung der geplanten Kindergrundsicherung verständigt habe.

"Weltformel noch nicht gefunden"

Die Reaktionen aus SPD und FDP sind etwas positiver. SPD-Chef Lars Klingbeil sprach im ZDF-"Heute-Journal" von einem großen Modernisierungspaket, welches das Land über die kommenden Jahrzehnte verändern werde. Dafür sei er auch bereit, sich "mal zwei Tage an einen Tisch zu setzen".

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) äußerte sich am Mittwochmorgen im Deutschlandfunk. "Das ist ein gutes Paket, damit Deutschland wirtschaftlich stark bleibt und die Energiewende schafft."

Die Reaktion von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert dagegen fällt differenzierter aus: "Die Weltformel haben wir jetzt noch nicht gefunden", sagte Kühnert im Bayerischen Rundfunk. Es gebe nun jedoch einen politischen Rahmen, in dem man sich bewegen könne. Allerdings seien die Ergebnisse noch "kein Gesetzwerk". Details müssten noch ausgearbeitet und verändert werden, zum Beispiel das Gebäudeenergiegesetz beim Thema Gas- und Ölheizungen. Die Stimmung in der Ampelkoalition sei allerdings "deutlich freundlicher", als sie zuvor beschrieben worden sei, sagte der SPD-Politiker.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr wertet die Ergebnisse des Koalitionsausschusses als einen "wahren Paradigmenwechsel". Das Tempo von Planungs- und Genehmigungsverfahren werde weiter erhöht. Das Klimaschutzgesetz werde von der "Planwirtschaft in die Marktwirtschaft" überführt. Die Koalition habe sich zudem zur Technologieoffenheit bekannt - dieses Schlagwort haben die Liberalen bereits häufiger in die Debatte über den Klimaschutz eingebracht.

Die Ergebnisse des Koalitionsausschusses

Der Koalitionsausschuss hatte mit Unterbrechungen von Sonntagabend bis Dienstagabend getagt. Die drei Koalitionsparteien einigten sich auf eine Reform des Klimaschutzgesetzes. Außerdem sollen bestimmte Autobahnprojekte beschleunigt werden, nämlich jene mit denen Engstellen beseitigt werden. Die Rede ist von 144 Vorhaben. Mehr Geld soll die Bahn bekommen. Dafür sollen im Zuge einer Reform der Lkw-Maut Mehreinnahmen überwiegend für Investitionen in die Schieneninfrastruktur genutzt werden. Bisher gehen Einnahmen aus der Lkw-Maut nur in den Fernstraßenbau.

Bei Eingriffen in Natur und Landschaft, etwa durch den Bau von Windrädern oder Straßen, soll nicht nur ein Flächenausgleich gelten, sondern künftig auch Geld als Kompensation gezahlt werden können. Neu gehandhabt werden sollen die Jahresmengen, die Sektoren wie Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft sowie Abfallwirtschaft an CO₂ ausstoßen. Überschreitet ein Bereich die vereinbarte Jahresmenge, müssen die Ministerien sogenannte Sofortprogramme für mehr Klimaschutz vorlegen. An dieser Erhebung für jeden Sektor will die Koalition zwar festhalten, nachsteuern soll die Regierung künftig aber erst nach zwei aufeinanderfolgenden Zielverfehlungen - und zwar für alle Sektoren zusammen.

Für den Einbau klimafreundlicherer Heizungen soll es nun einen sozialen Ausgleich geben. An der Vorgabe, dass vom 1. Januar 2024 an möglichst jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden soll, will die Koalition aber festhalten.

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