Süddeutsche Zeitung

Koalitionen:Koalitionsabsagen vor der Wahl sind undemokratisch

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Ständig verkündet eine Partei, mit wem sie in NRW und im Bund auf keinen Fall regieren will. Das ist Krachmacherei - und kann auch nach hinten losgehen.

Kommentar von Heribert Prantl

Die Ausschließeritis gehört zu den Torheiten der Politik. Die Wahlkampf-Erklärungen, dass man eine bestimmte Koalition nach der Wahl ausschließe oder nicht ausschließe - sie gleichen dem Trommeln auf leeren Töpfen. Das ist laut, das macht Krach, das erregt Aufsehen. Aber am Wahltag wird der Topf gefüllt; und dann müssen die Parteien gemeinsam daraus löffeln.

Die FDP in NRW schließt aus, dass sie in eine Koalition gehen wird, in der auch die Grünen sind. Die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen wiederum schließen aus, dass sie ein Bündnis mit den Linken eingehen. Die Grünen in Nordrhein-Westfalen schließlich schließen nicht mehr aus, dass sie dort auch zusammen mit der CDU regieren könnten. Und der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat gleich nach dem Schreck der Saarland-Wahl erklärt, dass nun eine rot-rot-grüne Koalition im Bund nicht mehr in Betracht komme.

Ausschluss, Nichtausschluss, Halbausschluss - all solche Erklärungen sind nicht nur unklug, sondern undemokratisch. Es gehört zur Geschäftsgrundlage demokratischer Politik, dass notfalls jede einigermaßen bewährte Partei mit jeder anderen einigermaßen bewährten Partei koalieren kann. Koalitionen sind keine Hochzeiten im Politikparadies, sondern schlicht Zweckbündnisse auf Zeit. Ausschlussbekenntnisse erschweren das demokratische Geschäft.

Das weiß man spätestens seit Ypsilanti: Bei der Landtagswahl 2008 nahm die Andrea-Ypsilanti-SPD der CDU des Roland Koch die absolute Mehrheit weg, schaffte es aber nicht, eine Regierung zu bilden - Ypsilanti flog die Ausschließeritis um die Ohren. Sie hatte vorher jede Zusammenarbeit mit den Linken ausgeschlossen.

Ausschlussbekenntnisse sind ein Zeichen von Nervosität

Ausschlussbekenntnisse, wie sie wieder in Mode sind, sind kein Zeichen von Souveränität. Bei der SPD ist das besonders deutlich: Immer dann, wenn sie besonders nervös ist, haut sie die Linken und erklärt, dass sie mit denen nicht koalieren will.

Bei FDP und Grünen ist die Angifterei Ausdruck eines Alleinvertretungsanspruchs: Beide wollen alleinige Vertreter des Liberalismus sein. Dabei sind Freidemokraten und Grüne so etwas wie das doppelte Lottchen der Politik, beide tragen liberale Erbsubstanz in sich. Es ist wohl so, dass genealogische Nähe dazu führt, dass Abneigung besonders zelebriert wird. Das gilt für FDP und Grüne, die beide im Milieu der gebildeten Mittelschicht zu Hause sind. Das gilt noch mehr für SPD und Linke.

Die SPD redet über die Linken nach dem Motto: Wenn ihr nicht werdet wie die SPD, könnt ihr eine Koalition mit uns nicht eingehen. Die Rigidität ist damit zu erklären, dass die Linke Fleisch vom Fleisch der SPD ist; wenn die SPD den Linken begegnet, begegnet sie der eigenen Vergangenheit: Die Begegnung ist für die SPD der Trigger für ihre posttraumatische Belastungsstörung, an der sie seit der Agenda 2010 leidet. Sie geriert sich daher, als fürchte sie den Kuss der Todesspinne.

Es ist eigentlich simpel. Für Koalitionen gilt der Satz: Über ungelegte Eier sollte man nicht gackern.

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Quelle:
SZ vom 12.05.2017
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