Süddeutsche Zeitung

Nach der Wahl:Der Brexit kommt

Lesezeit: 3 min

Von Alexander Mühlauer, London

Der Brexit kommt. Daran kann es nach dieser Wahl keinen Zweifel mehr geben. Boris Johnson hat einen derart klaren Sieg errungen, dass er nun freie Hand hat, Großbritannien aus der Europäischen Union zu führen. Genau das war Johnsons Versprechen im Wahlkampf. Mit seinem Slogan "Get Brexit done" hat er die Stimmung im Land auf den Punkt gebracht. Die Mehrheit der Briten war des elenden Streits überdrüssig und sehnte ein Ende des Dramas herbei. Die dreieinhalb Jahre nach dem Brexit-Referendum haben das Land paralysiert und gespalten. Ob das nun mit Johnsons Wahlsieg aufhört, ist allerdings alles andere als gewiss.

Der Premierminister muss jetzt zeigen, was sein Brexit-Mantra bedeutet und welche Politik er daraus ableitet. Er wird Antworten geben müssen auf all jene Fragen, denen er im Wahlkampf ausgewichen ist. Johnson muss erklären, wie er sich die künftige Beziehung mit der EU vorstellt und wo er Großbritanniens Platz in der Welt verortet. Er wird auch zeigen müssen, was er unter seinem " One-Nation-Konservatismus" versteht, der den Hedgefonds-Managern in der Londoner City genauso gefallen soll wie der Arbeiterklasse in Stoke-on-Trent.

Inwieweit Johnson das Land überhaupt einen kann, dürfte sich vor allem in Schottland entscheiden. Der dortige Wille, sich vom Vereinigten Königreich zu lösen, ist unübersehbar. Die Scottish National Party (SNP) wird nach dem deutlichen Wahlsieg in ihrer Heimat weiter auf ein Unabhängigkeitsreferendum dringen. Die Fliehkräfte, die am Vereinigten Königreich in Schottland, Wales und Nordirland zerren, sind so groß wie nie zuvor. Das Wahlergebnis lässt nur einen Schluss zu: Johnson wird um den Erhalt Großbritanniens kämpfen müssen.

Corbyn stand für eine Rückkehr in die 70er Jahre

Keine Frage, der Wahlsieg ist ein persönlicher Triumph für Johnson. Der Premierminister hat einen brutalen, aber disziplinierten Wahlkampf geführt. Er hat Nigel Farages Brexit-Party eliminiert. Und er hat es geschafft, Wahlkreise für Tories zu erringen, die seit den 1930er Jahren fest in Labour-Hand gewesen sind. Die größte Oppositionspartei im Unterhaus wird nun sehr viel kleiner werden. Für Labour ist das Wahlergebnis ein Desaster. Der Grund dafür ist allen voran Parteichef Jeremy Corbyn. Er wollte sich im Brexit-Streit "neutral" positionieren und als ehrlicher Makler agieren. Doch die Mehrheit der Wähler sah darin offenbar nur einen Labour-Chef, der nicht sagen will, ob er nun für oder gegen den Brexit ist.

Neben dieser unentschlossenen Haltung zum EU-Austritt stand Corbyn für eine wirtschaftspolitische Rückkehr Großbritanniens in die 1970er Jahre. Mit seinen Verstaatlichungsplänen und seiner Steuerpolitik verschreckte der Labour-Chef die Mittelschicht. Corbyn schaffte es auch nicht, sich glaubwürdig vom grassierenden Antisemitismus in seiner Partei zu distanzieren. Er bekam das Problem einfach nicht in den Griff. Es ist deshalb wohl nur noch eine Frage der Zeit, wie lange er sich an der Spitze von Labour halten kann. In den nächsten Wahlkampf, das hat Corbyn bereits angekündigt, will er Labour nicht mehr führen.

Johnson kann das Chaos rund um Corbyn nur recht sein. Er wird - ganz im Sinne von Labour - die rigide Sparpolitik seiner konservativen Vorgänger Theresa May und David Cameron beenden. Der Premier wird seinen Wählern in den bisherigen Labour-Hochburgen nun das geben müssen, was er ihnen versprochen hat: mehr Geld für das marode Gesundheitswesen, mehr Geld für Infrastruktur, mehr Geld für die Polizei und Steuersenkungen für Geringverdiener. Dass er sich damit von den ordnungspolitischen Überzeugungen verabschiedet, die seit Margaret Thatcher in der Tory-Partei als unumstößlich galten, dürfte Johnson nicht groß scheren. Er, der prinzipienlose Eton-Zögling, muss nun die Arbeiterklasse in Nordengland und den Midlands repräsentieren. Sie ist es schließlich auch, die mehrheitlich den Brexit will.

So riskant diese Wahl für Johnson von Anfang an war, eines ist nun klar: Sein Kalkül ist aufgegangen. Die Konservativen verfügen nun über eine deutliche Mehrheit im Unterhaus. Der Premier kann sein Austrittsabkommen mit der EU durch das Parlament bringen. Am 31. Januar wird Großbritannien die Europäische Union wohl verlassen. Doch danach wartet schon die nächste Deadline: Johnson will bis Ende 2020 einen Freihandelsvertrag mit Brüssel abschließen. Eine mögliche Verlängerung der sogenannten Übergangsphase, in der sich für Bürger und Unternehmen de facto nichts ändert, hat er ausgeschlossen.

Von der liberalen Tradition der Tories ist nicht mehr viel übrig

Ob der EU-Austritt nun hart oder eher sanft ausfällt, ist vollkommen offen. Genauso wie die Frage, wie sehr sich Johnson von den Brexit-Hardlinern in der eigenen Partei unter Druck setzen lässt. Klar ist: Diese Tory-Fraktion ist eine gänzlich andere als jene, die bislang in Westminster auf den grünen Bänken saß. Von ihrer alten liberalen Tradition ist nicht mehr viel übrig. Sie ist in weiten Teilen nationalistisch und sympathisiert noch immer mit einem No-Deal-Brexit. Im Wahlkampf gab es jedenfalls keinen Hinweis darauf, dass der Premier einen moderaten Brexit anstreben würde.

Nun beginnt Johnsons nächster Kampf. Er muss versuchen, in den Verhandlungen über die künftige Beziehung zur EU das Beste für Großbritannien herauszuholen. Einfach wird das nicht. Freihandelsverhandlungen können mitunter martialisch sein. Und meistens sind sie auch sehr demütigend für den wirtschaftlich Schwächeren. Die EU ist jedenfalls in einer sehr viel besseren Position. Sie ist Großbritannien nicht nur ökonomisch überlegen, sie weiß auch, dass Johnson bis Ende kommenden Jahres einen Deal will. Das macht ihn erpressbar. Wie es aussieht, dürfte Johnson zur Weihnachtszeit 2020 vor dieser Wahl stehen: Entweder lässt er sich auf ein Handelsabkommen zu den Bedingungen der EU ein oder es kommt doch noch zu einem No-Deal-Brexit.

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