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Friedensnobelpreis:Im Einsatz für eine bessere Welt

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Wer bekommt den Friedensnobelpreis? Darüber wird jedes Jahr gerätselt und spekuliert. Ein Blick auf frühere Entscheidungen zeigt: Es gibt klare Trends. Eine kleine Kulturgeschichte.

Von Ronen Steinke

Seit 1901 ist der Friedensnobelpreis bereits 94 Mal vergeben worden - an diesem Freitag wird bekanntgegeben, wer Nummer 95 wird. Mal erhielten Personen die Auszeichnung, mal Organisationen. Der Stifter Alfred Nobel hatte in seinem Testament festgelegt, dass jene ausgezeichnet werden sollen, die "am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt" haben.

Wie die Entscheidungen des Nobelpreis-Komitees zeigen, gab es bei der Vergabe allerdings klare Trends.

Die Oslo-Connection

Schlechtes Gewissen schuf diesen Preis? Die Behauptung liest man oft, wenn es um Alfred Nobel (1833-1896) geht, jenen exzentrisch-genialen schwedischen Ingenieur, der einst seine Millionen als Preisgeld stiftete. Es passt ja auch zu gut: Zu den 335 Erfindungen Nobels zählte auch das Dynamit, das die Kriegsführung massiv brutalisierte.

Der Wunsch nach Abrüstung sei übermächtig gewesen auf Alfred Nobels Sterbebett, behauptet deshalb Fredrik S. Heffermehl, der langjährige Präsident des Norwegischen Friedensrates, einer pazifistischen Gruppe, die sich als Gralshüterin von Nobels letztem Willen versteht, in seinem Buch "Was Nobel wirklich wollte" (2010).

Andererseits: Von schlechtem Gewissen waren die Zeilen nicht getrübt, die Alfred Nobel zuvor seiner Wiener Freundin schrieb, der Friedensaktivistin Bertha von Suttner. "Es ist gut möglich, dass meine Fabriken sogar eher für ein Ende der Kriege sorgen werden als Deine Konferenzen. Denn wenn Armeen erst in der Lage sein werden, sich in einer Sekunde zu vernichten, dann werden zivilisierte Völker vor einem Krieg zurückschrecken."

Blumiger Idealist oder abgebrühter Realist? Vor allem war Nobel wohl ein derart leidenschaftlicher Querkopf und Debattierer, dass er zu Lebzeiten die verschiedensten und durchaus auch gegensätzliche Positionen zu vertreten wusste, schreibt Jay Nordlinger in seiner brillant recherchierten Geschichte des Friedensnobelpreises, "Peace, they say" (2012). Klar ist jedenfalls: Nobel bewunderte den Aufbruchsgeist, den die Friedensbewegung verkörperte, ihren Traum von Völkerrecht und Völkerbund. Es waren nicht selten Schweden und Norweger, die sich hier hervortaten; eine kleine Szene, man kannte sich. Und in diesem kleinen Kreis machte der von Nobel gestiftete Preis zu Anfang die Runde.

Gesellschaft der Friedensfreunde; Internationales Ständiges Friedensbüro; Friedens- und Schiedsliga: Die Institutionen, die von 1901 an entweder selbst oder vertreten durch ihren Leiter mit dem Friedensnobelpreis prämiert wurden, hatten oft ähnlich klingende Namen. Und selbiges galt auch für die Männer, die für sie die Dankesreden hielten: Nansen oder Hansson zum Beispiel. Der Mäzen Nobel hatte seinen Preis in einem Akt skandinavischer Geschwisterliebe dem Parlament in Norwegen überlassen. Dort sollten die Abgeordneten eine Jury benennen, das Nobelkomitee. Und dort tat man sich nicht schwer damit, die größten Verdienste um den Frieden auf dem Globus zu lokalisieren.

1904 verliehen die im Nobelkomitee versammelten Norweger den Preis an das Institut für Internationales Recht, dem ihr damaliger norwegischer Premier angehörte. 1921 prämierten sie einen ehemaligen Sekretär ihres Komitees selbst, den Norweger Christian Lous Lange. Der Pfarrer, der Alfred Nobels Beerdigung geleitet hatte, Nathan Söderblom, wurde 1930 ausgezeichnet. Und Bertha von Suttner, Nobels Freundin, erhielt den Preis im Jahr 1905.

Die erste große Überraschung kam 1906. Preisträger wurde US-Präsident Theodore Roosevelt. Also: nicht der gefeierte Sozialreformer und Hitler-Besieger Franklin Delano Roosevelt, Präsident von 1933 bis 1945. Sondern tatsächlich sein Vorgänger und entfernter Cousin, der schnauzbärtige Macho Theodore, ein ruppiger Republikaner. Als US-Präsident (1901-1909) hatte er sein Land in den Krieg mit Spanien geführt und unter reichlich Freiheitsrhetorik die Kubaner vom Joch des Kolonialismus befreit - nur um dann seinerseits eine brutale Kolonialherrschaft über Kuba zu errichten.

Die Verblüffung, als Barack Obama 2009 den Nobelpreis bekam, war noch gering im Vergleich dazu, wie perplex die Weltpresse damals reagierte. Der "kriegerischste Bürger der USA" sei Roosevelt, schrieb die New York Times. Roosevelt hielt dann in Oslo eine Rede, die ihm allerdings Respekt eintrug. Ähnlich wie Obama redete er nicht darum herum, dass er als Mittel der Politik auch Gewalt befürworte. "Frieden ist um seiner selbst willen gut, aber er ist nicht das höchste Gut, wenn er nicht auch als Diener der Gerechtigkeit daherkommt; und er wird zu einer sehr üblen Sache, wenn er lediglich dazu dient, Feigheit und Trägheit zu maskieren, oder Despotismus und Anarchie den Weg zu bahnen."

Roosevelt hatte den Russisch-Japanischen Krieg von 1905 geschlichtet. Das war die offizielle Begründung für seine Auszeichnung. Überhaupt hatte der Amerikaner sich starkgemacht für die zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch neumodische Idee, Kriege durch Dritte schlichten zu lassen. Mehr noch aber markierte das Osloer Komitee mit seiner Entscheidung einen politischen Standpunkt, und der gilt noch bis heute: Amerika hat einen Freund in Oslo.

In kein anderes Land der Welt ist der Friedensnobelpreis seither so oft gegangen wie in die USA. Insgesamt 21-mal. Selbst den Kalten Krieg hindurch hielt das Komitee den USA die Treue.

Zu Beginn, im frühen 20. Jahrhundert, konnte man sich diese auffällige Amerika-Affinität der Preis-Juroren vielleicht noch mit Kalkül erklären: Das kleine Norwegen war gerade erst vom großen Bruder Schweden unabhängig geworden, man stand noch auf wackeligen Beinen, suchte nach einer Schutzmacht jenseits des Atlantiks. Der Friedensnobelpreis für Roosevelt war da eine günstige Schmeichelei, und der Vorsitzende des Nobelkomitees: Norwegens schlauer Außenminister.

Aber seither? "Amerika hat den lebendigsten Idealismus auf Erden hervorgebracht", schwärmte 1931 der norwegische Grandseigneur des Komitees, Halvdan Koht. Es klingt da auch eine ehrliche Bewunderung durch.

Nur ein einziges Mal verärgerte Oslo mit einer seiner Entscheidungen Washington. Die Schlagzeile im Magazin Life lautete: "Eine sonderbare Beleidigung aus Norwegen" ("A weird insult from Norway"), als der Friedensnobelpreis 1962 an Linus Pauling ging, das Forschergenie, das auch bereits den Chemienobelpreis besaß. Pauling war als lautstarker Kritiker der US-Außenpolitik bekannt, als "Poster boy" der Studentenbewegung. Freilich, die "seltsame Beleidigung" aus Oslo bestand nur darin, dass der Preis nun schon wieder an einen Amerikaner ging.

Heute hängt Theodore Roosevelts Nobelpreis-Medaille im Roosevelt Room im Westflügel des Weißen Hauses. Daneben könnte theoretisch Präsident Jimmy Carter die seine hängen. Und Obama. Und Woodrow Wilson. Ebenso die Vizepräsidenten Al Gore und Charles G. Dawes, sowie die Außenminister Elihu Root, Frank Kellogg, Cordell Hull, George C. Marshall und Henry Kissinger. Bis 2011 gab es unter den Trägern des Friedensnobelpreises mehr US-Regierungsmitglieder als Frauen.

"Pazifisten sind Feiglinge." So telegrafierte US-Präsident Theodore Roosevelt den Amerikanerinnen hinterher, die 1915 in die Niederlande segelten, zum Internationalen Friedenskongress der Frauen. Unter ihnen war die Aktivistin Jane Addams.

Als Addams 1931 den Friedensnobelpreis erhielt, musste sie ihn sich noch mit einem Mann teilen. Und genauso erging es der nächsten Frau, die erst 15 Jahre später zum Zuge kam. Immer nur "halbe" Nobelpreise für Frauen: Bei diesem Prinzip blieb es bis 1976, wenn auch immerhin nun beide Hälften an Frauen gingen. Erst 1979 genügte Mutter Teresa dem Komitee wieder, um den Preis allein zu tragen.

Ein Haufen Sexisten also in Oslo? Man mag den Mitgliedern des Nobelkomitees zugutehalten, dass sie die Geschlechterverhältnisse auf der Bühne der Weltpolitik ihrer Zeit originalgetreu widerspiegelten, denn umgekehrt gilt schließlich auch: Wenn jetzt seit den Neunzigerjahren allmählich mehr Frauen mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet werden, dann nicht bloß deshalb, weil das Komitee etwa nur eine Bilanz aufhübschen wollte. Sondern weil es tatsächlich endlich mehr Frauen zu Einfluss gebracht haben, zumal in Schwellenländern. 2011 kamen gleich drei Frauen auf einmal zum Zuge: aus Liberia die Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf und die Bürgerrechtlerin Leymah Gbowee, aus Jemen die Menschenrechtsaktivistin Tawakkul Karman.

Frieden ist, wenn die Waffen schweigen. So klar und einfach verstanden die ersten Nobelpreis-Juroren ihren Auftrag. Und so zeichneten sie in Oslo anfangs all jene aus, die Reibereien verhinderten - zwischen Zaren, Generälen und Potentaten, mögen diese zu Hause auch noch so üble Menschenschinder sein.

Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Ideologien, der Diktaturen. Aber auch der Befreiungskämpfe gegen diese Menschenschinder. Zunehmend werden nun nicht mehr nur Menschen geehrt, die Kämpfe beendet oder verhütet haben, wie es Alfred Nobel eigentlich in seinem Testament verlangt hatte, sondern auch solche, die Kämpfe erst begannen: für Menschenrechte, gegen Kolonialismus, für Selbstbestimmung. Durchaus auch mit Waffen. Ein Bruch mit dem ursprünglichen Radikalpazifismus des Nobelkomitees.

Einer der größten Sätze, die je in einer Nobelpreis-Dankesrede gesagt wurden, kam 1960 von einem Mann in Leopardenfellmütze und Halskette aus Löwenzähnen. Albert John Luthuli, Zulu-Häuptling und Anführer der südafrikanischen Anti-Apartheid-Bewegung ANC, erklärte: Südafrikas Innenminister habe gesagt, er, Luthuli, sei dieses Preises nicht würdig. "So groß ist der Zauber des Friedenspreises", so Luthuli, "dass er sogar einen Punkt erzeugt hat, an dem ich mit dem Innenminister einer Meinung bin." Schließlich könne sich niemand, der die "profunde Bedeutung" dieser Auszeichnung kenne, dem Gefühl entziehen, seiner eigentlich unwürdig zu sein.

Was hatte Luthuli, der "Unruhestifter", bitte für den Frieden erreicht? So fragten damals viele, kopfschüttelnd. Und je mehr das Nobelkomitee von seinem anfänglichen strengen Pazifismus abkam, desto öfter machten sie ihrem Unmut Luft. 1970 zum Beispiel ging der Preis an den amerikanischen Agrarwissenschaftler Norman Borlaug für seinen Kampf gegen den Welthunger, 2007 an Al Gore für den Klimaschutz; kurz nach einer Kenianerin, die für die Begrünung ihres Landes gekämpft hatte; kurz nach einem Mikrokredite-Pionier aus Bangladesch. Um Krieg und Frieden im engeren Sinne ging es da nicht mehr.

"Es gibt jene, die zweifeln, ob es zwischen Umwelt und Klima einerseits und Krieg und Konflikten andererseits eine Verbindung gibt", räumte der Vorsitzende des Nobelkomitees 2007 sein. "Warum hat Al Gore den Preis für Frieden bekommen?" Die Antwort, so erklärte er, liege in der veränderten Sicht auf das, was Frieden in der modernen Welt bedeute. Es müsse darum gehen, "menschliche Sicherheit im breitesten Sinne zu wahren", nicht nur Ruhe zwischen Staatsbossen.

Willy Brandt war nicht der erste. Sondern der letzte. Der Friedensnobelpreis war zuvor bereits an drei andere Deutsche gegangen, 1926 und 1927 folgten sogar zwei direkt aufeinander: erst Außenminister Gustav Stresemann, dann der Friedensbewegte Ludwig Quidde. Allerdings teilten sie sich ihre Preise noch jeweils mit einem französischen Gegenpart.

Genau dies war die Botschaft: beileibe nicht, dass das Osloer Nobelkomitee die Deutschen für besonders friedfertig hielt. Sondern die deutsch-französische Grenze erschien ihm schlicht als Nahtstelle zwischen zwei tektonischen Platten. Jede Reibung dort war weltweit spürbar - und deshalb musste die Welt daran interessiert sein, dass am Rhein die Ruhe anhielt.

Im Kalten Krieg verlief die tektonische Grenze sogar mitten durch Deutschland hindurch. Wieder spiegelte sich dies in einer Entscheidung des Osloer Nobelkomitees. Der Mann, der an dieser Grenze maßgeblich für Entspannung warb, hieß Willy Brandt. In seiner Dankesrede in Oslo 1971 verneigte sich Brandt vor dem vierten Deutschen, der im 20. Jahrhundert den Nobelpreis bekommen hatte: dem Hitler-Gegner Carl von Ossietzky. Ossietzky wurde 1936 geehrt. Da war er bereits im Konzentrationslager inhaftiert, und er sollte nicht mehr lange leben. "Ich sage hier, was ich auch in Deutschland sage", formulierte Willy Brandt in seiner sehr persönlich gehaltenen Nobelpreisrede: "Ein guter Deutscher kann kein Nationalist sein."

Das Nobelkomitee mag Jahrestage. 1963 ging der Preis an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, das sein 100-jähriges Bestehen feierte. 1969 wurde die Internationale Arbeitsorganisation prämiert, zu deren 50. Geburtstag. 1981 ging der Preis an das Flüchtlingshilfswerk UNHCR zum 30. Geburtstag, 1995 an die Anti-Atom-Organisation Pugwash zum 50. Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki.

Ein besonderes Jubiläum gab es im Jahr 2001: Als der Friedensnobelpreis selbst 100 Jahre alt wurde, da gebührte die Ehre den Vereinten Nationen (gemeinsam mit ihrem damaligen Generalsekretär Kofi Annan), sozusagen als ideeller Gesamtpreisträger.

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