Süddeutsche Zeitung

Europawahl:Zunehmende Kritik am Spitzenkandidatenprinzip der EU

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Wer als Chef der EU-Kommission antritt, sollte zuvor Spitzenkandidat bei der Europawahl gewesen sein - darauf hatten sich die großen Parteienfamilien geeinigt. Die CSU rüttelt nun an dieser Regelung, und ist damit nicht allein.

Die Europawahl findet erst im Frühjahr 2024 statt. Aber bereits jetzt stellen die Parteien entscheidende Weichen für die Wahl und die folgende Neubesetzung der EU-Kommission. Und schon gibt es auch wieder Ärger - und taktische Schachzüge. Die Union muss dazu delikate Personalprobleme lösen.

Es geht dabei um das Spitzenkandidatenprinzip. Bereits 2019 hatten sich die großen Parteienfamilien darauf verpflichtet: Danach kann nur Kommissionspräsidentin oder Kommissionspräsident werden, wer zuvor Spitzenkandidat bei der Europawahl war. Kleiner Schönheitsfehler: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron lehnte nach der Wahl den siegreichen EVP-Kandidaten Manfred Weber (CSU) ab. Dies eröffnete nach langen Verhandlungen den Weg für Ursula von der Leyen (CDU), die gar nicht zur Wahl angetreten war.

Das zeigt: Dieses Prinzip noch immer nicht verankert. Stattdessen gibt es Bedenken in einer Reihe von EU-Staaten - und kritische Stimmen auch in Deutschland. So fordert die CSU nun eine Abkehr. "Man sollte die Europawahl zu dem machen, was sie ist: eine Entscheidung über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments, aber keine Entscheidung über die Führung der Europäischen Kommission", sagte der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, den Zeitungen der Funke-Gruppe. "Das Spitzenkandidaten-Konzept führt nicht zum Erfolg, sondern zu Irritationen wie beim letzten Mal, als Manfred Weber (CSU) Spitzenkandidat war und Ursula von der Leyen (CDU) Kommissionspräsidentin geworden ist."

Unmut über Webers Umgang mit Italiens Postfaschisten

Zum Tragen kam dieses Prinzip bislang nur 2014, als die EU-Staats- und Regierungschefs den Wahlsieger Jean-Claude Juncker als Kommissionschef vorschlugen und dieser anschließend vom EU-Parlament gewählt wurde. Dobrindt betonte: "Wahlen brauchen natürlich Listenführer, insofern wird es diese auch bei der Europawahl geben, aber damit sollte kein Führungsanspruch in der Europäischen Kommission verbunden sein." Dobrindts Forderung ist eine weitere Spitze gegen CSU-Vize Weber, der als EVP-Fraktionschef im EU-Parlament ein entschiedener Verfechter der Neuregelung ist.

Auch CDU-Vorsitzender Friedrich Merz hatte bereits seine Skepsis gezeigt: "Wir können das Spitzenkandidaten-Prinzip nur machen, wenn es nicht wie 2019 nach der Europawahl wieder Enttäuschungen gibt", hatte er schon vor Wochen betont. Er fordert eine verbindliche Absprache der Parteienfamilien der Mitte, also Christdemokraten, Sozialdemokraten, Grüne und Liberalen. Merz plädiert zudem für eine zweite Amtszeit für von der Leyen.

In den Spitzen von CDU und CSU gibt es Unmut über Webers vergleichsweise freundlichen Umgang mit der Partei Fratelli d'Italia der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Merz und CSU-Chef Markus Söder grenzen sich im Gegensatz zu Weber scharf von der postfaschistischen Partei ab. Weber hatte Ende Januar zudem überraschend die Präsidentin des Europaparlaments, Roberta Metsola, als mögliche EVP-Spitzenkandidatin ins Spiel gebracht. "Beide wären hervorragende Spitzenkandidatinnen", sagte er damals über von der Leyen und Metsola. Danach war Merz deutlich von Weber abgerückt.

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