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Gemeinsamer Wahlaufruf:Vier Männer für Europa - und ein bisschen gegen Merkel

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Von Nico Fried, Berlin

Vier Männer sitzen da, deren wichtigste Gemeinsamkeit man bisher darin vermutet hätte, dass ihnen im politischen Leben Anflüge persönlicher Eitelkeit nicht immer gänzlich fremd waren. Da ist es umso bemerkenswerter, dass sie sich jetzt zusammen für eine gute Sache engagieren. Peer Steinbrück und Sigmar Gabriel, beide Bundesminister a.D., Norbert Lammert, Bundestagspräsident a.D., und Friedrich Merz, Kandidat für den CDU-Vorsitz a.D., werben an diesem Dienstag für die Beteiligung an den Europawahlen Ende Mai.

Die vier Herren sind Senatoren der Deutschen Nationalstiftung, die der einstige Bundeskanzler Helmut Schmidt 1993 ins Leben gerufen hat. Zweck der Stiftung ist es, sowohl die Idee der Nation zu verteidigen, als auch das vereinte Europa zu unterstützen. Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Kultur gehören dem Senat der Stiftung an, dem Ex-Bundespräsident Horst Köhler vorsitzt. Sein Vize ist Steinbrück, der zu berichten weiß, dass der Senat drei- bis viermal im Jahr tage, "hochklassig", wie Steinbrück in der ihm eigenen Bescheidenheit findet, "aber nicht sehr öffentlichkeitswirksam".

Die großen europäischen Herausforderungen seien nicht "im Kleinklein des nationalstaatlichen Handelns zu regeln"

Nun aber habe man sich zum ersten Mal entschlossen, einen Wahlaufruf zu veröffentlichen, weil in vielen Ländern "Populisten gegen Europa mobil" machten, wie es im Text heißt. Sie wollten "zerstören, was in Jahrzehnten aufgebaut worden ist". Die großen Herausforderungen der Sicherheit, des Klimawandels, des Handels oder der Migration seien jedoch nicht "im Kleinklein des nationalstaatlichen Handelns zu regeln, schon gar nicht in nationalen oder nationalistischen Wagenburgen". Deshalb rufe die Stiftung dazu auf, "zur Wahl zu gehen und zu zeigen, dass wir das vereinte Europa mit unserem Verstand und unserem Herzen unterstützen wollen".

Zahlreiche Personen haben den Aufruf unterzeichnet. Steinbrück bittet um Entschuldigung, dass keine Senatorin der Stiftung mit zur Pressekonferenz gekommen sei, das habe Termingründe. Da im 35-köpfigen Senat nur sechs Frauen sitzen, waren offenkundig nicht allzu viele Termingründe nötig, damit keine dabei sein kann.

Als Motiv für den Aufruf verweist Norbert Lammert auf Umfragen, wonach das Interesse an der Europawahl noch nicht besonders ausgeprägt ist. Nur 23 Prozent seien der Meinung, dass es sich um eine Schicksalswahl für die Europäische Union handele. Friedrich Merz sagt, man habe "die Befürchtung, dass die Bedeutung dieser Wahl von Teilen der Bevölkerung nicht richtig eingeschätzt" werde.

Die beiden CDU-Politiker verkneifen sich zunächst Kritik an der von einer CDU-Kanzlerin geführten Bundesregierung - die beiden SPD-Politiker sind da freigiebiger: "Ich empfinde das europapolitische Engagement dieser Koalition seit einem Jahr als enttäuschend", sagt Peer Steinbrück. Auf die Reden des französischen Präsidenten Emmanuel Macron hätte er "eine substanzielle Antwort erwartet, die bis heute fehlt". Dem könne er sich "weitgehend anschließen", sagt Sigmar Gabriel, was ihm auch dadurch erleichtert wird, dass sich Genosse Steinbrück auf den Zeitraum bezog, in dem Gabriel nicht mehr Außenminister war. Macrons Vorschläge könne man "richtig oder falsch finden", sagt Gabriel, "aber man muss sich dazu verhalten". Als Merz daraufhin noch einmal gefragt wird, wie er die Europapolitik der Regierung finde, lässt er sich entlocken: "Ich verfalle jedenfalls nicht in Euphorie."

Nun waren zumindest Gabriel, Steinbrück und Lammert in den vergangenen Jahren in hervorgehobenen politischen Positionen. Auf die Frage nach ihrer Verantwortung für den Zustand Europas antwortet Steinbrück, natürlich hätte er sich gewünscht, dass man in mancher Frage "besser gewesen" wäre. Aber es gebe "nichts, wofür wir uns hätten entschuldigen müssen". Lammert räumt ein, man habe die Migration erst als Problem erachtet, als Deutschland selbst betroffen gewesen sei. Auch seien der Atomausstieg und der Bau von Nordstream 2 Entscheidungen nach dem Motto "Germany first" gewesen. Gabriel findet, man habe unterschätzt, dass sich nach 1989 auch die USA verändern würden. Da sprach aus dem früheren Außenminister wohl schon der künftige Vorsitzende der Atlantik-Brücke. Der Vorstand des Vereins zur Förderung der transatlantischen Beziehungen schlug Gabriel am Dienstag offiziell als Nachfolger von Friedrich Merz vor.

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SZ vom 08.05.2019
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