Süddeutsche Zeitung

EuGH-Urteil zu Ungarn und Polen:Nebelkerzen aus Budapest

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Der Europäische Gerichtshof weist Klagen gegen den Rechtsstaatsmechanismus ab. Die ungarische Regierung wütet gegen die Entscheidung - und lenkt vom eigentlichen Streitpunkt ab.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Die ungarische Regierung hatte natürlich gewusst, was kommen würde. Schon im Vorfeld des EuGH-Urteils zum Rechtsstaatsmechanismus hatte Ministerpräsident Viktor Orbán den Ton für die Interpretation der anstehenden Entscheidung gesetzt: Es gehe hier nicht um Rechtsstaatlichkeit oder gar den Kampf gegen Korruption; Brüssel wolle Budapest vielmehr ideologisch in die Knie zwingen.

Am Tag des Urteils selbst wurden dann Justizministerin Judit Varga und Kanzleramtsminister Gergely Gulyás vor die Presse geschickt. Schon vorher hatte Varga getwittert, die Entscheidung des EuGH, dass EU-Mitgliedstaaten Finanzmittel gekürzt werden dürfen, wenn sie gegen die Rechtsstaatlichkeit verstoßen, sei "politisch" und ein weiterer Beweis dafür, dass Brüssel seine Macht missbrauche. Das Gericht - das übrigens Polen und Ungarn angerufen hatten - wird als verlängerter Arm der EU bezeichnet. Beide Politiker, die keinen Unterschied zwischen dem Europäischen Gerichtshof und der EU-Kommission machten, bezichtigten "Brüssel", mit dem Urteil im Wesentlichen gegen ein Gesetz zum "Kinderschutz" zu kämpfen. Man solle sich nicht täuschen; es gehe nicht um Rechtsstaatlichkeit, sondern um das Recht der Ungarn, ihre Kinder so zu erziehen, wie sie wollten.

Die ungarische Regierung hatte im vergangenen Sommer ein sogenanntes Kinderschutzgesetz erlassen; darin werden Sexualaufklärung an Schulen und Informationen über LGBTQ-Themen verboten. Nach massiven Protesten im In- und Ausland steht es nun gemeinsam mit der Parlamentswahl am 3. April in einem Referendum zur Abstimmung. Das Urteil aus Luxemburg zeige, so Varga, nur einmal mehr, dass die EU sich in den Kinderschutz einmische. Dies sei ein "unglaublicher Angriff auf unser Land". Gulyás betonte, wie schon bei einem Gesetz gegen Migration vor vier Jahren versuche die EU erfolglos, Ungarn ihren Willen aufzuzwingen.

Tatsächlich aber hat das Gesetz, mit dem "homosexuelle Propaganda aus ungarischen Schulen herausgehalten werden soll", wie die Regierung schreibt, schlichtweg nichts mit dem aktuellen EuGH-Urteil zu tun. Vielmehr versucht Fidesz, mit dem Framing, das ein einziges Thema in den Mittelpunkt einer komplexen Debatte rückt, von den eigentlichen Vorwürfen abzulenken: Der ungarischen Regierung unter Viktor Orbán werden endemische Korruption, die systematische Bereicherung der Fidesz-Klientel und der Familie des Regierungschefs sowie die Schwächung des Rechtsstaats vorgeworfen.

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