Süddeutsche Zeitung

Deutsch-russisches Verhältnis:Gehört Russland zu Europa?

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Die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland haben sich deutlich verschlechtert. Doch was denken die Menschen über das jeweils andere Land? Eine Umfrage gibt Antworten.

Von Rebecca Barth

Gehört Russland zu Europa? Welche Werte teilen sich Russen und Deutsche? In welchen internationalen Fragen sollten die Länder zusammenarbeiten? Das sind die zentralen Fragen repräsentativer Umfragen, die die Körber-Stiftung im Februar und März in Russland und Deutschland durchgeführt hat. Das Ergebnis zeigt: Die Meinungen von Russen und Deutschen gehen teilweise stark auseinander - aber es gibt auch Gemeinsamkeiten.

Schon bei der Frage, ob Russland zu Europa gehöre, ist kein klares Meinungsbild erkennbar. Die Hälfte der Befragten in beiden Ländern verneint diese Frage. Dabei ist auffällig, dass eher junge Menschen in beiden Ländern dieser Ansicht sind. Bei den Befragten zwischen 30 bis 44 Jahren liegt der Anteil derjenigen, die Russland zu Europa zählen, bei 31 Prozent in Deutschland und in Russland bei 39 Prozent. In allen anderen Altersschichten liegt der Wert höher. Ein wichtiges Argument gegen Russlands Zugehörigkeit zu Europa: Man teile nicht dieselben Werte. Nur elf Prozent der Deutschen empfinden die Werte der russischen und deutschen Bevölkerung als ähnlich. In Russland stimmen dieser Frage jedoch 60 Prozent zu.

Dementsprechend unterscheiden sich die Ansichten der Deutschen und Russen zur Rolle der Medien, Homosexualität, Demonstrationen und Streiks besonders stark. 77 Prozent der Russen stimmen der Aussage zu, es sei die Aufgabe der Presse, die Regierung in ihrer Arbeit zu unterstützen und deren Entscheidungen zu tragen. Nur 36 Prozent der Deutschen teilen diese Ansicht.

78 Prozent der Deutschen zeigen sich bezüglich Homosexualität liberal. Obwohl 20 Prozent der Ansicht sind, Partnerschaften dürfe es nur zwischen Mann und Frau geben. Im Verhältnis zu Russland ist dies wenig, dort denken 94 Prozent so.

Ein weiterer großer Unterschied zeigt sich bei der Frage nach Demonstrationen und Streiks. 58 Prozent der Russen sind der Meinung, diese sollten verboten werden, sie gefährden die öffentliche Ordnung. In Deutschland stimmen dieser Aussage elf Prozent zu.

Deutsche und Russen gegen Wirtschaftssanktionen

Doch es gibt auch Gemeinsamkeiten. So attestieren 86 Prozent der Russen und 95 Prozent der Deutschen dem jeweils anderen Land eine große Tradition und Kultur. Jedoch sagen auch knapp mehr als die Hälfte der Befragten in beiden Ländern, das andere Land sei ihnen fremd. Laut der Körber-Stiftung sei jedoch das Interesse der Deutschen an einer Reise nach Russland etwas stärker ausgeprägt. In Russland haben rund zwei Drittel der Befragten kein Interesse an einer Reise nach Europa. Doch unter den 18- bis 29-jährigen, gut gebildeten Russen, zeigt rund die Hälfte der Befragten Interesse an einer Reise in die EU.

Einig ist man sich in Bezug auf die gegenseitig auferlegten Wirtschaftssanktionen beider Länder: Die Mehrheit der Russen und Deutschen ist für eine Aufhebung der Sanktionen. Gleichzeitig hält jedoch mehr als die Hälfte der Befragten in Deutschland die Außenpolitik der EU gegenüber Russland für angemessen. In Russland unterstützen 81 Prozent die Politik der Moskauer Regierung gegenüber der EU. Über den Grund für die verschlechterten Beziehungen in beiden Ländern ist man sich indes einig. An erster Stelle wird in beiden Ländern der Konflikt um die Ukraine und die Krim genannt, gefolgt von der Nato- und EU-Osterweiterung.

In Deutschland befürworten 60 Prozent der Befragten eine weitere Annäherung der Ukraine an die EU. In Russland lehnen dies 66 Prozent ab. Darüber hinaus empfinden 25 Prozent der Russen Deutschland als Bedrohung. In Deutschland sind es sogar 48 Prozent der Befragten, die Russland als Bedrohung empfinden. Hierbei sei laut der Körber-Stiftung ein deutliches Ost-West-Gefälle erkennbar. So seien mehr als die Hälfte der Befragten in Westdeutschland dieser Meinung. In den neuen Bundesländern sei es nur rund ein Drittel.

Zwei Drittel der Deutschen und mehr als die Hälfte der Russen sehen zudem die Aussöhnung zwischen den Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg durch die aktuellen Spannungen in Gefahr. Dennoch sind sich beide Seiten einig, in international wichtigen Fragen zusammenarbeiten zu müssen. Doch wo genau, daran scheiden sich die Geister. 49 Prozent der Deutschen nannten hierbei die Lösung des Syrien-Konflikts. In Russland waren es nur knapp neun Prozent. Hier nennen 35 Prozent die Terrorbekämpfung und 29 Prozent Wirtschaftsbeziehungen als vorrangige Themen.

Eine Mehrheit von 87 Prozent der Befragten in Russland attestiert Deutschland zudem, ein Land mit einer starken Wirtschaft zu sein, 64 Prozent sind der Meinung, Deutschland sei ein Land mit Führungsstärke in der internationalen Gemeinschaft. 56 Prozent der Deutschen teilen diese Meinung über Russland.

Obwohl die Meinungen der Befragten in beiden Ländern teilweise stark auseinandergehen, befürworten beide Seiten gute politische Beziehungen. Für 95 Prozent der Deutschen und 84 Prozent der Russen ist es wichtig, dass sich Russland und die EU in den kommenden Jahren politisch wieder annähern.

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