Süddeutsche Zeitung

Berlin:Bundestag beschließt Maßnahmen gegen Medikamenten-Engpässe

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Gesundheitsminister Lauterbach sagt, eine "unhaltbare Situation" ändere sich dadurch. Die Union bezeichnet das Gesetz als "Placebo". Das Parlament befasst sich an diesem Freitag noch mit weiteren Vorhaben.

Von Juri Auel, Vivien Götz und Dimitri Taube

Der Bundestag hat an diesem Freitag mehrere Gesetzesvorhaben beschlossen. Darunter fiel auch ein Anliegen aus dem Gesundheitsministerium, das Lieferengpässe bei Medikamenten entgegenwirken soll. Zu Beginn der abschließenden Debatte darüber sprach Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und stellte das Gesetzesvorhaben noch einmal kurz vor.

Seit vielen Jahren schon beklage man Lieferengpässe bei Medikamenten, vor allem bei solchen Stoffen, die keinem Patentschutz unterliegen, sagte er. Was mit Aspirin vor zehn Jahren begann, habe sich über Mittel wie Ibuprofen zur Schmerzbekämpfung über Magensäurehemmer immer weiter ausgebreitet. Heute würden 450 Wirkstoffe fehlen, eine "unhaltbare Situation", sagte der Minister. Es sei immer wieder versucht worden, mit Selbstverpflichtungen das Problem zu lösen. "Das ist falsch gewesen", sagte Lauterbach. Der Minister erinnerte daran, dass mittlerweile sogar wichtige Arzneimittel für Kinder oder wichtige Medizin für Krebspatienten in Deutschland nicht verfügbar sind, im Rest Europas jedoch schon.

Das Gesetz sieht mehrere Punkte vor, um der Entwicklung entgegenzuwirken. Der erste ist ein Sicherheitspuffer. Für alle Medikamente mit Rabattverträgen der Krankenkassen sollen Hersteller bei sich einen Vorrat anlegen müssen - und zwar einen so großen, wie es einer durchschnittlichen Liefermenge für sechs Monate entspricht. Zunächst war ein Drei-Monats-Puffer geplant. Der Verband der Hersteller patentfreier Medikamente, Pro Generika, warnte schon, dass Produktionskapazitäten dafür fehlten. Zudem verursache die Lagerhaltung mehr Kosten - und das verschärfe den Kostendruck, der als eine Ursache für Ausstiege aus der Produktion gilt.

Für Kindermedikamente soll es keine Rabattverträge mehr geben, mit denen Preise für die Kassen als Großabnehmer gedrückt werden. Hersteller sollen ihre Abgabepreise auch einmalig um bis zu 50 Prozent des zuletzt geltenden "Festbetrags" anheben dürfen - also des maximalen Betrags, den die gesetzlichen Kassen bisher für ein Präparat zahlen. Neue Festbeträge soll es dann für Kindermedikamente nicht mehr geben. Außerdem soll generell eine Liefermenge für vier Wochen beim Großhandel als Vorrat auf Lager gehalten werden müssen.

Langfristig müsse man zudem sicherstellen, dass die Produktion der Mittel wieder in Europa stattfinde, sagte Lauterbach. Deswegen müsse jeder Hersteller, der einen Rabattvertrag haben wolle, die Hälfte seiner Produktion in Europa nachweisen können. Das werde nicht schnell umsetzbar sein, sei aber auf lange Sicht ein wichtiger Schritt, um das Problem zu bekämpfen.

Die CDU kritisierte das Gesetz als "Placebo", da die vorgeschlagenen Änderungen nicht wie vom Minister versprochen zu einer besseren Verfügbarkeit der fehlenden Medikamente führen würden. Das Gesetz gehe nicht weit genug, da beispielsweise Krebsmedikamente nicht durch ein "Drehen an der Rabattschraube" zügig in Europa hergestellt würden. Die Linke kritisierte, dass Rabattverträge nur bei Kindermedikamenten eingeschränkt werden sollen. Das jetzige System fördere gefährliche Monopole in der Pharmaindustrie. CDU, AfD und Linke stimmten gegen das Gesetz, die Ampel jedoch dafür.

Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung beschlossen

Auf der Tagesordnung des Bundestages stand ebenfalls ein Gesetz, mit dem die Bundesregierung die Hürden für die Einwanderung von Arbeitskräften senken will. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz wurde mit den Stimmen der Koalition angenommen. Damit habe der Bundestag "Geschichte geschrieben", sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nach der Abstimmung.

Deutschland werde durch die Verabschiedung des Gesetzentwurfs "das modernste Einwanderungsrecht der Welt" bekommen, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Der nächste Schritt müsse sein, "maßgeblich Bürokratie abzubauen", um den Weg nach Deutschland für qualifizierte Arbeitskräfte weniger beschwerlich zu machen.

Neu ist in dem Gesetz unter anderem die sogenannte Chancenkarte auf Basis eines Punktesystems. Zu den Kriterien, für die es Punkte gibt, gehören Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Alter und Deutschlandbezug. IT-Fachkräfte sollen künftig auch ohne Hochschulabschluss kommen dürfen, sofern sie bestimmte Qualifikationen nachweisen können. Leichter werden soll es auch für Asylbewerber, die vor dem 29. März 2023 eingereist sind und eine qualifizierte Tätigkeit ausüben oder in Aussicht haben.

Die Reform sei eine "Mogelpackung", kritisierte die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz. Anstatt Fachkräften den Weg zu ebnen, werde das von Erwerbsmigranten eingeforderte Niveau, was Ausbildung und Sprache angeht, gesenkt. Gökay Akbulut (Linke) sagte, es sei gut, dass Fachkräfte künftig auch ohne Wohnraumnachweis ihre Eltern und Schwiegereltern zu sich holen könnten. Dass dies erwerbstätigen Migranten ohne besondere Qualifikation nicht gestattet werde, sei aber "eine Zwei-Klassen-Migrationspolitik", die ihre Fraktion ablehne.

Aus- und Weiterbildungsförderung beschlossen

Auch ein Gesetz zur Aus- und Weiterbildungsförderung wurde verabschiedet. Es sieht vor, dass junge Menschen auf dem Weg in die Ausbildung und den Beruf besser finanziell unterstützt und beraten werden sollen. Zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen in Deutschland hätten keine abgeschlossene Berufsausbildung, sagte Arbeitsminister Heil in der Debatte. "Dieser Entwicklung graben wir den Nachwuchs ab."

Die berufliche Weiterbildung soll vor allem durch verschiedene finanzielle Instrumente unterstützt werden. Eines ist das sogenannte Qualifizierungsgeld für Arbeitnehmende, die vom Strukturwandel besonders betroffen sind. Die Bundesagentur für Arbeit soll während einer Weiterbildungszeit Lohnersatzzahlungen von 60 Prozent leisten, wenn Arbeitnehmenden durch die Weiterbildung die "zukunftssichere Beschäftigung" im gleichen Unternehmen ermöglicht werden kann.

Kritik am Weiterbildungsgesetz kam vor allem von der Linken. Geringqualifizierte im Niedriglohnsektor, die Weiterbildungen am dringendsten bräuchten, würden von den Maßnahmen nicht erreicht, kritisierte Linken-Abgeordnete Jessica Tatti. Die Union kritisierte, dass die Ampel zu wenig tue, um die Maßnahmen bei kleinen und mittelständischen Betrieben bekannt zu machen und die Maßnahmen an diese Betriebsgrößen anzupassen.

Strompreisbremse wird angepasst

Uneinig waren sich Opposition und Regierung auch über Nachbesserungen bei der Strompreisbremse, die im Parlament verabschiedet wurde. Während die Ampel betonte, die Nachbesserungen würden sicherstellen, das Lücken im bisherigen Gesetz geschlossen würden, kritisierte die Union, dass trotz der Nachbesserungen der Mittelstand nach wie vor "kategorisch ausgeschlossen" werde. Außerdem würden sich große Probleme bei der Versteuerung der Entlastungen abzeichnen.

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