Süddeutsche Zeitung

Brexit-Abkommen:Mays schwierige Suche nach Verbündeten

Lesezeit: 4 min

Von Daniel Brössler, Matthias Kolb und Alexander Mühlauer, Brüssel

Mark Rutte macht kein Geheimnis daraus, was er vom EU-Austritt Großbritanniens hält. "Ich hasse den Brexit", sagt der niederländische Ministerpräsident immer mal wieder. Und fügt dann hinzu, dass er, wäre er Abgeordneter im britischen Unterhaus, für das Austrittsabkommen stimmen würde. Doch soweit ist es in London bislang nicht gekommen. Einen Tag, nachdem Theresa May die Notbremse gezogen und das Brexit-Votum im Parlament verschoben hat, tourt sie in ziemlich verzweifelter Mission durch Europa. Erste Station: Den Haag, Frühstück mit Mark Rutte. Warum ausgerechnet die Niederlande der erste Stopp der Reise durch Europa ist - dazu später mehr.

Das "Dutch Breakfast" an diesem Dienstagmorgen ist der Auftakt eines diplomatischen Drahtseilaktes. Bis zum EU-Gipfel am Donnerstag will May ausloten, zu welchen Zugeständnissen die EU bereit ist. Und so reist May von Den Haag weiter nach Berlin, um Angela Merkel zum Mittagessen im Kanzleramt zu treffen. Am Abend suchte sie schließlich noch in Brüssel mit Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionschef Jean-Claude Juncker nach einem Weg, um eine Mehrheit im Londoner Unterhaus für den Brexit-Deal zu bekommen.

Doch bereits am Vormittag macht Juncker klar, was May dem Vernehmen nach auch beim Frühstück in Den Haag zu hören bekommt. "Es gibt überhaupt keinen Raum für Neuverhandlungen", sagt der Kommissionspräsident gewohnt schnoddrig bei einem Auftritt im Europäischen Parlament. Möglich seien "weitere Klarstellungen und weitere Interpretationen". Mehr nicht. Das vereinbarte Austrittsabkommen werde "nicht wieder aufgeschnürt". Das ist die Linie, auf die sich die EU verständigt, nachdem May die Abstimmung in London verschoben hat. Daran soll sich bis zum EU-Gipfel nichts ändern. Rutte jedenfalls will nach dem Treffen mit May nur das sagen: Es sei ein "nützliches Gespräch" gewesen. Ansonsten sollen die Bilder für sich sprechen: Allem Chaos zum Trotz gibt sich Rutte betont freundlich. Er lacht und schäkert sogar mit der Premierministerin. Wie sich das unter Freunden eben gehört.

Berlin, kurz nach 13 Uhr. Es regnet, als Theresa May vor dem Kanzleramt vorfährt. Für einen Moment wirkt es so, als wolle die Britin gar nicht aus ihrer Limousine steigen. Oder es klemmt. Angela Merkel wartet geduldig auf dem roten Teppich, bis der Gast dann doch aussteigt. Ein freundlich-geschäftsmäßiger Händedruck, danach verschwinden beide Frauen hinter verschlossenen Türen.

Auf Wunsch der britischen Seite empfange die Kanzlerin Frau May, hatte Merkels Sprecher mitgeteilt. Der Empfang ist so kühl wie die politische Großwetterlage. Merkel hatte gehofft, dass wenigstens die Brexit-Krise entschärft ist und beim Gipfel vor gut zwei Wochen mit "gewisser Erleichterung" das "diplomatische Kunststück" gefeiert, als den sie den Austrittsvertrag würdigte. Schon vor Beginn des Gespräches ist klar, dass May in Berlin nichts erreichen würde, was nicht auch in Brüssel als akzeptabel gilt. Merkel machte der Premierministerin bei dem Treffen im Kanzleramt denn auch offenbar klar, wie gering der Spielraum ist: Sie sehe bezüglich des Austrittsabkommens "keine Änderungsmöglichkeiten", sagte sie später in einer Sitzung der Unionsfraktion. Möglich sei vielleicht eine für May einigermaßen gesichtswahrende Zusatzerklärung in Sachen Irland. Keinesfalls infrage gestellt werden soll der Backstop. Er stellt sicher, dass die Grenzen zwischen Irland und Nordirland nach dem Brexit dauerhaft offen bleiben. Auch Juncker betont stets, dass der Backstop die Grundlage für den Austrittsvertrag sei und "notwendig für Irland". Die EU werde Dublin hier "niemals alleine lassen". Was Merkel betrifft, kann May eigentlich keine großen Hoffnungen hegen, denn die Geschichte der Beziehungen zwischen den wechselnden britischen Premierministern und der Kanzlerin ist eine Geschichte der Enttäuschungen. Schon Mays Vorgänger David Cameron hatte sich in Merkel geirrt. Cameron glaubte, dass sie fast jeden Preis zu zahlen bereit sei, um Großbritannien in der EU zu halten. Richtig war, dass Merkel Großbritannien gerne in der EU gehalten hätte. Cameron unterschätzte aber, wie sehr der Kanzlerin das britische Konzept einer EU light missfiel. May glaubte, deutsche Wirtschaftsinteressen würden Merkel auf einen weichen Kurs in Sachen Brexit bringen. Auch das erwies sich als Irrtum. May lernt in Berlin auch kurz die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer kennen.

Doch auch da dürfte sie zu spüren bekommen haben: Die Front hält. Was kann die EU jetzt noch tun, um May zu helfen? Möglich wäre eine Zusatzerklärung, die deutlich macht, dass der Backstop nicht das Ziel ist - und schon gar keine Dauerlösung. Darin könnte zudem ein anvisiertes Datum für ein Freihandelsabkommen stehen. Ob das May reicht? Wahrscheinlich nicht, die Premierministerin dringt offenbar auf eine rechtlich bindende Zusatzerklärung zum Backstop. Wenn man so will, hat Mark Rutte schon einmal Ähnliches geschafft. Der Niederländer vollbrachte einst das Kunststück, der EU eine rechtlich bindende Erklärung zu entlocken, um eine Abstimmung im Parlament zu gewinnen. Rutte brauchte eine Mehrheit für die Ratifizierung des Handels- und Assoziierungsabkommens mit der Ukraine, nachdem sich die Mehrheit der Niederländer per Referendum 2016 dagegen ausgesprochen hatte. Der Unterschied zu May ist aber: Rutte konnte sicher sein, dass der Deal nicht im Parlament scheitert. In Brüssel laufen derweil die Gipfel-Planungen.

Wortlos geht May am frühen Abend an den Kameras vorbei, um mit Donald Tusk jenen Mann zu treffen, der die Choreografie dieser Treffen festlegt. Als Ratspräsident entscheidet der Pole maßgeblich darüber, ob May die Bühne bekommt, die sie womöglich fürs heimische Publikum braucht und die ihr die EU-27 bislang verweigerten. May konnte bisher nur zum Auftakt für ihre Position werben. Nach ihrem Vortrag musste sie kurz danach den Raum verlassen. So dürfte es am Donnerstag auch wieder ablaufen. Nach einer Stunde eilt May zu ihrer Limousine und erklärt später, dass die "Gespräche erst am Anfang" stünden. Tusk spricht von einer "langen und offenen Diskussion" und beteuert per Tweet, dass die EU-27 weiterhin helfen wollten: "Die Frage ist nur wie." Diese Frage kann am Dienstag niemand beantworten. EU-Diplomaten fragen sich, ob die Zeit für den großen Showdown womöglich noch gar nicht gekommen ist. Bisher hatte nur London verlangt, noch 2018 fertig sein zu müssen. Mittlerweile aber gibt es einen neuen Stichtag, bis wann das Unterhaus über den Brexit-Vertrag abstimmen soll: Montag, den 21. Januar.

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Quelle:
SZ vom 12.12.2018
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