Süddeutsche Zeitung

Europäische Union:Letzter Anlauf für die Brexit-Verhandlungen

Lesezeit: 3 min

Boris Johnson und Ursula von der Leyen haben verabredet: Die unterbrochenen Gespräche zwischen EU und Großbritannien werden am Sonntag wieder aufgenommen. Ob eine Einigung gelingt, könnte bis Montagabend klar sein.

Von Björn Finke, Brüssel

Das Duo war sich einig, uneinig zu sein: Am Samstag telefonierten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der britische Premier Boris Johnson gut eine Stunde, um Bewegung in die festgefahrenen Gespräche über einen Handelsvertrag zu bringen. Danach teilten von der Leyen und Johnson in wortgleichen Stellungnahmen mit, dass bei altbekannten Streitpunkten ernsthafte Divergenzen blieben und ohne Einigung hier "kein Abkommen möglich" sei. Trotzdem sollen die beiden Chefverhandler, Michel Barnier und Lord David Frost, ihre unterbrochenen Gespräche wiederaufnehmen - am Sonntag in Brüssel. "Wir werden Montagabend erneut sprechen", kündigten von der Leyen und Johnson an.

Schon vor dem Wochenende war Montagabend in Brüssel und London als letzte Frist genannt worden, bis zu der klar sein muss, ob eine Einigung möglich ist. Denn danach würde ein Abschluss noch schwieriger, weil Johnson dann sein umstrittenes Binnenmarktgesetz wieder ins Unterhaus einbringen will.

Der Rechtsakt würde Teile des gültigen Austrittsvertrags aushebeln und wird daher von Brüssel als Provokation und Vertrauensbruch angesehen. Würde das Gesetzgebungsverfahren weiterlaufen, wäre das eine enorme Belastung der Gespräche über den Handelsvertrag. Gäbe es auf der anderen Seite bis Montag eine Einigung auf diesen Vertrag, würde Johnson dieses Gesetz gar nicht mehr benötigen.

Ohne Vertrag droht in nicht einmal vier Wochen ein harter Bruch: Das Vereinigte Königreich hat die EU zwar bereits Ende Januar verlassen, aber Bürger und Firmen werden das erst Anfang Januar richtig spüren. Denn zum Jahreswechsel endet die Brexit-Übergangsphase, in der Großbritannien weiter Teil des EU-Binnenmarkts und der Zollunion ist. Gelingt im Dezember nicht der Abschluss eines Handelsvertrags, werden von Januar an Zölle und Zollkontrollen eingeführt, zum Schaden der Unternehmen und Verbraucher.

Fische, fairer Wettbewerb und Streitfälle sind die umstrittenen Themen

Die Aussichten für einen Deal verdüsterten sich am Freitagabend, als die beiden Chefverhandler Frost und Barnier beschlossen, ihre Gespräche wegen der hartnäckigen Divergenzen zu unterbrechen und sich erst einmal mit "ihren Vorgesetzten" zu bereden, wie sie in einer gemeinsamen Mitteilung schrieben. Diese Vorgesetzten - von der Leyen und Johnson - wollen aber nun, dass das Duo es weiter versucht.

Umstritten sind noch immer die Fangquoten für EU-Fischer in britischen Gewässern, Vorgaben für fairen Wettbewerb zwischen Unternehmen in Großbritannien und in der EU sowie die Frage, wie Streitfälle geschlichtet werden sollen. In Brüssel heißt es, Grund für die Unterbrechung sei gewesen, dass die Briten bei den Regeln für fairen Wettbewerb auf einmal wieder Positionen eingenommen hätten, die nach Ansicht der EU-Verhandler schon längst abgeräumt gewesen seien.

Das Parlament hätte kaum Zeit, den Vertrag zu prüfen

Würde eine Einigung am Montag gelingen, könnten sich die Staats- und Regierungschefs der EU damit direkt bei ihrem ohnehin geplanten Gipfel am Donnerstag befassen. Danach müssten noch das Europaparlament und das Unterhaus den Vertrag annehmen. Das Europaparlament kann dem Abkommen eigentlich nur zustimmen, wenn es zuvor in alle 24 EU-Amtssprachen übersetzt ist. Das würde allerdings zu lange dauern, selbst wenn eine Sondersitzung am 28. Dezember einberufen wird.

Sollten Parlament und alle Mitgliedstaaten einverstanden sein, könnte der Vertrag ausnahmsweise auch zunächst nur in seiner englischen Version verabschiedet werden. Oder er könnte ohne Plazet des Parlaments im Januar provisorisch in Kraft treten; die Abgeordneten würden ihre Zustimmung später erklären. Der wohl wichtigste Handelsvertrag in der Geschichte der EU würde dann nur sehr oberflächlich von den Volksvertretern geprüft werden. Entsprechend aufgebracht sind diese: "Der Brexit ist von einer Tragödie zu einer Farce geworden", sagt der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange. "Eine seriöse Behandlung ist nicht mehr möglich: Im Durchschnitt haben wir im Parlament für Handelsverträge 136 Tage gebraucht", klagt der Vorsitzende des Handelsausschusses.

Zugleich bedeutet diese Flexibilität, dass die Gespräche theoretisch auch nach Montag weitergehen könnten. Diplomaten und Beamte in London und Brüssel weisen gerne darauf hin, dass es nur einen wirklich harten Stichtag gibt: den 31. Dezember. Und keine der beiden Seiten will als erste vom Verhandlungstisch aufstehen - und sich dem Vorwurf aussetzen, schuld am Platzen der Gespräche zu sein.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5138576
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.