Süddeutsche Zeitung

Annalena Baerbock:"Das ist der Job einer Außenministerin"

Lesezeit: 3 min

Was hält Putin davon ab, in der Ukraine einzumarschieren? Wie umgehen mit China und Iran? Die G-7-Außenminister besprechen die Krisen die Welt - und nicht nur Annalena Baerbock ist neu im diplomatischen Geschäft.

Von Paul-Anton Krüger, Liverpool

Für Annalena Baerbock sind die ersten 72 Stunden im Amt als Bundesaußenministerin ein Parforceritt durch ihr neues Zuständigkeitsgebiet. Nach den Antrittsbesuchen in Paris, bei der EU sowie der Nato in Brüssel am Donnerstag und in Warschau am Freitag arbeitet sie am Wochenende beim G-7-Außenministertreffen in Liverpool eine Agenda ab, die von den Gastgebern mit britischem Understatement als "vollgepackt" angekündigt worden war. "Ich freue mich, dass ich nach meinen bilateralen Gesprächen jetzt an diesem Wochenende in das multilaterale Geschäft sofort einsteigen kann", sagt Baerbock.

Am Samstag sind die Arbeitssitzungen so dicht getaktet, dass schon mal ein Thema vom Morgen in den Nachmittag geschoben werden muss. Die ganze Palette der "aktuellen geopolitischen Herausforderungen", wie Diplomaten das nennen, nehmen die Minister durch: Russland und China dominieren den Vormittag, die Frage, ob man die Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik mit einem diplomatischen Boykott der Olympischen Winterspiele begegnet, wie es die USA wollen.

Oder wie man Präsident Wladimir Putin abhält davon, in der Ukraine einzumarschieren. "Das hätte enorme wirtschaftliche und politische Konsequenzen", sagt Baerbock und ergänzt: "Wir wollen alles dafür tun, dass es dazu nicht kommt, sondern wir an den Verhandlungstisch gemeinsam mit Russland zurückkehren können."

Außerdem alleine am Samstag noch auf der Agenda: die Lage in Afghanistan, der Tigray-Konflikt in Äthiopien, Libyen, Sudan, der Westbalkan. Und natürlich auch die Bekämpfung der Corona-Pandemie. So dicht ist das Programm, dass die Außenministerin ein paar Spickzettel in der Hand hat, als sie am Nachmittag ein erstes Statement abgibt. Auch der Umgang mit Iran und dessen Atomprogramm sei auf Teil der Agenda gewesen.

Von "sehr, sehr schwierigen und stockenden Verhandlungen in Wien", spricht Baerbock. Parallel zu den Beratung in Liverpool reden in Wien hochrangige europäische Diplomaten mit dem iranischen Chefunterhändler Ali Bagheri-Kani über die Wiederbelebung des Atomabkommens von 2015, aus dem US-Präsident Donald Trump 2018 ausgestiegen war. Es habe sich leider in den vergangenen Tagen gezeigt, so Baerbock, dass man nicht wirklich vorankomme, sondern das Angebot Teherans so sei, dass wir um "sechs Monate zurückfallen".

Es könnte gleich die nächste Großkrise werden, wenn es in Wien nicht bald Fortschritte gibt. Die aber lassen auf sich warten. Iran habe durch sein Verhalten "massiv Vertrauen verspielt", sagt Baerbock. Man halte an einer diplomatischen Lösung fest, aber nun müsse Iran handeln. "Die Zeit läuft uns davon", warnt die Außenministerin.

Das Treffen in Liverpool ist auch so etwas wie ein Speeddating für die Außenminister der sieben größten westlichen Industrienationen. Nicht nur Baerbock ist neu im Job. Auch der Japaner Yoshimasa Hayashi, die kanadische Außenministerin Mélanie Joly und Gastgeberin Liz Truss sind jeweils weniger als drei Monate im Amt.

Der russische Ressortchef Sergej Lawrow dient dem Kreml schon mehr als zweimal solange in seiner Position, wie die Amtszeiten aller G-7-Außenminister zusammengerechnet. Wobei natürlich der Franzose Jean-Yves Le Drian und US-Außenminister Tony Blinken ebenfalls Veteranen des diplomatischen Geschäfts sind.

Beide bemühen sich erkennbar um ihre Kollegin aus Berlin, die in wenigen Wochen zum Jahreswechsel turnusgemäß den Vorsitz der G-7-Runde übernehmen wird. Man werde sich in den nächsten Tagen ja öfter treffen, hatte Baerbock in Paris gesagt. Nun ist sie schon im vertrauten Gespräch mit Le Drian zu sehen - keine Zeit, um anzukommen. "Das ist der Job einer Außenministerin", sagt Baerbock lakonisch. Sie habe sich nicht vertreten lassen wollen, sondern sei persönlich nach Liverpool gekommen und habe die "entscheidenden Außenminister getroffen". Am Montag geht es in Brüssel weiter im Kreise der EU-Kollegen beim Rat für Auswärtige Beziehungen.

Blinken hatte sie schon am Freitagabend bei einem bilateralen Gespräch mit Freundlichkeiten überhäuft. "Wundervoll" sei es, sie nun persönlich zu treffen, sagte er. Schon am Mittwoch hatten die beiden telefoniert. Die Beziehungen, die "Partnerschaft zwischen unseren Ländern ist so lebenswichtig, und wir haben eine Menge zu bereden", sagte er, um Baerbock anschließend im Schnelldurchlauf ins Bild zu setzen, wie die USA die Welt derzeit sehen.

Auch mit der Britin Truss gab es am Freitag schon eine Begegnung. Die beiden hätten betont, wie wichtig es sei, die Demokratie und Freiheit in der Welt zu verteidigen und auszubauen, erklärte das Londoner Außenministerium - und "autokratischen Regimen entgegenzutreten, die die freie Welt gefährden". In das Gespräch allerdings stieg Truss mit den Nordirland-Protokoll ein, mit dem nach dem Brexit Grenzkontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Teil der Insel verhindert werden sollten. "Pragmatische Lösungen" wünsche sie sich da von der EU, ließ sie die deutsche Ressortchefin wissen. Es werden viel Erwartungen an sie herangetragen in diesen ersten Tagen. "Ich nehme an, es geht Ihnen ähnlich wie mir, als ich diese Aufgaben übernommen habe", sagte Blinken - "der Posteingang ist ziemlich voll".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5485761
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.