Süddeutsche Zeitung

Asyl-Streit in der Union:Merkel präsentiert ihre Erfolge

Lesezeit: 3 min

Mehr Schleierfahndung, Kampf gegen Visa-Missbrauch und Rückführungsabkommen mit 16 Staaten: Auf acht selbstbewussten Seiten bilanziert das Kanzleramt den EU-Gipfel. Doch Tschechien, Ungarn und Polen dementieren, dass es eine Einigung gibt.

Von Nico Fried und Matthias Kolb

Acht Seiten umfasst das Papier aus dem Kanzleramt und der Titel gibt die Marschrichtung vor: "Mehr Ordnung und Steuerung in der Migrationspolitik". Mit diesem "Bericht zur Lage nach dem Europäischen Rat vom 28./29. Juni 2018" möchte Angela Merkel die Partei- und Fraktionschefs von SPD und CSU davon überzeugen, dass sie in Brüssel gut verhandelt hat. Bereits am Freitag hatte Merkel die Koalitionspartner in getrennten Telefonaten informiert. Der Bericht, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, bündelt nun Merkels Argumente.

Am Vortag hatte die Kanzlerin in Brüssel noch erklärt, der koalitionsinterne Streit sei ihr ein "Ansporn" gewesen und das interne Papier ist sehr selbstbewusst formuliert. Wie schon so oft in dieser Woche werden zunächst die Erfolge bei der "Reduzierung der illegalen Migration" betont: Seit Oktober 2015 wurde die Zahl der widerrechtlichen Einreisen über die drei Mittelmeerrouten um 95 Prozent gesenkt. So ruft Merkel in Erinnerung, dass in den vergangenen drei Jahren einiges erreicht wurde - und deutet an, dass bald noch mehr geschafft werden kann.

Entscheidend für den innenpolitischen Streit sind die Abschnitte 3.1 bis 3.3. im Kapitel über die "Ordnung und Reduzierung der Sekundärmigration". Hier geht es also um jenes Thema, das Innenminister Horst Seehofer (CSU) so umtreibt und weswegen die große Koalition vor dem Bruch steht. Seehofer möchte jene Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben, schon an der Grenze zurückweisen - und auch der Bericht betont, dass die Quote einer erfolgreichen Dublin-Rücküberstellung "von bisher 15 Prozent" erhöht werden solle.

Um die Effektivität zu steigern, gebe es von folgenden 14 Staaten "Zusagen auf politischer Ebene", entsprechende Abkommen gemäß Artikel 36 der Dublin-Verordnung abzuschließen: Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Luxemburg, Niederlande, Polen, Portugal, Schweden, Tschechien, Ungarn sowie die baltischen Staaten. Dabei fällt jedoch sofort auf, dass weder Italien, dessen Premier Conte den EU-Gipfel mit einer Veto-Drohung prägte, noch Österreich auf der Liste stehen. Dass mit den Visegrad-Staaten Ungarn, Tschechien und Polen drei Regierungen Abkommen schließen wollen, die zu den schärfsten Kritikern Merkels zählen, ist bemerkenswert. Andererseits gibt es praktisch keine Asylbewerber, die ihren ersten Antrag in einem dieser Länder stellen.

Außerdem kommt bereits im Laufe des Samstags Widerspruch. Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babis wies zurück, dass es einen Einigung gebe. Das sei "völliger Unsinn". Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban bestritt ebenfalls, Zusagen zur beschleunigten Rückführung gegeben zu haben. "Das ist eine gewöhnliche Zeitungsente, es ist zu keinerlei Vereinbarung gekommen", sagte der rechtsnationale Politiker der staatlichen Nachrichtenagentur MTI. Ähnlich äußerte sich ein Sprecher im polnischen Außenministerium am späten Samstagabend. Von 14 Staaten wären, wenn man nach diesen Dementi geht, nur noch elf geblieben.

Wo Merkel den CSU-Spitzen widerspricht

Deutlich widerspricht das Merkel-Papier der Interpretation von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sowie Ministerpräsident Markus Söder ( seine Reaktion lautet bisher "Bayern hat da viel erreicht"), wonach die von den Bayern bevorzugten einseitigen Maßnahmen durch den Ratsbeschluss gedeckt seien. "Der Grundsatz, dass wir nicht unilateral, nicht unabgestimmt und nicht zu Lasten Dritter handeln wollen", gelte weiterhin, heißt es in dem Bericht. Die Position Merkels wiederholte am Samstag auch ein Regierungssprecher.

Das Papier nennt neben der schon bekannten Aufstockung der EU-Grenzschutzbehörde Frontex weitere Details. So sollen Asylbewerber, die schon in anderen EU-Ländern registriert sind, künftig in besonderen Aufnahmeeinrichtungen untergebracht werden. Dort, so der Plan, werde "eine erweiterte, sanktionsbewehrte Residenzpflicht" gelten - die Betroffenen bekommen also Auflagen, die verhindern sollen, dass sie sich aus den Einrichtungen entfernen. Eine Verteilung auf die Kommunen soll ausgeschlossen werden.

Auch die Schleierfahndung soll weiter ausgebaut werden. So sollen auch Migranten, die versuchen, offizielle Grenzkontrollen zu umgehen und über die "grüne Grenze" nach Deutschland zu kommen, abgeschreckt werden.

Missbrauch von Schengen-Visa soll weiter bekämpft werden

Aus dem Bericht wird auch deutlich, dass die Bundeskanzlerin beabsichtigt, die Vergabe von Schengen-Visa stärker zu kontrollieren. 2017 habe eine fünfstellige Zahl von Asylsuchenden in Deutschland einen entsprechenden Eintrag im EU-Visa-Informationssystem gehabt, heißt es dort. Durch strengere Kontrollen "können wir den Visumsmissbrauch und damit die Zahl der Asylersuchen in Deutschland substanziell verringern". Merkel wolle daher den Rat der EU-Innen- und Außenminister beauftragen, umgehend eine striktere Praxis der Vergabe von Schengen-Visa zu beschließen. Hier ist neben dem SPD-Politiker Heiko Maas auch Innenminister Horst Seehofer gefordert.

Auf ihn kommt als Leiter des zuständigen Ressorts auch die Aufgabe zu, Detailverhandlungen über Rückführung von Asylsuchenden zu führen. Bereits am Freitag hatte Merkel verkündet, dass es mit Griechenland und Spanien ein solches politisches Abkommen geschlossen wurde (es ist als Anhang dem Schreiben beigefügt) und "noch im Juli" sollten diese Verhandlungen beendet werden, heißt es unmissverständlich.

Bei ihrer Pressekonferenz in Brüssel hatte Merkel am Freitag gutgelaunt erklärt, dass die CSU mit dem Erreichten zufrieden sein müsse: "Wenn das alles umgesetzt wird, dann ist das mehr als wirkungsgleich." Wie überzeugt die Bundeskanzlerin von ihrem Ansatz ist, verdeutlicht der Schlussabsatz des Dokuments: "Mit der konsequenten Umsetzung der genannten Maßnahmen kann die illegale Migration, insbesondere auch die Sekundärmigration, deutlich reduziert werden. Je mehr Länder sich an den Maßnahmen beteiligen, desto größer ist die Chance für eine gesamteuropäische Lösung."

Am morgigen Sonntag werden die Gremien von CDU und CSU also nicht nur über die Brüsseler Ergebnisse beraten, sondern auch noch über die bilateralen Zusagen, die Merkel von mehr als einem Dutzend EU-Partner eingeholt. Ein "Nein" der bayerischen Schwesterpartei ist so wohl noch ein kleines bisschen unwahrscheinlicher geworden.

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