Süddeutsche Zeitung

Nahverkehr:Nachfolger für Neun-Euro-Ticket frühestens Ende des Jahres

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Verkehrsminister Volker Wissing hält ein dauerhaftes bundesweites Ticket für möglich. Eilig hat er es dabei nicht. Branchenmanager fürchten, dass der FDP-Politiker auf Zeit spielt.

Von Markus Balser, Berlin

Seit eineinhalb Monaten können die Deutschen nun schon zum günstigen Festpreis mit dem Nahverkehr durchs Land fahren. Und der Zuspruch ist gewaltig. 31 Millionen Menschen, rechnet die Bundesregierung vor, haben sich inklusive der Abonnenten in den ersten Wochen ein Neun-Euro-Ticket gekauft. Auch Politiker der Ampel-Regierung, die das Ticket im Frühjahr in einer Nacht- und Nebel-Aktion beschlossen hatten, sind überrascht vom Erfolg des Angebots. Schon in den vergangenen Tagen war die Forderung laut geworden, ab September eine Nachfolgelösung anzubieten. 19 bis 69 Euro im Monat oder 365 Euro im Jahr - für eine Anschlussregelung liegen längst verschiedene Modelle auf dem Tisch.

Auch in der Bundesregierung bröckelt offenbar der Widerstand gegen eine Fortsetzung des bundesweiten Tickets. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) signalisierte am Dienstag erstmals Bereitschaft für ein Nachfolgeangebot. Die Offerte sei ein "Riesenerfolg", sagte Wissing der Deutschen Presse-Agentur. Die Fahrgastzahlen seien auf das Niveau der Zeit vor der Pandemie gestiegen. Und der öffentliche Nahverkehr habe einen Digitalisierungsschub bekommen. Die Passagierzahlen waren seit 2020 um etwa ein Fünftel zurückgegangen.

Völlig offen allerdings ist, wann die Deutschen mit einem dauerhaften bundesweiten Nahverkehrsticket rechnen können - und zu welchem Preis. Eilig hat es Wissing nicht. Ende des Jahres oder Anfang 2023 sei dessen Einführung möglich. Anfang November sollten Daten zu dem Ticket vorliegen, die bei der Bewertung helfen sollten, sagte der FDP-Politiker. "Was sind die Erfahrungen damit? Welche Rolle spielt der Preis? Welche Rolle spielt das einfache Handling oder die deutschlandweite Geltung?" Um solche Fragen werde es dabei gehen. Da werde ja sehr viel gemutmaßt, aber so richtig wisse man es noch nicht, sagte Wissing. "Darum brauchen wir die Ergebnisse der Evaluation."

In der Verkehrsbranche und Teilen der Politik regt sich Protest gegen das, was man in den Verbünden als Hinhaltetaktik wahrnimmt. Die Kunden sollten nach Auslaufen des Angebots Ende August nicht in ein Loch fallen, sagt ein Verkehrsmanager. Die meisten Daten lägen ja ohnehin vor. Eine rasche Entscheidung sei möglich.

Eine Evaluation erst im November - braucht es das?

Umstritten ist vor allem, zu welchem Preis ein neues Ticket angeboten werden soll. Dass es beim niedrigen Neun-Euro-Preis nicht bleiben wird, ist parteiübergreifend beschlossene Sache. In Zeiten knapper Kassen lehnt der Bund monatliche Milliardensubventionen für den Nahverkehr ab. Der Dachverband der Verkehrsverbünde hatte ein 69 Euro-Ticket vorgeschlagen, das wenigstens für Pendler ein attraktives Angebot sei und als Zwischenlösung ab September eingeführt werden könnte - finanziert über den bereits bestehenden Klimafonds. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte dagegen ein 365-Euro-Ticket nach österreichischem Vorbild gefordert. Der Nahverkehr würde dann in einem Jahr einen Euro am Tag kosten. Wissing will sich bislang auf keines der Modelle festlegen. "Wir brauchen ein Modell, das in die Haushalte der Länder und auch in den Haushalt des Bundes passt."

Bei einer Einigung zwischen Bund und Ländern könne es aber schnell gehen. "Wir haben ja gesehen, dass wir innerhalb weniger Wochen einen Vorschlag auf den Tisch legen und ein digitales Ticket anbieten konnten. Insofern bin ich optimistisch, dass es auch dieses Mal schnell gehen kann", so Wissing. In der Branche allerdings herrscht Skepsis. Wenn man im November erst mit der Analyse von Daten beginne, sei auch ein Start zum Jahresanfang illusorisch, sagten Insider am Dienstag. Auch der Bundesverband Verbraucherzentrale wünscht sich eine schnellere Lösung. Statt Ergebnisse und Evaluation abzuwarten, sei ein direkter Anschluss ab September möglich, sagte Marion Jungbluth, Mobilitätsexpertin des Verbands.

Die Angst vor überfüllten Zügen erweist sich als übertrieben

Die bereits vorliegenden Daten zeichnen bislang ein gemischtes Bild der Nutzer. Unter den 31 Millionen Käufern waren viele Berufspendler, aber auch Tagesausflügler. Die Sorge um viele überfüllte Züge in Ferienzeiten bewahrheiteten sich dabei nicht. Weniger als 0,1 Prozent der Züge waren laut Wissing so stark ausgelastet, dass Sicherheitsmitarbeiter hätten eingreifen müssen.

Der Bund finanziert das Neun-Euro-Ticket mit rund 2,5 Milliarden Euro. Zusammen mit dem Tankrabatt beschloss die Bundesregierung das Nahverkehrsangebot im März, um die Deutschen angesichts steigender Energie- und Treibstoffkosten zu entlasten.

Der Fahrgastverband ProBahn sieht die ersten eineinhalb Monate des Tickets als Beleg dafür, dass sich die Deutschen vom Fahren mit Bus und Bahn überzeugen ließen. Entscheidend sei, dass die Nutzung des Nahverkehrs so einfach sei und die Kosten unter denen eines autofahrenden Pendlers lägen, sagte ein Sprecher. Das gelte auch als Erfolgsrezept für Nachfolgeangebote. Die müssten nicht geschenkt sein - aber preiswert.

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