Süddeutsche Zeitung

Mobbing an Berliner Schule:Einfach deswegen, weil er Jude ist

Lesezeit: 4 min

Von Verena Mayer und Thorsten Schmitz

Bruno geht jetzt an eine andere Schule. Nicht, weil er das wollte. Sondern weil er an seiner alten Berliner Schule gemobbt wurde - weil er Jude ist.

Ein lauer Spätsommerabend bei Brunos Familie in Berlin-Mitte. Der 15-Jährige, der anders heißt, aber anonym bleiben möchte, ist müde. Die vergangenen Wochen waren anstrengend. Inzwischen gehe es ihm aber gut, sagt Bruno. Er sei von einem Gefühl erfüllt, das ihm an seiner alten Schule abhandengekommen war: "Ich fühle mich jetzt wieder sicher."

Über Monate hinweg war Bruno an der prestigeträchtigen deutsch-amerikanischen John-F.-Kennedy-Schule (JFKS) in Berlin gepiesackt, gemobbt und eingeschüchtert worden. Schüler hatten ihm antisemitische Witze erzählt, ihm Hakenkreuzzettel zugesteckt, Dampf einer E-Zigarette ins Gesicht geblasen mit dem Satz, der Rauch solle ihn an seine vergasten Verwandten erinnern. In seine Baseballkappe hatte jemand ein Hakenkreuz gemalt. Immer wieder hatten Mitschüler gelästert über Brunos Aussehen und ihm homophobe Bemerkungen zugerufen. Besonders zwei Schüler hatten ihn heftig gemobbt.

Als sein Fall Ende Juni an die Öffentlichkeit gelangte, wurde er zum Symbol: Dafür, wie alltäglich antisemitisches und homophobes Mobbing an deutschen Schulen ist. Und dass es nicht nur an sozialen Brennpunkten stattfindet, sondern auch an den besten Adressen.

Die beiden Haupttäter mussten die Schule verlassen. Schülerinnen und Schüler der JFKS sollen der Berliner Bildungsverwaltung zufolge an Workshops über Antisemitismus teilnehmen, das Lehrerkollegium wird in Sachen Diskriminierung geschult. Beendet ist die Sache damit aber wohl nicht. Denn Brunos Geschichte steht auch dafür, wie schlecht viele Schulen auf antisemitische Vorfälle vorbereitet sind.

Anfang September stellte die Schulaufsicht, die den Fall untersucht hat, der JFKS ein schlechtes Zeugnis aus. Die Taten seien nicht nur unterschätzt, sondern erst gar nicht gemeldet worden, so die zuständige Dienststellenleiterin. Und das, obwohl es eine Meldepflicht für verfassungsfeindliche Äußerungen gibt, zu denen antisemitische Beleidigungen gehören. Auch habe die Schulleitung den Eltern kein Gehör verschafft. Als diese das Mobbing meldeten, wurde ihnen ein Gesprächstermin für eine Woche später angeboten. Und bis der Schulleiter endlich Meldung und Anzeige erstattete, vergingen zehn Tage, sodass die Eltern sich an die Antidiskriminierungsbeauftragte des Berliner Senats wenden mussten.

Massive Kritik am Umgang der Schule mit dem Fall hat auch die Direktorin des Berliner Büros des American Jewish Committee (AJC) geübt. Die Schule habe die Probleme verharmlost und nicht mit dem nötigen Nachdruck versucht, aufzuklären, erklärte Deidre Berger. Monatelang hat Bruno unter dem Mobbing gelitten. Oft konnte er nachts nicht schlafen, nach einem Zusammenbruch im Unterricht Ende Mai schickten ihn seine Eltern zu einer Jugendpsychiaterin. Sie half Bruno, zurück in den Alltag zu finden.

An seine alte Schule wollte Bruno aber auf keinen Fall zurück. Wenn man mit Brunos Eltern, einem deutsch-amerikanischen Ehepaar, spricht, wird klar, warum. "Eine Schule, deren Leitung über Tage und Wochen das Ausmaß des Mobbings verkannt hat, kann kein Ort sein, der unserem Sohn Schutz bietet", sagt die Mutter.

Und wie geht es nun weiter an der John-F.-Kennedy-Schule? Schuldirektor Brian Salzer will sich dazu nicht äußern, in einer E-Mail lässt er wissen, er habe nichts zu sagen, und verweist auf die Senatsverwaltung. Seit Brunos Fall bekannt wurde, haben sich aber mehrere Eltern an die Schulaufsicht gewandt und von weiteren Mobbing- und Diskriminierungsfällen an der JFKS berichtet, die zum Teil bereits Jahre zurückliegen. Eine Lehrerin, die anonym bleiben möchte, sagte der SZ: "Es gibt an unserer Schule viele Fälle von Diskriminierungen, Rassismus und Mobbing. Leider gibt es bei uns kein System, wie man damit umgehen soll. Wir Lehrer, die Eltern und die Schüler werden alleingelassen." Viele im Kollegium dächten so, sagt die Lehrerin.

Die Lehrerin beschreibt eine Atmosphäre an der Schule, in der Äußerlichkeiten sehr wichtig seien: "Wenn du nicht dünn, schön und sportlich bist und ein bisschen außerhalb stehst, wirst du schnell gemobbt." Sie habe auch Eltern erlebt, die "völlig aufgelöst vor mir standen" und berichteten, dass ihre schwarzen Kinder "Nigger" genannt worden seien.

In Eltern-Foren wird Bruno vorgeworfen, er habe selbst gemobbt

Währenddessen kursieren unter den Eltern der JFKS Gerüchte, etwa jenes, dass die Eltern von Bruno Anzeige erstattet hätten gegen einige Schüler. Anzeige allerdings hat die Schulleitung selbst erstattet, weil das geschehen muss und der Staatsschutz Ermittlungen übernimmt. Und in Eltern-Foren wird Bruno vorgeworfen, er habe selbst gemobbt und diskriminierende Äußerungen getätigt. Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Berliner Senats, Saraya Gomis, sagt: "Das ist bei Mobbingvorfällen ein leider oft zu beobachtendes Phänomen, dass das Opfer selbst daran schuld sein soll, dass es gemobbt wurde." Es sei auch traurige Realität, dass die meisten Mobbingopfer die Schulen verlassen.

Die Berliner Bildungssenatorin hat nun Maßnahmen angekündigt, um solchen Fällen vorzubeugen. So sollen die Notfallpläne überarbeitet werden, in denen festgelegt ist, wie Schulen mit Gewalt, Missbrauch oder Krisen umgehen. Solche Vorfälle werden nach Schwere klassifiziert, sobald man sie meldet, löst dies Maßnahmen aus, die von psychologischer Hilfe bis zum Einschalten von Jugendamt und Polizei reichen können. In diese Notfallpläne soll nun auch antisemitisches Mobbing aufgenommen werden, so eine Sprecherin der Berliner Bildungssenatorin. "Vermutlich gibt es an fast jeder Schule solche Vorfälle, es melden sie aber bei Weitem nicht alle."

Bruno gähnt, liest aber noch seine E-Mails. Seine Lieblingslehrerin schreibt, wie sehr sie es bedauere, dass er nicht mehr an der JFKS sei, sie könne ihn aber verstehen. Und sie schreibt, was einem befreundeten Lehrer an einer anderen Berliner Schule passiert sei. Ein Schüler habe ihn gefragt, ob er schon mal in Israel gewesen sei. Als der Lehrer bejahte, habe ihm der Schüler vor die Füße gespuckt. "Ist ja krass", sagt Bruno. Seine Erfahrungen haben ihn vorsichtig werden lassen. Er wird jetzt erst mal nicht herumerzählen, dass er Jude ist. "Ich weiß, dass es falsch ist, dass ich mein Judentum verstecke." Aber er wolle nicht noch einmal Opfer werden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4136115
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 20.09.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.