Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Mitten in...":Ehetragödie, aufgeführt auf dem Heiligen Berg

Lesezeit: 2 min

Er jammert ins Telefon und alle hören es mit: Ein Mann will über Handy vom Biergarten am Kloster Andechs aus seiner Frau erklären, wie sie etwas am Computer einrichten soll.

Von Violetta Simon, Willi Winkler und Veronika Wulf

Mitten in... Andechs

Die weltberühmte Bierschwemme hat auch einen Südbalkon mit ungestörtem Ausblick weit in die Berge hinein. Gedämpftes Nachmittagsmurmeln unter den Bäumen, Kuchengabeln kratzen auf Tellern, vorsichtig nur wird mit den Krügen angestoßen, um die Majestät des Sommers nicht zu stören. Oberbayern, wie es sein soll. Einer macht nicht mit, hat niemanden zum Murmeln, telefoniert. Seine Frau soll ihm irgendwas zu Hause am Computer einrichten, aber er weiß schon, sie kann das nicht. "Nein, das kannst du nicht!" jammert er ins Telefon. Er aber auch nicht, er hockt ja in Andechs vor seinem Glas, wie bei der dritten Ortsangabe für die Liebe daheim endgültig alle wissen: "Ich sitze im Biergarten!" Eine Ehetragödie, aufgeführt auf dem Heiligen Berg: Sie kann es nicht und er nichts dagegen machen. Vielleicht doch noch ein Bier? Willi Winkler

Mitten in... Salzburg

Der Zug rollt aus Deutschland raus nach Österreich, ein Liegewagen, in dem nur auf dem Gang die Mund- und Nasenschutzpflicht gilt. "Bitte beachten Sie, in Österreich müssen auch in den Abteilen Masken getragen werden", sagt der Zugführer durch. Nanu? Sind die Österreicher etwa strenger? Man steigt in Salzburg aus, betritt einen Supermarkt in der Innenstadt, setzt routinemäßig die Maske auf. Schräge Blicke. Keiner trägt Maske, nicht mal die japanischen Touristen. Man kommt sich vor wie der Klassenstreber, der die Vokabeln von übernächster Woche schon gleich mitgelernt hat. Also zieht man die Maske wieder ab - Gruppenzwang. In dem Moment ploppt eine Meldung der Corona-Warn-App auf: "COVID-19-Kontaktmitteilungen werden von 'Corona-Warn' in dieser Region möglicherweise nicht unterstützt." Man fühlt sich ertappt. Veronika Wulf

Mitten in... Berlin

Berlin, Alexanderplatz, Regen. Zum Glück steht er da schon, der Bus 100, der touristenfreundlich mitten durch die Stadt über das Brandenburger Tor und den Bundestag zum Schloss Bellevue fährt. Beziehungsweise: nicht fährt, denn der Bus ist leer und verschlossen. Der Fahrer naht, sperrt auf - und schließt die Tür hinter sich. Auf das entrüstete Klopfen hin öffnet er die eine Hälfte der Tür und knurrt: "Hören Se mal, junge Frau, das hier ist meine gesetzlich vorgeschriebene Pause!" - "Aber es regnet!" - "Also gut, damit Se sehen, dass wir Berliner keene Unmenschen sind", sagt er und öffnet die zweite Türhälfte: "Wenn Se sich janz ruhig verhalten und mich nicht stören, dürfen Se rein." Auf das Versprechen, man werde sich nicht bewegen, er könne das ja auf seinem Bildschirm kontrollieren, sagt er: "Da kiek ick in meiner Pause sowieso nich rein." Violetta Simon

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