Süddeutsche Zeitung

Ende der Entbindungsstation:Rückkehr zur Hausgeburt

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Hebammen bekommen nach der Schließung des Kreißsaals in Bad Tölz mehr Anfragen. Die Lenggrieserin Kathleen Hodbod wünscht sich für Schwangere aus dem südlichen Landkreis ein neues Geburtshaus.

Von Konstantin Kaip, Bad Tölz-Wolfratshausen

Hausgeburten haben in den vergangenen Jahren im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen kaum eine Rolle gespielt. Die Zahl der Mütter, die sich 2016 dazu entschieden hatten, ihr Kind in den eigenen vier Wänden zur Welt zu bringen, "kann man an einer Hand abzählen", sagt Kathleen Hodbod. Das werde sich nun aber ändern, ist sich die Hebamme aus Lenggries sicher. Denn mit der Schließung der Geburtshilfestation an der Asklepios-Stadtklinik in Bad Tölz zum April werde die Nachfrage nach Hausgeburten "definitiv wieder ansteigen". Hodbod zählt zu dem Team von neun Geburtshelferinnen, die sich die Dienste im Tölzer Kreißsaal geteilt haben. Sie hat nach eigenen Angaben schon mehrere Anfragen für Hausgeburten von Frühling bis Herbst - von Müttern, die sich den weiten Weg zu einem Krankenhaus sparen und ihre Babys lieber daheim auf die Welt bringen wollen.

Die Lenggrieserin wird also wieder in einem Feld tätig werden, in dem sie schon Erfahrung hat. Bevor sie an die Stadtklinik kam, hat sie drei Jahre lang im Tölzer Geburtshaus gearbeitet, das 2015 wegen Personalproblemen schließen musste. In dieser Zeit gab es dort etwa 60 Geburten im Jahr, hinzu kamen zahlreiche Entbindungen in privaten Häusern und Wohnungen. Dass die Zahlen im Landkreis zuletzt zurückgegangen seien, liege daran, dass es kaum noch Kolleginnen gebe, die Hausgeburten machen, sagt Hodbod. Sie wisse nur von zweien: einer aus Obersöchering und einer aus Miesbach. Hohe Versicherungssummen und eine praktisch ständige Bereitschaft schreckten die meisten ab, sagt die Lenggrieserin. Hinzu kämen die Vorgaben des Qualitätsmanagements mit zusätzlichem organisatorischen und dokumentarischen Aufwand. "Viele Kolleginnen sagen: Das tue ich mir nicht an." Als Beleghebamme an einer Klinik habe man immerhin "so etwas wie geregelte Freizeit".

Für die werdenden Mütter sei eine Hausgeburt jedoch nicht selten eine attraktivere Option als der Kreißsaal, sagt Hodbod. Schließlich sei das Umfeld vertraut, und die Betreuung deutlich besser. "Es gibt eine Hebamme, die die Schwangere gut kennt und nicht dauernd hin und her springt", sagt Hodbod. Das Vertrauensverhältnis stimme, und der Geburtsvorgang werde nicht durch Medikamente künstlich beschleunigt. Die Bandbreite derer, die bewusst ihr Baby zu Hause zur Welt bringen wollen, sei "erstaunlich weit gefächert", berichtet die Geburtshelferin: "Von der Alternativen bis zur ganz normalen Hausfrau". Die eine entscheide sich beim dritten Kind dazu, andere bereits beim ersten.

In jedem Fall ist eine Hausgeburt eine bewusste Abkehr von der geläufigen Auffassung, die Gesundheitspolitik und Krankenkassen vertreten und die auch die Debatte um die Geburtshilfe im Kreistag geprägt hat: dass eine Entbindung nur in großen, zentralisierten Krankenhäusern mit hoher Geburtenzahl und angeschlossener Intensivabteilung für Neugeborene sicher sei. Hodbod sieht das anders. "Wenn es eine gesunde Schwangere ist, spricht überhaupt nichts dagegen, zu Hause zu bleiben." In anderen Ländern seien Hausgeburten deutlich anerkannter und häufiger, sagt die Hebamme. Etwa in Holland oder in Großbritannien, wo das Gesundheitsministerium die Entbindung in den eigenen vier Wänden zum Goldstandard ausgerufen habe und sie Schwangeren ohne Komplikationen sogar empfehle. In Deutschland gebe es klare Regularien, wer zu Hause entbinden dürfe und wer nicht. Bei Schwangerschaftsdiabetes oder Zwillingen etwa sei der Kreißsaal Pflicht. "Das sind Dinge, die einfach überwacht gehören und klare Ausschlusskriterien", erklärt Hodbod. "Man muss schon im Vorfeld selektieren, was geht und was nicht."

Ähnlich sieht das ihre Kollegin Martina Winkler. Schließlich berate eine Hebamme ihre Patientin vorher intensiv. "Es findet eine gute Auslese statt", sagt die Geretsriederin. "Wenn man sie vernünftig und verantwortlich macht, ist eine Hausgeburt auch sehr sicher, und es gibt keine Komplikationen." Auch Winkler ist überzeugt, dass die eigenen vier Wände als Entbindungsort mit der Schließung der Tölzer Geburtshilfe im Landkreis "auf alle Fälle wieder ein Thema werden". Hausbesuche werden sie und ihre Kolleginnen aber auch bei Frauen machen, die sich für eine Geburt im Krankenhaus entscheiden. Schließlich gehörten auch die Begleitung in der Schwangerschaft und in der Stillzeit zur Arbeit der Hebammen, erklärt Winkler, und versichert: "Die Rundumbetreuung werden wir weiter anbieten."

Kathleen Hodbod denkt schon ein bisschen weiter. "Mir schwebt auch noch ein Geburtshaus im Kopf herum", sagt sie. Der Standort müsse schnell erreichbar sein, denkbar sei zum Beispiel die Tölzer Flinthöhe. "Das wäre gerade für Frauen aus dem südlichen Landkreis eine gute Alternative", glaubt Hodbod. Sie überlege, diesbezüglich Bürgermeister Josef Janker (CSU) anzuschreiben. "Man müsste die Politik in die Verantwortung nehmen."

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SZ vom 30.03.2017
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