Süddeutsche Zeitung

Tickets im Nahverkehr:Söder-Ticket bremst MVV-Reform

Lesezeit: 3 min

Von Iris Hilberth und Silke Lode, München

Drei Jahre haben die Partner des Münchner Verkehrsverbunds (MVV) verhandelt und eine beschlussreife neue Tarifstruktur vorgelegt - nun steht die Reform womöglich vor dem Aus. Seit das in mehr als 100 Sitzungen ausgehandelte System erstmals vorgestellt wurde, regt sich mancherorts Widerstand. Zwar würde eine klare Mehrheit der Nutzer von der Reform profitiert, doch es gibt auch Städte und Gemeinden, deren Bürger künftig deutlich mehr für ihre Fahrkarten bezahlen müssten. Deshalb ist besonders in Teilen der Landkreise München und Freising die Ablehnung groß. Dort haben die Kreistage noch nicht über die neuen MVV-Preise entschieden. Ein Nein in nur einem Kreistag würde die Reform stoppen, die eigentlich im Juni 2019 in Kraft treten soll.

Nun hat eine Idee von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) der Debatte eine neue Richtung gegeben. Söder hatte vor einigen Tagen vorgeschlagen, in München und vier weiteren großen Städten in Bayern Jahreskarten für 365 Euro einzuführen. Davon sollen laut Söder nicht nur Stadtbewohner, sondern auch Pendler aus dem Umland profitieren. Er kündigte an, die Tickets von Mitte 2020 an, spätestens aber zum Jahr 2030 einzuführen.

Die bislang geplante Reform soll die MVV-Tarife vereinfachen: Die vier Ringe in der Stadt München werden zu nur noch einer Zone zusammengefasst, die zwölf im Umland auf sechs reduziert. Angesichts von Söders Ankündigung fordern mehrere Politiker aus der Region, diese Pläne auf Eis zu legen. Die CSU-Fraktion im Landkreis München beantragte am Montagabend, die Tarifreform von der Tagesordnung des Kreistags zu nehmen. "Zwei Reformen innerhalb weniger Monate sind unsinnig", schreiben Fraktionschef Stefan Schelle und der stellvertretende Landrat Ernst Weidenbusch an CSU-Landrat Christoph Göbel. Er solle "sehr zeitnah die Möglichkeit für eine umfangreiche Tarifreform mit Beteiligung des Freistaats" erörtern.

Am Dienstag schloss sich dem der Ebersberger Landrat Robert Niedergesäß (CSU) an, der zugleich Sprecher der im MVV vertretenen Landkreise ist. Niedergesäß, der die Reform selbst mit ausgehandelt hat, räumte ein, dass "uns bei der Frage der finanziellen Anreize leider nicht der große Durchbruch" gelungen sei. Das habe daran gelegen, dass der Freistaat anders als die Stadt München und die Landkreise nicht bereit gewesen sei, sich an finanziellen Risiken zu beteiligen. Diese Haltung habe sich mit Söders Amtsübernahme "erfreulicherweise positiv geändert". Die beschlossene Reform sei "angesichts der neuen Gefechtslage so nicht mehr umsetzbar", sagte Niedergesäß. Söders Idee, ein 365-Euro-Jahresticket einzuführen, bezeichnete er als "Durchbruch zu einer echten und für alle Fahrgäste sehr attraktiven Reform".

Münchens Zweiter Bürgermeister Josef Schmid (CSU) warnte jedoch davor, jetzt die Chance für eine Reform verstreichen zu lassen: "Markus Söder hat selbst gesagt, dass man ein 365-Euro-Ticket ab dem Jahr 2030 angehen kann. Da hat er völlig recht, denn wir haben in München derzeit ein Kapazitätsproblem." Bis zum Jahr 2030, so Schmid, hätte München zumindest einen zweiten S-Bahn-Tunnel. Neue U-Bahnen wie die geplante neue Innenstadtlinie U 9 oder die Verbindungslinie U 26 zwischen U 2 und U 6 im Münchner Norden, die ebenfalls Entlastung bringen sollen, seien bis dahin ohnehin noch nicht fertig. "Wir hätten also mindestens elf Jahre ein vereinfachtes Tarifsystem, bis das 365-Euro-Ticket eingeführt werden kann", sagte Schmid und fügte hinzu: "Es wäre wirklich schade, wenn die Reform jetzt scheitert, weil ein Kreistag Nein sagt."

Oberbürgermeister Reiter will "die jetzige Reform nicht einfach aufgeben"

In die gleiche Kerbe schlägt Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD): "Für vage Gedankenspiele des Ministerpräsidenten zu einem 365-Euro-Ticket ab dem Jahr 2030 sollte man die jetzige Reform nicht einfach aufgeben." Reiter betonte, dass er über die aktuellen Pläne "jederzeit gesprächsbereit" sei, wenn die Staatsregierung diese mindestens in gleicher Höhe subventioniere wie die Stadt. Weitere Verbesserungen seien bislang daran gescheitert, dass die Staatsregierung Zuschüsse kategorisch ausgeschlossen habe. Das Verkehrsministerium teilte am Dienstag dazu lediglich mit, dass es Ziel bleibe, die Reform auf den Weg zu bringen. Sie sei "ein wichtiger Schritt zum 365-Euro-Ticket", das Söder bis 2030 realisieren wolle.

MVV-Geschäftsführer Alexander Freitag plädiert ebenfalls dafür, die Reform jetzt umzusetzen: "Das eine schließt das andere nicht aus. Die Idee für das 365-Euro-Ticket ist gut, aber es kann erst mittel- oder langfristig kommen." Freitag geht von einem Finanzierungsbedarf von mehr als 100 Millionen Euro für den MVV-Bereich aus. Die Vertagung im Landkreis München sieht er noch nicht als Scheitern: "Aber bis Ende Oktober müssen wir zu einer Entscheidung kommen."

Landrat Göbel ist an einer kurzfristig greifenden Tarifreform ebenfalls interessiert, bezeichnet die Vertagung aber als "vernünftig" - zumal auch die Freien Wähler, SPD und Grüne im Landkreis Nachverhandlungen fordern. Sie wollen alle Städte und Gemeinden im Landkreis in die M-Zone holen. Bislang ist geplant, dass dazu das ganze Münchner Stadtgebiet und nur einige Landkreis-Kommunen gehören. Vor allem im Norden fühlen sich Unterschleißheim, Ismaning oder der Universitätsstandort Garching benachteiligt. Göbel hat deshalb nun an Söder geschrieben und bittet den Freistaat um Geld - so könne die Reform gerettet werden.

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SZ vom 12.09.2018
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