Süddeutsche Zeitung

Coronavirus im Landkreis Starnberg:Das lange Warten auf den Impftermin

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Im Gautinger Impfzentrum haben sich 14 500 Menschen registriert, doch bislang wurden keine Termine an über 80-Jährige vergeben - anders als in anderen Landkreisen. Warum?

Von Michael Berzl und David Costanzo, Starnberg

Seit bald zwei Wochen bemüht sich Dietrich Meininghaus aus Herrsching um einen Impftermin. Er hat es per Telefon versucht, aber anfangs nur ein Tonband erreicht, er hat E-Mails geschrieben und im Online-Verfahren ein Formular für die Anmeldung ausgefüllt. Bei einem Anruf auf der Hotline im Starnberger Landratsamt hat er dann erfahren, dass es in der kommenden Woche losgehen soll. Endlich. Meininghaus ist 82 Jahre alt, seine Ehefrau Marlene fünf Jahre älter, damit gehören beide zur Risikogruppe, die möglichst bald gegen das Coronavirus geimpft werden soll. Bisher aber werden sie nur vertröstet. Und so geht es vielen. Die Ungeduld wächst.

"Ich gehe mit meinem fast hundertjährigen Vater seit Wochen nicht mehr raus", sagt eine Starnbergerin - nicht einmal mehr in die Kirche. Weil sie Nachteile bei der Terminvergabe fürchtet, möchte sie anonym bleiben. "Ich habe Angst, dass er sich doch noch ansteckt." So knapp vor der Impfung will sie dieses Risiko nicht eingehen. Aber wann wird die sein? Zweimal hat sie schon im Impfzentrum angerufen.

Erst wurde sie um sechs Wochen vertröstet. Am Freitag hieß es, sie erhalte in zwei Wochen einen Rückruf, wann sie einen Termin bekomme. Die Starnbergerin wundert sich: Ihr Bruder habe von Bekannten am Tegernsee erzählt, die bereits geimpft seien. Und ein Freund habe schon vor drei Wochen berichtet, dass dessen Eltern in Weilheim die Spritze bekommen. Das wirke auf sie, erzählt die Starnbergerin, als klappe es überhaupt nicht mit dem Impfzentrum des Landkreises in Gauting.

"Ich verstehe die Ungeduld der Leute", sagt dazu Landrat Stefan Frey (CSU). "Wir würden uns auch wünschen, dass es schneller voran geht. Wir stehen in den Startlöchern und könnten loslegen." Seit Dezember steht das Impfzentrum auf dem Gelände der Asklepios-Klinik in Gauting bereit, seit 11. Januar haben sich 14 500 Menschen dort registriert, doch bislang wurde noch kein Termin vergeben. Denn der Landkreis hängt am Tropf der Impfstoffhersteller.

In dieser Woche haben nur sechs Menschen die erste Spritze bekommen

Tatsächlich geht es nur sehr langsam voran. Laut Landratsamtssprecherin Barbara Beck waren es bis Mittwoch insgesamt 1756 Erstimpfungen, die verabreicht wurden - und zwar praktisch ausschließlich durch mobile Teams an Bewohner von Altenheimen und Klinikpersonal. In dieser Woche seien nur sechs Immunisierungen dazugekommen. Für Heime und Kliniken seien auch die 325 Impfdosen bestimmt, die am Freitag eingetroffen sind; außerdem sind 270 Einheiten für Erstimpfungen von Altenheimbewohnern und Hausärzten angekommen.

Zuletzt hatte das Landratsamt noch mit etwa 1000 Impfdosen pro Woche gerechnet. Für die kommende Woche seien nun 425 für Erstimpfungen angekündigt; die Lieferung werde am Dienstag erwartet. Diese müssten dann erneut aufgeteilt werden: an Altenheime, Kliniken, ambulante Pflegedienste - und an die ersten über 80-Jährigen, die dann im Impfzentrum zum Zuge kommen sollen. Man kann sich ausrechnen, dass es noch nicht sehr viele sind. Und das bei fast 11 000 über 80 Jahre alten Landkreisbürgern, die nicht in einem Heim leben. Wer in welcher Reihenfolge drankommt, entscheidet der Computer nach vorgegebenen Auswahlkriterien.

Dass hier viele Alte leben, spielt bei der Impfstoff-Zuteilung keine Rolle

In vielen Fällen wird es März werden, bis Impfwillige an die Reihe kommen, prognostiziert Beck. "Es kommt schon ein Impfneid auf", beobachtet Landrat Frey, bei dem genauso wie beim Kreisverband des Roten Kreuzes und bei der Hotline im Landratsamt viele Nachfragen wegen der Verzögerungen eingehen. Wegen des großen Interesses will Frey sich demnächst bei einer Videokonferenz mit dem Seniorentreff in Starnberg den Fragen stellen. "So viel weiter sind andere Landkreise aber auch nicht", sagt er.

Zu den Lieferschwierigkeiten des Herstellers kommt im Landkreis Starnberg eine besondere Situation: Hier leben mehr Senioren als in anderen Landkreisen, hier gibt es deutlich mehr Altenheime und Krankenhäuser als anderswo; allein in den Alten- und Pflegeheimen sind es laut Frey mehr als 1200 Plätze. Doch die Verteilung des Impfstoffs erfolgt strikt nach Einwohnerzahl.

Zudem übernehme Starnberg innerhalb des Rettungszweckverbandes mit den Landkreisen Fürstenfeldbruck, Dachau und Landsberg besonders viele Aufgaben in der Akutversorgung. All dies trägt dazu bei, dass sich die Wartezeit für die über 80-Jährigen verlängert, denn Kliniken und Heime sollen nach Vorgaben von Bund und Freistaat zuerst versorgt werden. Darum habe er eine Modifikation des Verteilungsschlüssels in den Landkreisen gefordert, berichtet Frey.

Nicht nur Senioren warten, auch Angehörige, die auf die Impfung hoffen. "Wenn ich ausfalle", fragt sich die Starnbergerin, "wer sorgt dann für meinen Vater?"

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Quelle:
SZ vom 23.01.2021
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