Süddeutsche Zeitung

Ausblick 2023: B2-Tunnel Starnberg:Das Millionending

Lesezeit: 5 min

Die entscheidende Genehmigung steht noch aus, doch die Arbeiten gehen weiter: Zur Verkehrsentlastung soll eine 1,9 Kilometer lange Röhre durch die Kreisstadt gegraben werden. Frühestens 2032, womöglich später, ist der Bau fertiggestellt - aber nur, wenn alles gut geht.

Von Peter Haacke, Starnberg

Nie zuvor hat es in Starnberg ein Bauwerk gegeben, das größer, komplexer und teurer, vor allem aber umstrittener war als der B2-Tunnel: ein Vorhaben der Superlative für die von Durchgangsverkehr arg gebeutelte Kreisstadt am Nordufer des Starnberger Sees, durch die sich selbst an gewöhnlichen Tagen bis zu 40 000 Fahrzeuge quälen. Die Hoffnung auf weniger Verkehr und mehr urbane Qualität hat sich jahrzehntelang auf den Bau einer Umfahrung oder eines Tunnels gerichtet. Doch das zähe Ringen um eine Lösung führte auch zu einer hochemotional geführten Diskussion, die tiefe politische Gräben hinterließ. Die Debatte ist bis heute nicht beendet. Dabei ist aus kommunalpolitischer Sicht längst alles entschieden: In nächtlicher Sitzung am 21. Februar 2017 hat der Stadtrat mit 19:12 Stimmen den historischen Beschluss gefällt: "Tunnel bauen, Umfahrung prüfen".

Seither sind mehr als fünf Jahre vergangen, eine Vielzahl vorbereitender Arbeiten unter Federführung des Staatlichen Bauamts Weilheim bereits erfolgt. Doch vom zentralen Vorhaben - ein insgesamt 3,1 Kilometer langes Bauwerk mit 1,9 Kilometer langer Röhre - ist man weit entfernt. Die ursprünglich angepeilte Fertigstellung fürs Jahr 2026 ist längst hinfällig. Frühestens 2032, womöglich noch später, könnte die Freigabe des Tunnels erfolgen.

Als Hemmschuh erwiesen sich zuletzt entscheidende sicherheitsrelevante Nachbesserungen - darunter eine Hochdruckwassernebelanlage zur Brandbekämpfung - für den Tunnel, die im Rahmen eines Planänderungsverfahrens abgesegnet werden müssen. Ein Zeitfresser. Die Angelegenheit liegt seit Oktober 2020 bei der Regierung von Oberbayern. Mit einer Entscheidung rechnen die Weilheimer Tunnel-Experten im Frühjahr. Andererseits ist fraglicher denn je, ob es angesichts einer kritischen weltpolitischen Gesamtlage tatsächlich zum Tunnelbau kommen wird. Corona, Krieg und Krise haben einiges durcheinandergebracht, die Bundesregierung hantiert mit Schulden in nie zuvor gekannter Höhe. Der weiteren Prüfung einer Trasse zur Umfahrung hat der Stadtrat indes wegen Aussichtslosigkeit eine Absage erteilt.

Gleichwohl will man in Weilheim beim Staatlichen Bauamt nicht untätig bleiben: Im Hinblick auf den Starnberger Tunnel gibt es noch einiges zu tun. Im Rahmen einer Sondersitzung präsentierten die Tunnelfachleute dem Stadtrat Ende November den aktuellen Stand und den Fahrplan 2023 für ein komplexes Vorhaben, das Starnberg nachhaltig von Verkehr entlasten soll. Hier die wichtigsten Eckpunkte zum Bau des B2-Tunnels für das kommende Jahr.

Aktueller Stand

Die wichtigsten Vorarbeiten im nördlichen Zulaufbereich zwischen Percha und Eisenbahnbrücke sind, wie geplant, seit Juli abgeschlossen: Unzählige Sparten - Wasser- und Abwasserleitungen, Gas-, Kommunikations- und Stromleitungen - wurden umgelegt, Fahrbahndecken erneuert und markiert, Ein- und Ausfahrten angepasst, Verkehrsführungen geändert. Und auch ein offenkundiges Rätsel wurde gelöst: Die Zufahrt zum Burger-Schnellrestaurant wurde nach Westen verlegt. Unklar ist derzeit noch, wer die Kosten für die Verlegung der Abwasserrohre zahlen wird: Abwasserverband oder Staatliches Bauamt. Ein Gerichtsverfahren - es geht um rund sieben Millionen Euro - ist noch nicht entschieden.

Neubau Eisenbahnbrücke

Die bestehende Eisenbahnbrücke über die B2 ist zu schmal und soll einem breiteren Neubau weichen - ein Vorhaben, das laut Plan elf Monate von Februar bis Dezember 2023 beanspruchen soll. Der größte Teil der Arbeiten soll keine oder nur geringe Auswirkungen auf den Straßenverkehr haben. Spannend wird es im August: Dann beginnen die Abbrucharbeiten. Von 28. August bis 4. September ist eine Vollsperrung der Bundesstraße vorgesehen. Bahnkunden müssen auf Schienenersatzverkehr umsteigen, der motorisierte Verkehr wird stadteinwärts über Petersbrunner und Leutstettener Straße, stadtauswärts über Leutstettener Straße und Moosstraße umgeleitet. Zudem muss die Eisenbahnunterführung der Leutstettener Straße mit nur vier Meter Höhe erweitert werden: Die Fahrbahndecke wird abgefräst, damit durchfahrende Lkw nicht hängen bleiben, Fußgänger und Radfahrer müssen Umwege nehmen.

Mittelspannungskabel

In vier Metern Tiefe wird eine Stromtrasse quer durch die Stadt verlegt: Vom Bahnhof Nord bis in den Starnberger Süden zum Depot an der Weilheimer Straße führt die neue Leitung, die in den Pfingst- und Sommerferien fertiggestellt werden soll. Dazu sind zwei Baugruben an der Hauptstraße vorgesehen: eine im Bereich des Vorplatzes zur Brunnangerhalle, die zweite in Nähe des Tutzinger-Hof-Platzes.

Erkundungsprogramm

Schon seit November wird im südlichen Starnberger Stadtgebiet gebohrt und gemessen: Insgesamt 14 Wasserbohrstellen sollen der Verfeinerung der bisher schon vorliegenden Erkenntnisse über den hydrogeologischen Untergrund im Bereich des B2-Tunnels dienen. Aus den Messungen zu entnommener Wassermenge und Absenktiefe lassen sich wichtige Kennwerte wie Durchlässigkeit und Ergiebigkeit der für den künftigen Tunnel relevanten Grundwasserleiter - sogenannte Aquifer - ermitteln. Die Arbeiten sollen bis zum 3. Februar abgeschlossen sein.

Düker

Um das Grundwasser unfallfrei um die Tunnelröhre herumzuleiten, sind insgesamt fünf Düker geplant. Der Einbau der Bauwerke zum Umleiten der Grundwasserströme sei zwar "sehr kompliziert, aber machbar", heißt es seitens des Staatlichen Bauamts. Die größte Druckleitung mit 160 Metern Länge, vier Metern Durchmesser und zwei 40 Meter tiefen Schächten entsteht am Almeidaberg. Sie soll mehrere Hundert Liter Wasser pro Sekunde am Tunnelbauwerk vorbeileiten. Der zweitgrößte Düker entsteht an der Weilheimer Straße, drei kleinere Bauwerke werden weiter im Norden der Stadt gebaut. Theoretisch ist eine spätere geothermische Nutzung der Wasserenergie möglich.

Probelauf Verkehr

Die Verkehrsführung rund um den Tutzinger-Hof-Platz ist schlecht: Die Kreuzung mit ihren fünf Straßenästen zählt bayernweit zu den 22 Anlagen mit der "niedrigsten Qualität im Verkehrsablauf". Sobald mit dem Bau des Tunnels begonnen wird, dürfte sich die Situation für dreieinhalb bis vier Jahre weiter verschärfen: Baustellen, Lastwagen, Sperrungen und geänderte Fahrbeziehungen werden das System an die Kapazitätsgrenze bringen. Um einen Verkehrskollaps zu verhindern, will das Staatliche Bauamt die Verkehrsführung ändern.

Ein Arbeitskreis Baulogistik mit Vertretern von Staatlichem Bauamt, Landratsamt, Stadt und Polizei haben jede einzelne Baustelle betrachtet. In der Hochphase des Tunnelbaus soll alle sechs Minuten ein Lkw fahren. Voraussichtlich im März ist ein vierwöchiger Testlauf vorgesehen, bei dem die innere Leutstettener Straße gesperrt wird. Ebenfalls geplant: Das Linksabbiegen von der B2 in die Josef-Jägerhuber-Straße sowie in Gegenrichtung von der Wittelsbacherstraße auf die B2 nach Weilheim und Hanfeld entfällt.

Gestaltung

Tunnelportale, Betriebsgebäude, Notausstiege und Lüftungskamin sollen nicht nur funktionieren, sondern auch gut aussehen: Insgesamt sechs Planungsbüros hatten im Vorjahr erste Entwürfe eingereicht, doch so richtig überzeugen konnte keiner der Vorschläge. Im Mai will man sich erneut mit der Gestaltung befassen und hofft auf konkrete Entwürfe.

Kosten

Im Bundesverkehrswegeplan 2030 - verabschiedet im Jahr 2016 - ist das Starnberger Projekt längst zurückgestuft, eine finale Wirtschaftlichkeitsberechnung vor Baubeginn steht noch aus. Vor sechs Jahren wurden die Kosten für den Tunnel noch mit 162,1 Millionen Euro beziffert, zuletzt war von 320,5 Millionen Euro die Rede. Angesichts atemberaubender Preissteigerungen glaubt mittlerweile aber kaum jemand daran, dass es dabei bleibt. Eine Vorhersage über die tatsächlichen Kosten wäre in jedem Fall unseriös. Nach Angaben des Staatlichen Bauamts wurden bereits 40 Millionen Euro "verbaut". Aus Berlin gab es bislang allerdings laut Staatlichem Bauamt auch noch keinerlei Anzeichen für einen Abbruch des Projekts.

Planänderungsverfahren

Für den B2-Tunnel besteht grundsätzlich seit 2007/08 ein gültiger Planfeststellungsbeschluss. Durch Anpassungen, Änderungen und Verbesserungen in vertiefter Planung aus der Zusammenarbeit von Fachleuten hat sich die Notwendigkeit eines Planänderungsverfahrens ergeben, das seit Oktober 2020 der Regierung von Oberbayern vorliegt. Insbesondere das Wasserwirtschaftsamt sah Nachbesserungsbedarf (siehe Erkundungsprogramm) im Bereich der Fischzucht. Die neuen Daten fließen in ein verfeinertes dreidimensionales Rechenmodell ein.

Ausschreibung

Sollte der Planänderungsbeschluss, wie erhofft, bis Jahresende 2023 rechtskräftig sein, könnte die Ausschreibung - unabhängig von den Bauvorbereitungen - für das Projekt erfolgen. Der Beschluss ist allerdings juristisch anfechtbar, die Urteilsfindung hätte eine weitere zeitliche Verzögerung zur Folge. Ausschreibungen und Auftragsvergaben zum Tunnelbau dürften etwa drei Jahre beanspruchen, die reine Bauzeit soll etwa sieben Jahre betragen.

Weitere Termine

Die Planungen des Staatlichen Bauamts gehen über das Jahr 2023 hinaus. Nach aktueller zeitlicher Abschätzung rechnen die Verantwortlichen von 2023 bis 2025 mit Spartenverlegungen in den jeweiligen Baufeldern. Weiterhin geplant sind eine Kampfmittelsondierung und eine archäologische Vorerkundung (2023/24) im Bereich des Nordportals sowie die Prüfung des Einbaus von Schallschutzfenstern und Beweissicherungsverfahren (2024/25).

Informationen

Die Präsentation des Staatlichen Bauamts Weilheim zum aktuellen Projektstand des Starnberger B2-Tunnels sowie viele weitere Infos finden sich im Internet unter www.stbawm.bayern.de (>Straßenbau >Projekte >B2, Tunnel Starnberg). Detaillierte Fragen zum Vorhaben aus Sicht der Stadt Starnberg beantwortet Stadtrat und Verkehrsreferent Thorsten Schüler (UWG) online unter der Adresse www.tunnel-starnberg.de, der hier auch eine umfangreiche Materialsammlung zum Thema angelegt hat.

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